Peter Wiesinger - Baiern und Romanen

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Immer wieder wird versucht, die im 6. Jahrhundert auftretenden Baiern auf romanische Herkunft zurückzuführen, obwohl ihre Sprache und Dialekte germanischen Ursprungs sind. Als angebliche Zeugnisse dienen meistens die eingedeutschten Gewässer- und Ortsnamen antik-romanischer Herkunft. In dem bis 488 n. Chr. römischen Voralpenraum südlich der Donau vom Lech bis zur Enns in Bayern, Salzburg und Oberösterreich wurden gegenüber der Vielzahl rein deutscher Namen nur relativ wenige Namen antik-romanischen Ursprungs ins Bairisch-Althochdeutsche tradiert. Diese geringen Zeugnisse werden nach Etymologie und Eindeutschungszeit mit linguistischen Methoden analysiert und danach beurteilt, wann sie von den ersten germanisch-römischen Kontakten im 1./2. Jahrhundert an bis in die althochdeutsche Zeit längstens um die Mitte des 11. Jahrhunderts ins Althochdeutsche eingegliedert wurden. Daraus kann man schließen, dass das Romanische im Voralpenraum durchschnittlich und nur inselhaft bis ins beginnende 9. Jahrhundert und nur vereinzelt wie um die Stadt Salzburg auch noch bis gegen die Mitte des 11. Jahrhunderts fortlebte. Die Annahme angeblicher romanischer Herkunft der Baiern lässt sich weder mit Hilfe der Sprache noch der Namen erweisen und ist aufzugeben.

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Albrecht Greule / Peter Wiesinger

Baiern und Romanen

Zum Verhältnis der frühmittelalterlichen Ethnien aus der Sicht der Namenforschung

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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Umschlagabbildung: Ausschnitt aus der Tabula Peutingeriana. Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Abusina_TabPeut.jpg

© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de• info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-7720-8659-5 (Print)

ISBN 978-3-7720-0212-0 (ePub)

Vorwort

Seit 15 Jahren werden die seit dem Frühmittelalter Deutsch redenden Baiern von den Archäologen zu Romanen erklärt. Als Beweis dafür dienen ihnen die aus der Spätantike ins Frühmittelalter tradierten und ins Bairisch-Althochdeutsche jener Zeit integrierten wenigen Gewässer- und Siedlungsnamen sowie deutsch gebildete romanisch-deutsche Mischnamen mit einem romanischen oder biblischen Personennamen und einem deutschen Grundwort. Ferner werden zum Beweis die wenigen deutschen, auf Romanen verweisenden Walchen -Namen und die aus einer bestimmten romanischen Rechtsordnung kommenden deutschen Parschalken -Namen herangezogen. In Bezug auf Herkunft, Bildung, Bedeutung und Lautentwicklung lassen sich jedoch besonders aus der Sicht der germanistischen Sprachwissenschaft, die sowohl die deutschen und die ins Deutsche integrierten fremdsprachigen Gewässer- und Siedlungsnamen erforscht als auch die Herkunft, Struktur und Entwicklung der deutschen Sprache und hier besonders des Bairischen untersucht, solche merkwürdigen Anschauungen in keinerlei Weise bestätigen. Ebenso wenig hält eine versuchte Herleitung des Namens der Baiern aus dem Lateinischen sprachwissenschaftlicher Prüfung stand.

Es ist daher die Aufgabe der germanistischen Sprachwissenschaft und Namenkunde, das aus der Spätantike aus dem Lateinischen und seiner Weiterentwicklung zum Romanischen stammende Namengut im bairischen Sprachraum, der von 13 v.Chr. bis 476 n.Chr. die Provinzen Raetia secunda und Noricum des römischen Weltreiches bildete, zusammenzustellen und mit den angemessenen sprachwissenschaftlichen Methoden kritisch zu untersuchen. Das geschieht vor allem im Hinblick auf die Zeit, wann die einzelnen Gewässer- und Siedlungsnamen in das Bairisch-Althochdeutsche vom 6. bis zur Mitte des 11. Jhs. und inselhaft auch noch in das sich anschließende Bairisch-Frühmittelhochdeutsche der 1. Hälfte des 12. Jhs. eingegliedert wurden. Daraus lässt sich schließen, wie lange an den betreffenden Orten das Romanische ungefähr weiterlebte, ehe es schließlich ganz dem Deutschen wich.

Da das Bairische nicht auf Altbayern mit Ober- und Niederbayern und der Oberpfalz beschränkt ist, sondern auch in Österreich von Tirol im Westen bis ins Burgenland im Osten sowie in Südtirol in Italien gesprochen wird und bis 1945/46 auch noch in der damaligen Tschechoslowakei das Egerland sowie Südböhmen und Südmähren einschloss, wird in der Wissenschaft dieser staatenübergreifende sprachliche Großraum Baiern mit ai geschrieben und so auch hier. Der anfängliche Siedlungs- und Sprachraum der Baiern im Frühmittelalter beschränkte sich aber auf das Donau- und Voralpenland zwischen dem Lech im Westen und der Enns im Osten und reichte bis zur Südgrenze Bayerns als natürlicher Grenze am Alpenrand und schloss noch den Salzburger Flachgau mit Inseln im südlich anschließenden Salzachtal bis zum Paß Lueg ein. Wir beschränken unsere Untersuchung daher auf diesen anfänglichen bairischen Siedlungsraum. Obwohl die Baiern von ihren Anfängen in der 2. Hälfte des 6. Jhs. an auch bis ins Tiroler Pustertal vorstießen, steht ihr dortiges frühes inselhaftes Auftreten hier nicht zur Debatte.

Das Buch ist ein Gemeinschaftswerk der germanistischen Sprachwissenschaftler und Namenforscher Albrecht Greule, Universität Regensburg, und Peter Wiesinger, Universität Wien. Die von den beiden Autoren jeweils verfassten und gekennzeichneten Kapitel wurden zwar wechselseitig gelesen, diskutiert und abgestimmt, doch verantwortet jeder Autor seinen Beitrag. Besonders zu danken haben wir dem Verleger, Herrn Dr. Gunter Narr, der sich spontan bereit erklärt hat, das Buch in sein Verlagsprogramm aufzunehmen, als er von dessen Entstehung erfahren hat. Ebenso gilt unser Dank Frau Dr. Valeska Lembke für die sorgfältige editorische Betreuung. Verschiedene Auskünfte zu einzelnen Siedlungsnamen und Orten verdanken wir Johann Auer, Dünzling; Josef Egginger, Winhöring; und Johann Schober, Adelkofen. Vor allem aber danken wir für zahlreiche urkundliche Siedlungsnamenbelege und Auskünfte Dr. Wolfgang Janka, Kommission für Bayerische Landesgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. Unser aufrichtiger Dank gilt ferner Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Metzelton, Wien, der sich, als er vom Buch hörte, spontan bereit erklärte, es aus romanistischer Sicht zu lesen, und uns entsprechende, auch berücksichtigte Hinweise gab. Technische Hilfe verdanken wir Dipl. Ing. Dr. Michael Wiesinger, Graz. Die Zeichnung der Karten 1–5 besorgte im kartographischen Standard nach den Entwürfen beider Autoren Mag. Michael Schefbäck, Wien, dem wir nicht nur für die mustergültige Ausführung, sondern auch für viel Geduld herzlich danken.

Möge das Buch viele interessierte Leser erreichen und den Baiern beider beteiligten Länder vermitteln, wie die germanistische sprachwissenschaftliche und namenkundliche Fachwelt das wenige ins Deutsche übernommene antik-romanische Namenerbe beurteilt und interpretiert.

Regensburg und Wien, Albrecht Greule

im Dezember 2018 Peter Wiesinger

A. Probleme um Baiern und Romanen im frühmittelalterlichen Donau- und Voralpenraum zwischen Lech und Enns

Von Peter Wiesinger

1. Die Baiern der Frühzeit und ihre Erforschung

1.1. Der Name der Baiern

Im Gegensatz zu den Namen germanischer Stämme, die später zu Deutschen wurden, wie der Alemannen, Franken, Hessen, Thüringer und Sachsen, die bereits den Römern bekannt waren und in ihrem Schrifttum seit dem 1. Jh. n.Chr. überliefert sind, tritt der Name der Baiern1 erst zwei Generationen nach dem Untergang des römischen Weltreiches erstmals 551 in der Gotengeschichte „De origine actibusque Getarum“ des Jordanes auf. Da das Werk des Jordanes auf der verlorenen Gotengeschichte des Cassiodor basiert, der Kanzler des Gotenkönigs Theoderich (475-526) war, wird bereits dort um 525 die Nennung erfolgt sein. Obwohl Jordanes eine Kriegssituation von Theoderichs Vater Theudimir in Pannonien von 469/70 beschreibt, schildert er jedoch das Lageverhältnis der Stämme, wie es zu seiner Zeit im heutigen deutschen Süden und in der Mitte bestand. So heißt es (280, 9ff.)2:

Nam regio illa Suavorum ab oriente Baiovaros habet, ab occidente Francos, a meridie Burgundiones, a septemtrione Thoringos.

Jenes Land der Suawen hat nämlich im Osten die Baiowaren, im Westen die Franken, im Süden die Burgundionen, im Norden die Thüringer zu Nachbarn.

Da das Werk des Jordanes erst in Handschriften des 8.–12. Jhs. überliefert ist, schwanken die lateinischen Nennungen des Baiernnamens als Baibari , Baiobari , Baiovari , Baioarii , von denen Baiovari der zugrundeliegenden germanischen Namenform am nächsten kommt.

Erst eineinhalb Jahrzehnte nach Jordanes erfolgt 565 die nächste Nennung der Baiern. Sie bringt der Dichter und spätere Bischof von Poitiers Venantius Fortunatus in dem um 576 verfassten Vorwort zur Edition seiner Gedichte. Er brach im Spätsommer 565 von Ravenna aus über die Alpen zu einer Wallfahrt zum Grab des hl. Martin nach Tours in Gallien (Frankreich) auf und schreibt dazu (Pr. 4)3:

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