Peter Urban
Adler und Leopard Teil 1
John Churchills Erbe
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Inhaltsverzeichnis
Titel Peter Urban Adler und Leopard Teil 1 John Churchills Erbe Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1 Ein politischer Faktor von unbekannter Grösse
Kapitel 2 Ein Offizier kann nur der Krone dienen.
Kapitel 3 Der Weser-Ems Feldzug
Kapitel 4 Schmutzige Machenschaften
Kapitel 5 Im Namen des Allmächtigen Baumeisters Aller Welten
Kapitel 6 Kitty
Kapitel 7 Das indische Pulverfass
Kapitel 8 Und England steht wieder alleine
Kapitel 9 Staatssekretär für Irland
Kapitel 10 Liebe und Krieg
Kapitel 11 Ein streng geheimer Operationsplan
Kapitel 12 Marlboroughs Schwert
Impressum neobooks
Kapitel 1 Ein politischer Faktor von unbekannter Grösse
Der Lakai tauchte aus dem Nichts auf. Er trug eine weiß gepuderte Perücke, eine lachsfarbene Weste aus schwerem Brokatstoff und seidene Kniehosen in einem undefinierbaren Farbton zwischen Blut und Erdbeere. Sarah verkniff sich mit Mühe ein Grinsen. Sie fand, dass der Mann einem Storch glich. Obwohl seine Livree nicht billig wirkte, sah er lächerlich aus. Dem zu trotz war diese seltsame Verkleidung sichtlich von einem der besseren Schneider der Hauptstadt genäht worden. Der Storch trat zur Seite und eine riesige, prunkvoll verzierte Flügeltür tat sich vor ihnen auf. Sie befanden sich in einer überfüllten Eingangshalle.
“Die Kunst liegt darin, weder zu früh, noch zu spät zu erscheinen“, dachte Sarah schmunzelnd, “und lieber die Unannehmlichkeiten eines Menschenauflaufs akzeptieren, als kein entsprechendes Publikum für den Auftritt zu haben.“ Ihre Mutter hatte alles für diesen Abend arrangiert. Georgiana verstand es meisterhaft, sich während der Londoner Ballsaison in Szene zu setzen. Der gesamte Richmond-Clan trug Blautöne: Die Herzogin selbst hatte ein spektakuläres Königsblau gewählt. Auf ihrer Abendgarderobe glänzte als einziger Schmuck eine Saphirbrosche. Sarah trug ein schwarz anmutendes Nachtblau. Das elegante Kleid war aufwendig mit grauen Perlen bestickt. Für die drei jüngeren Schwestern hatte ihre Mutter zarte Pastelltöne ausgewählt. Im Licht der Kronleuchter schimmerten die weich fließenden Stoffe fast weiß. Keines der jüngeren Richmond-Mädchen trug Geschmeide. Nur hübsche, kleine Sträußchen aus frischen Blumen waren adrett am Dekolleté befestigt. Stimmengewirr und Gelächter klangen zu ihnen. Es überlagerte ein populäres Tanzmenuett des Wiener Komponisten Josef Haydn, das aus dem Ballsaal im ersten Stock leicht zu ihnen hinunterschwebte. Peitschenknallen, Hufgetrampel, lautes Wiehern und die Flüche zahlloser Kutscher draußen auf der Straße kündigten noch mehr Gäste an. Dieser Abend eröffnete die Wintersaison des Jahres 1805 in der Hauptstadt des Inselkönigreiches. Die gute Gesellschaft Londons hatte sich um Lady Hollands Einladungen gestritten. Man wollte sehen und gesehen werden. Man kam in der Hoffnung, seinen Namen am nächsten Tag in den Gesellschaftsspalten der Sun oder der Times wiederzufinden. Am besten war es natürlich, in einem Zug mit einer wichtigen Persönlichkeit aus der Politik oder aus dem Hochadel erwähnt zu werden. Damit bewies man sich und den anderen, dass man etwas galt in diesem Lande. Als sie das amüsierte und wenig damenhafte Grinsen ihrer Ältesten bemerkte, warf die Herzogin von Richmond ihrer Tochter einen strafenden Blick zu. „Selbstverständlich, Mama.“, zischte Sarah durch die Zähne, ohne ihren Gesichtsausdruck zu ändern, “ich habe es versprochen! Ich werde die Höflichkeit selbst sein. Keine taktlosen Bemerkungen und kein Gelächter, außer es handelt sich eindeutig um einen Witz!“ Sie legte die Rechte aufs Herz, während sie mit der Linken ihr Cape bändigte. In einer schubsenden Menschentraube die Treppe in den ersten Stock zu bewältigen, ohne Schaden an Haartracht und Abendgarderobe zu nehmen, war schwierig. Georgiana nickte zufrieden, wenn auch nicht ganz überzeugt. Die Herzogin kannte ihre Älteste. Sie wusste, dass Sarah stur war, wie ein Maultier. Ihre Tochter betrachtete gesellschaftliche Verpflichtungen als unnütze Zeitverschwendung. Sie hasste es, mit uninteressanten Menschen geistlosen Klatsch auszutauschen. Mit pikiertem Gesicht geziert ein Champagnerglas durch die Gegend zu balancieren lag ihr ebenso wenig.
„Guten Abend, meine Liebe“, Lady Holland strahlte die Herzogin von Richmond an, “wie reizend, Sie zu sehen!“ Die Gastgeberin war eine große, aufrechte, hagere Frau. Sie überragte viele der Männer im Ballsaal. Obwohl sie fast siebzig Jahre alt war, trug sie das ergraute Haupt stolz erhoben. Sie hielt sich so aufrecht, wie ein Gardegrenadier. Das hochgesteckte Haar krönte ein ausgefallenes, sehr modisches Diadem. Es funkelte im Schein der Kronleuchter, wie ein Regenbogen. Sie hatte ein Kleid in einem ganz außergewöhnlichen Farbton ausgewählt, weder Silber, noch grau. Die Aufmachung war meisterhaft. Sämtliche Details dienten nur einem Zweck: Lady Hollands feinen Züge, ihre makellose Haut und ihre ungewöhnliche Haarfarbe zu unterstreichen. Nachdem sie Georgianas Hand einen langen Augenblick freundschaftlich festgehalten hatte, wandte sie sich an die älteste Tochter der Herzogin: “Dr.Lennox, eine seltene Freude, einen viel beschäftigten, begabten Mediziner in unserer Mitte begrüßen zu dürfen. Wie geht es Sir James McGrigor? Wir erwarten mit großer Spannung den Wohltätigkeitsball für das Krankenhaus des Malteser-Ordens.“ Sie zwinkerte Sarah, wie eine Verschwörerin zu. Diese trug den offiziellen Titel Lady Lennox. Doch sie schätzte es, mit ihrem hart erarbeiteten Doktortitel angesprochen zu werden. Vor allem in der Öffentlichkeit. Sarah hatte achtzehnjährig, bei Nacht und Nebel ihrer Heimat den Rücken gekehrt, um an der berühmten Medizinschule von Montpellier im Herzen des französischen Feindeslandes zu studieren. Sie war davon besessen gewesen, Chirurg zu werden. Erst vor zwei Jahre war sie wieder nach England zurückgekehrt. Sie hatte einen abenteuerlichen, gefährlichen. Umweg über das unbesetzte Gebiet der Hansestadt Hamburg gemacht und war als Mann verkleidet gereist. Es war natürlich der perfekte Skandal gewesen. Ganz London hatte sich wochenlang den Mund über die Älteste des Herzogs von Richmond zerrissen. Trotzdem war sie heute eine der wenigen Frauen Englands, deren Fachwissen und Kompetenz in der Öffentlichkeit Beachtung fanden. Nachdem Lady Holland noch ein paar kurze Worte mit jedem der drei jüngeren Richmond-Mädchen gewechselt hatte, wandte sie sich wieder ihren anderen Gästen zu. Ein Lakai rief die Namen der Herzogin und ihre Töchter aus und die zunächst Stehenden wandten sich um. Eine stattliche Frau, etwas älter, als Georgiana und mit einem Gesicht, dass auf eine sehr eigenwillige Art attraktiv war, löste sich sofort aus einer Gruppe, glitt auf sie zu und streckte ihr beide Hände entgegen: „Haben Sie Neuigkeiten aus Dublin, meine Liebe? Konnten der Herzog und der junge Wellesley-Pole irgendetwas erreichen?“, Lady Bessborough war die Gemahlin von Sir William Ponsonby. Er galt als die graue Eminenz der Liberalen. Was die Whigs mit ihren politischen Gegner im Parlament nicht regeln konnten, lösten oftmals Lady Bessborough und Georgiana während irgendeines Balls, Dinners oder bei einem gemeinschaftlichen Theaterbesuch. „Unterschätzen Sie die Radikalen nicht, Ann! Dieser O‘Flaherty ist genau der Mann, den die Katholiken sich gewünscht haben. Er ist nicht nur in seinen eigenen Kreisen beliebt, sondern hat es auch geschafft, zusätzliche, konservative Wähler anzuziehen. Er überfordert nie den Intellekt seiner Zuhörer. Er rührt auch nicht an den traditionellen Vorurteilen, die die protestantische Wähler, vor allem die Kaufleute und die andere Mitglieder der gewerbetreibenden Mittelschicht des County Galway haben!“
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