Falschsegmentierungenvon transparenten Wörtern treten in der Sprachverwendung auch bei Muttersprachlern auf. Beispielsweise bei Ambiguitäten wie in dem Satz: Im Umschlag ist ein Druckerzeugnis. Zu Druckerzeugnis existieren die Lesarten ‘Druck-Erzeugnis’ oder ‘Drucker-Zeugnis’ (siehe weiter dazu Römer, 2009) Römer, C.oder bei „wenig vertrauten fremdsprachlichen Entlehnungen.“ marode(Plank, 1981, S. 68) Dies ist beispielsweise bei dem aus dem Französischen entlehnten Adjektiv marode der Fall, das „letztlich auf frz. maraud ‘Vagabund, Bettler, Lump, schlechter Kerl’ zurück“ geht. (Pfeifer, 1989, Bd. 2, S. 1066) Komplexe Fremdwörter werden am Beginn ihres Auftretens häufig als Simplizia wahrgenommen: „Wiederholen sie sich mit immer den gleichen Affixgruppen, können wir die Fremdaffixe langsam als eigenständige Morpheme erkennen, und wir zerlegen die Fremdwörter nachträglich in ihre morphologischen Bestandteile, das heißt, wir realisieren die Form.“ (Elsen, 2014, Kap. 9.2)
3.2 Arten von komplexen Wörtern Wörter;komplexe;Arten
In der Literatur haben sich verschiedene Blickwinkel auf die Differenzierung komplexer Wörter etabliert.
Zum einen werden sie nach der Produktivität der Wortbildungdifferenziert: Jene, „die durch produktive Prozesse gebildet werden und daher morphosyntaktisch und semantisch regelmäßig sind.“ Andere, „die zwar morphologisch komplex sind, aber entweder nicht auf allen Ebenen kompositionell sind oder keinem produktiven Muster angehören.“ (Schmid u.a., 2001, S. 2) Es kann also nicht strikt unterschieden werden in regelbasiert gebildete und nicht regelbasierte komplexe Wörter, weil es Übergangserscheinungen gibt.
Ein anderes Kriterium ist, ob historisch komplexe Wörter transparentsind, ob sie synchron noch in Komponenten zerlegt werden können. Wenn dies nicht der Fall ist, werden sie als Simplizia im Lexikon gespeichert. (Schmid u.a., 2001, a.a.O.) Während Wasserglas ohne Probleme in die Konstituenten Glas und Wasser (‘Glas für Wasser’) zerlegt werden kann, ist dies bei Kleinod (‘Kostbarkeit’) nicht der Fall, da es in der Gegenwartssprache keine Minimaleinheit Od gibt. UsualitätDie komplexen Wörter werden auch hinsichtlich der Usualität(Üblichkeit) differenziert. Man unterscheidet usuelle von okkasionellen, beispielsweise bei Bhatt (1991, S. 27). Bhatt, C.In dem nachfolgenden Beispiel ist das Wort Superreiche enthalten, das ein usuelles komplexes Wort ist. Die Schöpfung ( Geldver- ) Mähren wird sicher okkasionell (nicht usuell) bleiben und nicht in den deutschen Wortschatz eingehen.
[…] würden wir gern wissen, um wen es sich bei den vier anderen Superreichen aus Böhmen und ( Geldver- ) Mähren handelt […]1
Neben den morphologisch-semantisch komplexen Wörtern können phonologischkomplexe Wörter bestimmt werden. SpracheGliederungdoppelteDie menschliche Sprache ist doppelt gegliedert, d.h. neben einer inhaltlichen Strukturierung ist auch eine rhythmische Organisation vorhanden. Während die Morpheme die inhaltlichen Grundeinheiten sind, die es ermöglichen, auch bisher unbekannte Wörter zu interpretieren, bilden die Silben auf der Ausdrucksebene die Sprechgrundeinheiten, da sie sich auf einen Zug aussprechen lassen. Sie bilden sich unabhängig von ihrer Bedeutung. Das Wissen um sie, ermöglicht es, auch bei neuen Wörtern eine Resilbifizierung vorzunehmen. Außerdem sind sie maßgeblich für die deutsche Worttrennung am Zeilenende (Silbentrennung). Im Deutschen ist die Morphemstruktur mit der Silbenstruktur häufig nicht übereinstimmend, beispielsweise bei biegen (bieg+en [bi:.gən]) (genauer in Römer und Voß, 2010). Römer, C.Voß, H.
Hinsichtlich der rhythmischen Wortstruktur sind einsilbige von den mehrsilbigen (silbig komplexen) Wörtern zu unterscheiden, Beispiele nachfolgend:
Baum, Maus , … = einsilbig
ha-ben, Mie-te … = zweisilbig
ein-tei-len, Schluss-leuch-te … = dreisilbig
Tret-boot-ver-leih, Ze-bra-strei-fen … = viersilbig
Cha-rak-te-ris-tik, Pup-pen-the-a-ter …= fünfsilbig
…
Zusammenfassend unterscheiden wir nach unterschiedlichen Kriterien (Transparenz, Wort- und Wortformenbildung, Lexikalisierung, Silbigkeit) synchron folgende Arten von komplexen Wörtern(KW):
1 morpho-semantisch transparente KW
2 eingeschränkt kompositionell transparente KW
3 KW mit derivationellen Wortbildungsmarkern
4 zusammengesetzte Bildungen KW
5 usuelle KW
6 okkasionelle KW (Augenblicksbildungen)
7 phonologisch KW (Mehrsilber) Wörter;komplexe
3.3 Wortbildung Wortbildung
3.3.1 Funktion der Wortbildung WortbildungFunktion
Der Wortschatz ist ein dynamisches System, das sich in ständiger Veränderung befindet. Ein Aspekt dabei ist die potentiell unbegrenzte Wortschatzerweiterung durch die Bildung neuer Wörter. Dabei werden unter Zuhilfenahme des vorhandenen Sprachmaterials neue Wörter (= Wortbildungen) geschaffen. Die Bildung neuer Wörter erfolgt auch in Analogie zu den vorhandenen, beispielsweise Hausfrau > Hausmann , rauchen > dampfen . Die Wortbildungslehre, ein Teilgebiet der Morphologie, hat aus der Analyse der vorhandenen Wörter „Normen“ für das Bilden von Wörtern abgeleitet.
Die Bildung von komplexen Wörtern schließt Bezeichnungslücken und eröffnet die Möglichkeit Texte zu verdichten, indem aus syntaktischen Fügungen kürzere Wörter werden, beispielsweise Der Pullover kann gewaschen werden, er ist waschbar. Die Komprimierung wird oft bei der Komposition übertrieben. Es entstehen dann sogenannte besonders lange Bandwurmwörter Bandwurmwortwie Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung .
(Zu dem Sprachwissen, das wir uns aneignen, gehört auch) ein Wissen um die Funktionalität der Wortbildung. Da es keine einfache Funktionszuordnung gibt, haben Wortbildungen, je nach den Textteilen, in denen sie vorkommen, und je nach der stilistischen Intention des Textes, einen unterschiedlichen Platz, und bedingt auch die Präferenz für unterschiedliche bzw. auch unterschiedlich auffällige Bildungen.
(Eichinger, 2012, S. 30)
Das oben angeführte Bandwurmwort ist stilistisch eindeutig als Wort aus der Rechtssprache erkennbar und für die Alltagssprache nicht geeignet. Die morphologisch inkorrekte Wendung Hier werden sie geholfen wurde in der Werbesprache sehr bekannt, da dort Auffälligkeit ein Merkmal ist. In anderen Textsorten wird sie als Bildungsdefizit angesehen. Wie in Römer (2012) dargestellt, gibt es für Werbetexte spezielle Wortschatzgruppen. Beispielsweise treten Hochwertwörter wie biologisch oder fair oftmals auf fair(Beispiel in 3.0), diese gehen dann in dieser Textsorte auch häufig in Wortbildungen ein.
(3.0.) |
Biomineralwasser; biologisch-dynamische Präparate; Bio-Spiral. Der rein biologische Abflussreiniger Fairness im Handel; Fair Fashion; Unter dem Motto „Fairer Wein – Qualität und Genuss“ hatten die Fairtrade-Stadt Homburg und der Fairtrade-Kreis Saarpfalz … |
3.3.2 Typen, Muster und Regeln
Bezüglich der Regelhaftigkeit der Wortbildung kann man zwischen Typen, Mustern und Regeln unterscheiden (ausführlicher in Römer, 2015):
Die Wortbildungstypensind die grundlegenden Verfahren, die nach der Art der verwendeten Bestandteile differenziert werden. In der Regel unterscheidet man für die deutsche Sprache die Komposition (Wortzusammensetzungen) und Derivation (Wortableitungen). Manche, wie Donalies (2007), nehmen noch die Kurzwortbildung als dritten Typ an. Andere sehen sie als Sondertyp an. WortbildungTypen
Читать дальше