2.3. Autochthone Zwei- oder MehrsprachigkeitMehrsprachigkeitautochthone Zwei- oder
Die Territorien der europäischen NationalstaatenNationalstaaten sind keine einheitlichen Sprachgebiete und die Grenzen zwischen Sprachen und Dialekten sind nicht trennscharf. In Deutschland und den meisten EU-Ländern genießen die seit jeher angesiedelten Sprachen MinderheitenschutzMinderheitensprachen, wie es zuletzt die European Charter for Regional or Minority Languages betont, unterzeichnet von Europarat am 5. November 1992. Allerdings schützt die Charta weder die MigrantensprachenMigrantensprachen noch die Dialekte, selbst wenn deren Sprecher deutlich die Zahl der Teilhaber autochthoner Sprachen übersteigt. In den deutschen Gebieten haben die betroffenen Sprachen – Sorbisch, Friesisch, Dänisch, Romanes – oft eigene Institutionen, die sich der Weitergabe der Sprache an die nächste Generation widmen (↗ Art. 121-125). Die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte, die i.d.R. der entsprechenden SprachgemeinschaftSprachgemeinschaft angehören, ist nicht einheitlich geregelt.
3. Prinzipien der mehrsprachigkeitsdidaktischen Lehre
Die Anforderungen an die Lehrerausbildung stehen und fallen mit den anerkannten Lernzielen und der entsprechenden Qualifikation der Lehrerinnen oder Lehrer.
3.1. Anforderungen an die Lehrerausbildung als Bedingungen für die Förderung sprachenübergreifenden Lernens und der Sprachlernkompetenz
Sprachenübergreifende Spracharbeit verlangt von den Lehrkräften im Prinzip, dass sie möglichst eindeutig die Sprachlernprozesse ihrer Schülerinnen und Schüler erkennen, analysieren und dem Unterricht zuführen (können). Es kommt also nicht nur darauf an, formale Fehler zu benennen (zur Disambiguierung offener Sprachfragen erfüllt dies durchaus seinen Zweck), sondern deren Entstehung mit Blick auf die mentalen Prozesse de Lerner nachzuvollziehen. Hierzu ist die Fähigkeit erforderlich, entsprechende Strategien und Formate zielführend einzusetzen: Laut-Denk-ProtokollLaut-Denk-Protokoll, Analysen zur Erschließung zielsprachlicher Strukturen bzw. zum intelligent guessing , Erstellung und Überprüfung der lernersprachlichen HypothesengrammatikHypothesengrammatik(en), diagnostisches Schreibendiagnostisches Schreiben u.a.m. (↗ Art. 71, 84, 85) sowie Mehrsprachigkeit zu testen (↗ Art. 83). Was die sprachlichen Schemata (TransferbasenTransferbasen) angeht, so werden diese von den lernerseitig vorhandenen Sprachenkenntnissen gestellt: deutsche Mutter- oder Zweitsprache, Englisch, oft Französisch oder Latein und weitere sowie den schon vorhandenen Kenntnissen der Zielsprache. Eine Öffnung zu den MigrantensprachenMigrantensprachen ist erwünscht.
Dem von der Europäischen Union definierten mehrsprachigen Minimummehrsprachiges Minimum kann lehrseitig zumindest tendenziell entsprochen werden, wenn neben der deutschen Sprache die gängigen SchulfremdsprachenSchulfremdsprachen den Lehrkräften in ihren Grundzügen bekannt sind, so dass sie TransferbasenTransferbasen aus den voraus gelehrten Sprachen erkennen und nutzen können. (Natürlich ist eine weiter gehende Sprachenkenntnis wünschbar.) Dies verlangt die Integration zumindest eines entsprechenden Moduls in die Ausbildung der Ersten Phase bzw. ein verstärktes Angebot einschlägiger Fortbildungen für Lehrende der deutschen Mutter- oder Zweitsprache und der Fremdsprachen. Hilfreich hierbei sind neben den EuroComEuroCom-Konzepten (↗ Art. 67; 68) ein Gesamtsprachencurriculum (↗ Art. 14), das die einzelzielsprachlichen nicht ersetzt, sondern im Sinne der Mehrsprachigkeit ergänzt.
3.2. Lebensweltliche Viel- und Mehrsprachigkeit sowie autochthone Sprachenautochthone Sprachen
Vorab: Dass Lehrerinnen und Lehrer selbstredend der schülerseitigen Mehrsprachigkeit Wertschätzung entgegenbringen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein, die hier nicht eigens ausgebreitet werden muss.
Der didaktische Zugriff auf die lebensweltliche Vielsprachigkeit greift weit über die konkrete Spracherwerbsarbeit und den Sprachunterricht hinaus. Es handelt sich um eine Transversalaufgabe des Bildungswesens, an der eine Vielzahl von Schulfächern beteiligt sind. Dies ändert sich, wenn die gesellschaftliche Vielsprachigkeit auf individuelle Mehrsprachigkeit ‚reduziert‘ wird und damit konkrete Zielsprachen benannt werden. In diesen Fällen greift die fremdsprachendidaktische Methodik mit ihren sehr unterschiedlich weit geöffneten Angeboten. Lehrziele wie interkulturelle Kompetenzinterkulturelle Kompetenz in Abstufung nach Altersstufen und Lerngruppen (Empathie, Offenheit gegenüber fremden Sprachen und Kulturen, Bereitschaft zur Revision des eigenen Standpunktes, KritikfähigkeitKritikfähigkeit gegenüber eigen- und fremdkulturellen Positionen, Hineinnahme und Aufwertung von ThemenThemenherkunftskulturelle aus der einen oder anderen Herkunftskultur in den KlassenraumdiskursKlassenraumdiskurs) legen keine zielsprachlichen Progressionsmuster nahe. Nützen können Deskriptoren wie die des RePARePA (Candelier et al. 2009) (↗ Art. 20). – Gleiches lässt sich auch von der Lehrbarkeit der autochthonen Sprachen sagen. Hinzuzufügen ist: Bezüglich der interkulturellen Kompetenz umgreift diese nicht nur die Kommunikation in einer FremdspracheKommunikation in der Fremdsprache, sondern auch die in der Mutter- Mutterspracheoder Zweitsprache im Umgang mit fremdsprachigen Partnern. Kommunikative Strategien (↗ Art. 44) sind hier an einer Partnerhypothese im Sinne Bühlers (1934) auszurichten. Das Zusammenwirken von Lehrkräften der unterschiedlichen Schularten und -stufen ist ein dringendes Desiderat. Das Netzwerken in gemeinsamen Fortbildungen ist vor diesem Hintergrund zu fördern.
4. Aktuelle Forschungsdesiderata
Für den schulischen Fremdsprachenunterricht fehlen belastbare Erhebungen zur realen Unterrichtsführung, die verlässliche Grundlagen für eine (dynamische) Auditierung liefern könnten. Außerhalb der Schule wurde immerhin von der Stiftung Warentest (2007) „under cover“ Englisch- und Spanischunterricht beobachtet, nach definierten Qualitätsstandards bewertet und in der gleichnamigen Zeitschrift publiziert.
Auch die Forschungsmethodik ist in Teilen zu bemängeln: Es irritiert, wenn – wie mehrfach nachweisbar – innerhalb der Subjektiven Theorien-Forschung Fragestellungen ( beliefs ) aufgeworfen werden, ohne dass die den Probanden vermittelten Unterrichtserlebnisse als deren Voraussetzungen deutlich gemacht und als „irrig“ gekennzeichnet wurden. So macht es keinen Sinn, im Zusammenhang mit spät erlernten Fremdsprachen nach „InterferenzerfahrungenInterferenzerfahrung“ zu fragen – ohne dass geklärt wurde, ob und wie im Unterricht solchen Fehlern entgegengewirkt wurde. Solche Forschungen tragen oft zur Festigung falscher Vorstellungen bei. Die Folge sind dann, wie im Fall mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze immer wieder zu beobachten ist, Simplifizierungen, die dem Mehrsprachenerwerb und den Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung entgegenwirken. Auf diese Weise kolportiert und festigt die Forschung selbst falsche „beliefsbeliefs“. Forschungsdesigns sind daher insbesonders unter dem Gesichtspunkt ihrer methodischen Validität zu überprüfen.
Dies zeigt, warum die Lehrerbildung auch die Kompetenz, empirische Forschung zu beurteilen, vermitteln muss.
Apeltauer, E. (2009): Begutachtet, gefördert, sprachlich top? Sprachstandserhebungen und Sprachförderung im Vorschulalter. In: Friedrich Jahresheft Schüler: Migration , 60-63.
Baur, R. S. (2001): Mehrsprachigkeit durch Spracherhalt bei Migrantenkindern. In: D. Abendroth-Timmer & G. Bach (Hrsg.): Mehrsprachiges Europa. Festschrift für Michael Wendt zum 60. Geburtstag . Tübingen, 15-25.
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