Die parallel formulierte Auflistung der Parteilosungen bildet dabei nur den Anfang. Als könnten Παῦλος, Ἀπολλῶς oder Κηφᾶς gleichwertig neben Christus treten. An seiner eigenen Person führt Paulus dies beispielhaft genauer aus: μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1,13b.c). Dabei ist er noch nicht einmal ein häufiger Täufer, sondern vielmehr dankbar, ὅτι οὐδένα ὑμῶν ἐβάπτισα εἰ μὴ Κρίσπον καὶ Γάϊον […] (1,14). Wer in Korinth normalerweise tauft, bleibt offen. Doch worin begründet sich diese Dankbarkeit oder vielleicht eher Erleichterung? ἵνα μή τις εἴπῃ ὅτι εἰς τὸ ἐμὸν ὄνομα ἐβαπτίσθητε (1,15). Und ist dies tatsächlich der einzige Grund?1
Wenn Paulus befürchten muss, man hätte auf seinen Namen getauft, wird zwar verständlicher, wie er auf den zuvor angeführten Vergleich Christus – Paulus kommen konnte. Aber ist dies wirklich geschehen oder ist es zu befürchten? Und wenn ja, wie kam es dazu, dass man auf einen anderen Namen als auf den Christi tauft? Und führt dieser Fehler bei der Taufe zu den kritisierten Gruppenbildungen oder haben diese noch einmal einen anderen Ursprung?
2.2 ἵνα […] μὴ ᾖ ἐν ὑμῖν σχίσματα (1Kor 1,10)
Die paulinische Argumentation in 1Kor 1 setzt voraus, dass die Mitglieder der Korinthischen Gemeinde getauft sind und problematisiert darüber deren gegenwärtige Aufsplitterung in mehrere Gruppen. Die meist „Parteien“ genannten Gruppierungen zeichnen sich durch eine jeweilige Zuordnung zu Paulus, Apollos oder Kephas aus. Dass es eine vierte, eine „Christus-Gruppe“ gibt, wirkt bereits irritierend, mehr noch die folgenden, rhetorisch zu verstehenden Fragen: μεμέρισται ὁ Χριστός; μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1,13). Damit will Paulus aufzeigen, dass die korinthische Situation längst nicht nur menschliche Sym- und Antipathien zum Ausdruck bringt oder in Spannung zu einem harmonischen Bild von Gemeinde steht. Vielmehr handelt es sich um einen tatsächlichen Widerspruch zu dem, was Christi Kreuz und die Taufe auf seinen Namen eigentlich bewirkt haben müssten. An seiner eigenen Person erklärt er: Eine Paulusgruppe wäre nämlich nur dann legitim oder vorstellbar, wenn er für die Korinther gekreuzigt worden wäre und sie auf seinen Namen getauft worden wären.
Die anfängliche Ermahnung ἵνα τὸ αὐτὸ λέγητε πάντες (1,10) und die Befürchtung von σχίσματα scheint in der Erwähnung der Gruppierungen1 eine Erläuterung zu finden: ὅτι ἕκαστος ὑμῶν λέγει· ἐγὼ μέν εἰμι Παύλου, ἐγὼ δὲ Ἀπολλῶ, ἐγὼ δὲ Κηφᾶ, ἐγὼ δὲ Χριστοῦ (1,12). Die nachfolgenden drei Fragen sind demnach als kritische Hinterfragung der Situation zu verstehen: μεμέρισται ὁ Χριστός; μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1,13). Es ist daher zunächst im Folgenden zu klären, um welche Art von Gruppierungen es sich dabei handelt und wie deren Zustandekommen zu erklären ist.
2.3 ἐγὼ μέν εἰμι Παύλου, ἐγὼ δὲ Ἀπολλῶ, ἐγὼ δὲ Κηφᾶ, ἐγὼ δὲ Χριστοῦ (1Kor 1,12)
Bei den vier von Paulus referierten Selbstaussagen handelt es sich um Genitive der Zugehörigkeit,1 mit deren Hilfe „sich die einzelnen exklusiv einer Autorität zu[ordnen]“.2 Doch wurden diese drei Protagonisten der frühchristlichen Kirche tatsächlich gleichwertig mit Christus wahrgenommen, wie es die parallele Konstruktion vermuten lässt und demnach in einem Konkurrenzverhältnis gesehen? Schnackenburg sieht dies zwar nicht gegeben, wohl aber eine gewisse Gefahr dahingehend.3 Diese Vermutung scheint zwar vorstellbar, wird von ihm aber in keiner Weise begründet. Eine nähere Bestimmung der Art des Zugehörigkeitsgefühles und dessen Zustandekommen wären hilfreich. Es wird diesbezüglich verschiedentlich versucht, eine Gemeinsamkeit der Bedeutung bzw. Funktion der drei / vier Personen festzustellen, welche näheren Aufschluss über die Entstehung der Gruppierungen geben könnte.4
Es handelt sich bei Paulus5 und Apollos6, wie an späterer Stelle (1Kor 3f) noch ausführlicher thematisiert, um Mitarbeiter der Gemeinde: Paulus bezeichnet sich in diesem Zusammenhang als denjenigen, der den Grund gelegt (θεμέλιον ἔθηκα [3,10]) bzw. gepflanzt hat (ἐγὼ ἐφύτευσα [3,6]), Apollos habe weitergebaut (ἄλλος δὲ ἐποικοδομεῖ [3,10]) bzw. gegossen (ἐπότισεν [3,6]). Auch Kephas7 findet noch verschiedentlich Erwähnung – stets in neutralen oder positiven Zusammenhängen (3,22; 9,5; 15,5.11). Nach Paulus handelt es sich dabei um unterschiedliche, aber gleichwertige Dienste (ἕν εἰσιν [3,8]). Dagegen betont Paulus, dass diese Beiträge sich fundamental von demjenigen Christi8 und Gottes (ὁ αὐξάνων θεός [3,7]) unterscheiden. Der Versuch, eine Gemeinsamkeit zwischen den benannten Parteihäuptern festzustellen und darüber Vermutungen über die Entstehung der Gruppierungen anstellen zu können, bleibt also ohne Ergebnis. Allein aus dem Wissen, welches man über die Personen und ihr Verhältnis zur korinthischen Gemeinde hat, lässt sich auch kaum belegen, dass sich das enge Zugehörigkeitsgefühl über die Verbindung Täufer–Täufling entwickelt haben könnte. Inwieweit das Taufverständnis aber durchaus Einfluss auf die korinthische Situation gehabt haben dürfte, wie es ja die nachfolgende Argumentation des Paulus vermuten lässt, wird an späterer Stelle noch eingehender diskutiert.
2.4 μεμέρισται ὁ Χριστός; μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1Kor 1,13)
Dass derartige Gruppenbildungen dazu führen, dass Streitigkeiten entstehen bzw. man nicht mehr mit einer Stimme spricht, lässt sich leicht vorstellen, falls sie nicht als Reaktion auf bereits vorhandene unterschiedliche Positionen entstanden sind. In welcher Weise aber passt die nachfolgende Argumentation des Paulus zu der kritisierten Gruppenbildung? Zwei Richtungen der Kritik lassen sich ausmachen: Zunächst eine grundsätzliche an den Spaltungen: μεμέρισται ὁ Χριστός; (1,13a),1 sodann eine spezielle Kritik an der Vorstellung, sich als Christ einer bestimmten Person zugehörig, gar verpflichtet zu fühlen: ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1,13c). Erstere Kritik scheint in den dann folgenden Versen nicht weiter aufgegriffen zu werden, wohl aber an späterer Stelle in 1Kor 12–14, wo stets die grundlegende in Christus gegebene Einheit bei aller Verschiedenheit der Einzelnen betont wird.
Gerade das Bild des Leibes verdeutlicht, dass es hierbei für Paulus nicht um einen verhandelbaren Aspekt2 geht, sondern dass das Verhalten der zu einem Leib zusammen Getauften Auswirkungen hat bis dahin, dass spalterisches Verhalten Christus „zerteilt“, die Gemeinde also bis zur Nichtfunktionstüchtigkeit bzw. Lebensfähigkeit hin schädigen kann.3 Angesichts der tatsächlich existierenden Gruppierungen in der Gemeinde scheint μεμέρισται ὁ Χριστός; keine rhetorische Frage zu sein, sondern vielmehr das „Vor-Augen-Malen“ der Konsequenzen der derzeitigen Situation.
Ausführlicher widmet sich Paulus am Beispiel seiner eigenen Person der zweiten Kritik: der selbsterklärten Zugehörigkeit zu einer Person. In diesem Zusammenhang sind zwei Fragen zu bedenken: Wie sind die unterschiedlichen Bezugnahmen auf die Taufe zu verstehen?4 Und ist der Abschnitt grundsätzlich rhetorisch und damit teilweise als irreal zu verstehen? Diese Fragen werden meist im „Fahrwasser“ der Überlegungen zu den korinthischen Gruppen(-entstehungsgründen) gesehen, wobei die Mehrheit der Exegeten folgende Argumentationslinie verfolgt: Wenn es sich bei den drei ersten Gruppenhäuptern nicht um die Täufer der ihnen Anhängenden handelt, dann ist die These hinfällig, dass sich das besonders enge Verhältnis durch den Taufakt entwickelt habe. Also hat die Gruppenbildung nichts mit der Taufe zu tun und unterschiedliche Taufverständnisse und daraus möglicherweise resultierende Streitigkeiten scheiden als Erklärung aus. Die von Paulus gestellte Frage ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1,13c) bzw. seine Befürchtung ἵνα μή τις εἴπῃ ὅτι εἰς τὸ ἐμὸν ὄνομα ἐβαπτίσθητε (1,15) sind damit rein rhetorisch zu verstehen. Paulus führt demnach die Taufe in einer – für die Korinther offensichtlichen – verdrehten Art und Weise an, ähnlich seiner vorangehenden Frage: μὴ Παῦλος ἐσταυρῶθη ὐπὲρ ὺμῶν; (1,13b).
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