Statische und dynamische Rahmen. In der Literatur wird zwischen statischen und dynamischen Rahmen unterschieden. Erstere zeichnen sich dadurch aus, dass keine zeitliche Dimension involviert ist, während dynamische Rahmen ohne diesen zeitlichen Aspekt auskommen.37 Ein Beispiel für einen statischen Rahmen ist ZIMMER mit seinen prototypischen Elementen WAND, FENSTER, DECKE, BODEN, MÖBEL. Bei statischen Rahmen spielt die zeitliche Dimension keine Rolle. Daneben gibt es dynamisch strukturierte Wissensrahmen. Sie repräsentieren Handlungs- und Ereignisfolgen und werden Scripts genannt. Das klassische Beispiel ist das RESTAURANT-Skript, das sich aus der Perspektive des Gastes in verschiedene zeitlich und kausal aufeinander folgende Handlungen gliedert wie EINTRETEN, TISCH WÄHLEN, PLATZ NEHMEN, KARTE LESEN etc., die zum Teil in weitere Teilhandlungen zerlegt werden können. Dabei sind häufig auch Objekte, d.h. statische Elemente involviert wie TISCH, KARTE, SERVIETTEN. Prototypische Abläufe können in der Regel aus verschiedenen Perspektiven beschrieben werden. Neben dem Gast können zum Beispiel der Koch, der Kellner oder der Besitzer ins Zentrum der Handlungsfolge rücken. Dadurch können sich alternative Handlungsabläufe ergeben, die mit diesen zum Rahmen gehörenden Rollen verbunden sind.38 Zusätzlich gibt es verschiedene Spezialfälle wie den Besuch in einer Cafeteria oder in einem Imbiss, die eine Variation sowohl des zugrunde liegenden Ablaufs als auch der involvierten statischen Elemente darstellen.39
Universelle Anwendbarkeit. Dass sich Wissensrahmen zur Beschreibung statischer und dynamischer Entitäten anbieten, hebt ihr universelles Beschreibungspotential hervor. Deutlich wird dies auch durch die Aufzählungen verschiedener Autoren. Rumelhart nennt Objekte, Situationen, Ereignisfolgen, Aktionen und Aktionsfolgen.40 Van Dijk nennt daneben Personen, Rollen, Handlungen, Konventionen, Normen.41 Minsky beschreibt zusätzlich sprachbezogene Rahmen, die unter anderem grammatische Aspekte und den Aufbau von Geschichten einschließen.42
I use the word scene in a maximally general sense, including not only visual scenes but also familiar kinds of interpersonal transactions, standard scenarios defined by the culture, institutional structures, enactive experiences, body image, and, in general, any, kind of coherent segment of human beliefs, actions, experiences or imagings.43
Abstraktionsgrade von Schemata.Rumelhart und Ortony unterscheiden zwischen spezialisierten und generellen Schemata. Erstere unterstützen das effiziente Zuordnen von Variablen in kurzer Zeit. Generalisierte Wissensrahmen eignen sich dazu, eine große Anzahl verschiedener Datenpotentiale zu subsummieren und zu verarbeiten. Demnach könnte das Wissen ein allgemeines Konzept für WERFEN beinhalten, dass eine Spezialisierung erfährt, sobald man es auf ein Dartspiel anwendet. Dort wird WERFEN hinsichtlich der Wurftechnik spezifiziert,44 die anders ausfällt als zum Beispiel beim Diskus- oder Waschmaschinenwerfen. Der Abstraktionsgrad ergibt sich relativ zu anderen Konzepten, sodass ein Konzept im einen Fall als abstrakter gilt und im anderen Fall als spezieller. WERFEN zum Beispiel wäre ein Spezialschema von BEWEGUNG.
Weitere Beispiele für abstrakte Konzepte sind die thematischen Rollen, die unter anderem fest etablierte umfassen wie Agentiv, Instrumental, Lokativ etc.45 Sie werden nicht als idiosyncratic verstanden, es handelt sich um Rollen, die in einer großen Anzahl von Situationen zum Tragen kommen.46 In der Regel werden sie in verbzentrierten Ansätzen untersucht im Zusammenhang mit syntaktischen Strukturen. Der Kognitionslinguist Evans beschreibt diese Rollen als Leerstellen auf Satzebene.47 Neben intrasententialen Ansätzen greifen auch Studien zu transphrastischen Zusammenhängen auf diese Leerstellen zurück und zeigen, wie sie Satzgrenzen überschreitend gefüllt werden können (siehe zum Beispiel die indirekten Anaphern von Schwarz in Absatz 4.2.2). Von semantischen Rollen grenzt Evans participiant roles ab, die spezifischer sind und die auch mit Verben verbunden sind. Im RESTAURANT-Wissensrahmen wären dies zum Beispiel die Konzepte KELLNER, GAST, ESSEN etc. Thematische Rollen besitzen einen allgemeineren Status als diese Wissenselemente.48
Zum allgemeinsten und abstraktesten Wissen gehören auch Metaannahmen über kausale Zusammenhänge auf Ereignis- und Handlungsebene. Darunter könnten Wissensbestände fallen, die besagen, dass Handlungen Ziele verfolgen, dass alles eine Ursache hat, dass die Welt konstant bleibt und weitere logische, zeitliche etc. Zusammenhänge. (Welche Rolle dieses Wissen bei der Textrezeption spielt, wird in Absatz 4.2.2 bis 4.2.4, in Unterabschnitt 4.3.2, in Kapitel 5 und in Teil IIIdeutlich.)
Quellen des Wissens und Expertise.Schemata ergeben sich aus Erfahrung. Aus einer Vielzahl an Situationen leiten sich abstraktere Einheiten ab, die auf als rekurrent erkannten Elementen und Mustern basieren.49 Ziem unterscheidet dabei zwischen der Verfestigung von Leerstellen und der Verfestigung von Füllwerten (neben Füllwerten spricht er auch von Prädikaten ). Ersteres tritt dann ein, wenn eine Leerstelle häufig mit unterschiedlichen Füllwerten gesättigt wird. Ein Füllwert verfestigt sich, wenn er häufig die gleiche Leerstelle füllt. Auf diese Weise bilden sich Standardwerte heraus.50 Bei der Akquirierung von Wissen können neben der direkten sensorischen Wahrnehmung auch diskursive Übermittlungsformen eine Rolle spielen.51 Das gilt für nicht direkt erfahrenes physikalisches oder biologisches Wissen, wie zum Beispiel die evolutionäre Entwicklungen innerhalb der Jahrtausende umfassenden Menschheitsgeschichte etc.
Es lassen sich unterschiedliche Grade an Expertise bestimmen, wenn Schemata verschiedener Personen verglichen werden. Wissensstrukturen verschiedener Menschen variieren hinsichtlich des Grades ihrer Differenziertheit, ihrer Komplexität, hinsichtlich der Menge der mit einem Rahmen verbundenen Wissenselemente, dem Grad ihrer Vernetzung und ihrer Strukturierung.52
Das mentale Modell als Resultat der Einordnung sensorischen Inputs.Sobald ein mit dem sensorischen Input kompatibler Rahmen vorhanden ist, verschmilzt der bis dahin ungefüllte Rahmen mit den Daten zu einem mentalen Modell. Dabei werden Leerstellen gesättigt mit Daten, die sich einerseits ergeben aus dem Input der Wissensrahmen und andererseits aus dem Input empirischen und textuellen Datenmaterials53 – inklusive des vorangegangenen diskursiv aufgebauten mentalen Modells.54 (Wie das mentale Modell bei der Textrezeption konstruiert wird, beschreibt Kapitel 5, hier handelt es sich noch um eine modalitätsunabhängige Beschreibungsebene.) Standardannahmen führen dazu, dass ein mentales Modell informationsreicher ist als der sensorische Input. Rückblickend kann häufig nicht mehr rekonstruiert werden, welche Bestandteile sensorisch und/oder textuell gestützt sind und welche kognitiv elaboriert sind.55 Das erfolgreich konstruierte mentale Modell entspricht strukturell dem Weltausschnitt, den es repräsentiert.56
Bei der Konstruktion eines mentalen Modells kommt die entlastende und repräsentationskonstituierende Funktion der Wissensrahmen und Wissenselemente zum Tragen, die es ermöglicht, auf der Grundlage einer endlichen Menge an Wissensrahmen eine Vielzahl mentaler Modelle zu konstruieren.57 Aus einem einzelnen RESTAURANT-Skript lassen sich demnach konkrete mentale Modelle für jeden einzelnen Restaurantbesuch konstruieren.58 Der Unterschied zu Wissensrahmen ist also, dass mentale Modelle konkrete Anwendungsfälle von Wissensrahmen darstellen, was nicht bedeutet, dass alle Leerstellen mit spezifischen Füllwerten der Situation bestückt sein müssen.59 Mentale Modelle müssen auch nicht den prototypischen Strukturen entsprechen, da sie datengeleitet eine Variation darstellen können.
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