Philip Hausenblas
Spannung und Textverstehen
Die kognitionslinguistische Perspektive auf ein textsemantisches Phänomen
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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ePub-ISBN 978-3-8233-9155-5
Das Thema Spannung gilt als ein Phänomen der Trivialliteratur und siedelt sich nicht im linguistischen Mainstream an. Deshalb glaube ich, dass viele potentielle Betreuer aus der (germanistischen) Sprachwissenschaft dieses Thema für eine Dissertation nicht zugelassen hätten. Dass Dietrich Busse mir die Möglichkeit eröffnete, daran zu arbeiten, dafür bin ich ihm dankbar. Darüber hinaus danke ich ihm für die Unterstützung und die Ratschläge, die er mir über die gesamte Zeit hinweg in zahlreichen Gesprächen gegeben hat.
Ich danke Susanna Dinse, Kristin Kuck und Phillip Angermeyer dafür, dass sie die Arbeit gründlich gegengelesen haben, dass sie mich auf einige Schwächen aufmerksam gemacht und dass sie mir wertvolle Tipps zur Überarbeitung gegeben haben. Alexander Ziem hat mir in der Endphase einige konzeptionelle Ratschläge gegeben, auch dafür danke ich.
Ich danke meiner Lebensgefährtin Silvia Halajova dafür, dass sie mir immer zur Seite stand. Und ich danke meinen Eltern, sie haben mich mein Leben lang auf alle erdenklichen Arten unterstützt.
Düsseldorf, im April 2017 Philip Hausenblas
I Vorbemerkung
1 Einleitung
1.1 Spannung – ein vernachlässigtes Thema
Über Spannung spricht man nicht – zumindest nicht in Seminaren von Philologen und Diskussionsrunden von Linguisten. In Einführungen, in Nachschlagewerken und in der Sekundärliteratur findet sich kaum etwas zum Thema, was für die Linguistik und Literaturwissenschaft gleichermaßen gilt.
Spannung gilt als ein Phänomen der Trivialliteratur. Kein Wunder also, dass sie als Gegenstand der Forschung nicht präsent ist. Edward M. Forster bringt die abwertende Haltung gegenüber der Spannung auf den Punkt:
Scheherazade avoided her fate because she knew how to wield the weapon of suspense – the only literary tool that has any effect upon tyrants and savages.1
Zahlreiche Abhandlungen beschäftigen sich mit anderen Wirkungen von Texten. In der Rhetorik untersucht man, wie Argumente am nachhaltigsten wirken, wie Texte überzeugen. Sprachwissenschaftler erforschen die Sprache der Werbung, die per definitionem von der Wirkungsabsicht dominiert wird.2 Warum kümmert sich die Linguistik nicht um Strategien, die in einem Text Spannung generieren? Ist es Absicht oder Versäumnis?
Diese Frage drängt sich umso stärker auf, wenn man an die zunächst für das Medium Film bestimmte Beschreibung von Peter Vorderer denkt, der Spannung als Hauptfaktor bei der prärezeptiven und postrezeptiven Bewertung von Filmen beschreibt, die von Junkerjürgen auf Unterhaltungsliteratur ausgeweitet und damit auch für die Linguistik zugänglich gemacht wurde.3 In ähnlicher Weise äußert sich Volker Mertens, wenn er schreibt, dass die Hauptfaszination des Romans […] in der Spannungsstruktur4 liegt.
1.2 Relevanz von Spannung
In Science-Fiction-Texten, Fantasygeschichten und Kriminalromanen, in Zeitungsberichten über kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ereignisse, in Nachrichtenmeldungen, Interviews und Reportagen, in Reden, Sachbüchern und Biographien, in all diesen Textsorten spielt Spannung eine entscheidende Rolle.
Spannung besitzt in den verschiedensten fiktionalen und nicht fiktionalen schriftsprachlichen Textsorten einen zentralen Stellenwert. Gleichzeitig gilt sie als ein entscheidender Anreiz für den Konsum audiovisueller Texte. Kaum ein Film kommt ohne Spannung aus. Unabhängig davon, ob es sich um einen Hollywoodstreifen handelt oder um ein Werk der skandinavischen Avantgarde. Gleiches gilt für Werbetrailer, Serien oder TV-Shows wie Wer wird Millionär?
Dabei durchzieht Spannung die einzelnen Textsorten (inklusive der kinematischen bzw. audiovisuellen) in zweifacher Hinsicht. Zum einen wird sie innerhalb eines Textes aufgebaut, gehalten und wieder abgebaut. Zum anderen kann sie über Textgrenzen hinweg aufgebaut werden und spannt sich so einerseits über verschiedene Texte einer Modalität, was für Romanreihen gilt wie Harry Potter von Joanne K. Rowling oder Der Herr der Ringe von John R. R. Tolkien, die sowohl schriftsprachlich als auch in den adaptierten audiovisuellen Versionen über mehrere Einheiten verfügen. Darüber hinaus wird sie verschiedene mediale Kanäle überspannend aufgebaut. So werden Sportereignisse in crossmedialen Werbekampagnen aufgebläht, bei denen spannungsinduzierende Elemente aus allen erdenklichen Richtungen die Rezipienten überfluten. Dieser wird in Zeitungsartikeln, Fernsehbeiträgen und Rundfunkberichten mit der Frage konfrontiert, wer das Viertelfinale gewinnt, ob Griechenland gegen Spanien eine Chance hat und wer wohl Weltmeister wird. Zugleich werden statistische Fakten bemüht wie Seit 1972 hat England kein Spiel mehr gegen Deutschland gewonnen ; Krämpfe und Zerrungen von Spielern bestimmen die mediale Berichterstattung. Alles, um die Aufmerksamkeit auf Fragen wie diese zu lenken: Wird ein bestimmter Spieler beim nächsten Spiel antreten können? Dabei werden in der Regel Worst-Case-Szenarien aufgebaut, die darüber reflektieren, wie das Spiel ohne den besagten Spieler ausgeht, ob ohne ihn überhaupt eine Chance besteht.
Das gilt nicht nur für den Sport. Die gesamte mediale Berichterstattung verlässt sich in hohem Maße auf Spannung. Ein Blick auf die auflagenstärksten Zeitungen, Magazine und Boulevardblätter genügt. Häufig stehen lebensverändernde Einzelschicksale, Skandale und weltbewegende Ereignisse im Mittelpunkt. Fliegt der Publikumsliebling raus in der neuesten Castingshow? Verliert dieser Minister sein Amt? Wird jener Prominente verurteilt? Wer wird die Wahl gewinnen? Wird die Katastrophe nach Europa überschwappen?
Kurz: Spannung ist ein allumfassendes Prinzip mit hoher praktischer Relevanz, die sich nicht nur auf Literatur beschränkt, sondern einen Großteil des Medienkonsums prägt. Sie gilt als ein Garant dafür, die Aufmerksamkeit des Rezipienten zu gewinnen und zu sichern.
1.3 Spannung, eine vorläufige Arbeitsdefinition
Bei dem Begriff Spannung handelt es sich Junkerjürgen zufolge um einen Oberbegriff für viele Arten von medien-induzierter Affekterregung 5. Während sich im Deutschen im Bereich der Spannung keine weiteren Begriffe durchgesetzt haben, bietet das Englische Differenzierungen, die sich bei den wenigen Forschern zur Spannung etabliert haben. Bei den drei Haupttypen dieses textuellen Effekts handelt es sich um den Suspense, das Curiosity und das Puzzle.
Bei der Beschreibung von Spannung müssen zwei wesentliche Aspekte berücksichtigt werden: die textuelle Dimension und die Rezipientenseite. Beide sind für die Bestimmung von Spannung konstitutiv.6 Junkerjürgen bringt dies folgendermaßen auf den Punkt:
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