Philipp Weiß
Homer und Vergil im Vergleich
Ein Paradigma antiker Literaturkritik und seine Ästhetik
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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ePub-ISBN 978-3-8233-0013-7
Die hier publizierte Studie hat im Dezember 2015 der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertationsschrift vorgelegen; die Disputation erfolgte am 28. Januar 2016.
Mein erster und wichtigster Dank gilt Prof. Dr. Claudia Wiener, die die Arbeit angeregt und mit großem Einsatz und Interesse betreut hat. Der Accessus ad Vergilium wurde mir durch sie bereits im Studium bereitet. Ihre Aufgeschlossenheit und ständige Gesprächsbereitschaft, verbunden mit enzyklopädischer Fachkenntnis und philologischer Akribie, waren die idealen und keineswegs selbstverständlichen Voraussetzungen für den Doktoranden, ein so umfangreiches Projekt innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens fertigzustellen. Prof. Dr. Martin Hose hat dankenswerterweise das Korreferat übernommen und wichtige Anregungen gegeben, die mir die Synthese der Ergebnisse erleichterten. PD Dr. Bianca-Jeanette Schröder und Prof. Dr. Susanne Gödde (FU Berlin) waren spontan dazu bereit, das Drittgutachten über die Dissertation zu erstellen bzw. als Kommissionsmitglied bei der Disputation zu fungieren. Ihnen allen danke ich herzlich für die Zeit und Mühe, die sie für mich investiert haben.
Ermöglicht haben mir die Umsetzung meines Dissertationsvorhabens in der Anfangszeit ein Doktorandenstipendium der Hanns-Seidel-Stiftung und von 2013 bis 2016 eine Anstellung als Doctoral Fellow an der Graduiertenschule Distant Worlds (LMU München), wo ich ein in gleicher Weise intellektuell anregendes wie auch zwischenmenschlich erfüllendes akademisches Klima vorgefunden habe. Einzelne Abschnitte und Thesen konnte ich bei Vorträgen und Tagungen in München ( Forschungskolloquium an der Abteilung für Griechische und Lateinische Philologie , 2013), Salzburg ( Volturnia , 2014) und Eichstätt (Tagung zur „Philologie auf zweiter Stufe“, 2015) vorstellen.
Allen Diskutanten, Kollegen und Freunden, besonders auch den Mitgliedern meiner Focus area bei Distant Worlds ( Constructions of „the beautiful“ ), die mir ihre wertvollen Hinweise, Fragen, Anregungen und Kritik gegeben und z.T. einzelne Kapitel gegengelesen haben, sei an dieser Stelle aufrichtig gedankt. Nur wenige Namen sollen stellvertretend für viele weitere stehen: Dr. habil. Anna Anguissola (Pisa), Nadiya Eberts, Manuel Förg, Prof. Dr. Jens-Uwe Hartmann, Constanze Pabst von Ohain, Dr. Stefano Rocchi, Prof. Dr. Rolf Michael Schneider, Martin Schrage, Dr. Verena Schulz, Dr. Paolo Visigalli (Shanghai), Dr. Isabella Wiegand, Alexander Winkler. Einen besonderen Anteil an der Entstehung dieses Buches hat Ulrich Feckl.
Prof. Dr. Claudia Wiener und Prof. Dr. Martin Hose haben die Arbeit in ihre Reihe Classica Monacensia aufgenommen. Die Drucklegung wurde durch Zuschüsse der Graduiertenschule Distant Worlds und der FAZIT-Stiftung ermöglicht. Diesen Personen und Institutionen bin ich für ihre freundliche Unterstützung in den praktischen Belangen meines Publikationsprojekts eigens zum Dank verpflichtet.
Gewidmet sei dieses Buch den drei Menschen, die mich seit frühester Kindheit in vielerlei Hinsicht unterstützt und hinter mir gestanden haben, meinen Eltern Rosa Maria und Erwin Weiß, sowie meiner Tante Agnes Weiß (†22. September 2016).
München, April 2017
1. Einleitung
1.1 Die Verhandelbarkeit des Kanons: Vier spätantike Epigramme zur Einführung
In der Sammlung (spät-)antiker und frühmittelalterlicher Kleindichtung, die seit ihrer editorischen Bearbeitung durch Alexander Riese den Titel Anthologia Latina trägt, findet sich eine beträchtliche Anzahl von Gedichten über Vergil. In einigen von ihnen ist es den Autoren speziell um die Frage zu tun, welchen Platz der Dichter der Aeneis im Kanon der griechisch-römischen Literatur einnimmt. So in dem folgenden, unter dem Namen des Alcimus1 überlieferten Epigramm mit der Überschrift Virgilius ( Anth. Lat. 674 a 2Riese):2Anthologia Latina674a R.
Maeonium quisquis Romanus nescit Homerum, | Me legat, et lectum credat utrumque sibi. | Illius immensos miratur Graecia campos; | At minor est nobis, sed bene cultus ager. | Hic tibi nec pastor nec curvus deerit arator. | Haec Grais constant singula, trina mihi.
(„Ein jeder Römer, der den Mäonier Homer nicht kennt, soll mich lesen und glauben, dass er damit beide gelesen hat. Griechenland bewundert die unermesslichen Felder jenes Dichters – unser Acker hingegen ist kleiner, dafür aber gut gepflegt. Hier wirst du weder den Hirten noch den Pflüger mit krummem Rücken vermissen. Für die Griechen macht das alles nur ein einziges Werk aus, für mich drei.“)
Das Gedicht ist, worauf schon der Titel hinweist, als Ethopoiie gestaltet, eine in der Spätantike beliebte Form des Dichtens über Literatur.3 Vergil spricht also selbst: Er richtet sich an ein römisches Publikum , erhebt scherzhaft den Anspruch künstlerischer Gleichrangigkeit mit Homer – die Lektüre seiner Werke könne die Homerlektüre gleichsam ersetzen –, formuliert dann aber einen Unterschied zwischen sich und Homer hinsichtlich der leitenden ästhetischen Prinzipien – immensos … campos vs. cultus ager 4 –, und bezieht außerdem Eklogen und Georgica in den Wettstreit mit Homer ein, der hier hauptsächlich als Dichter der Ilias in Betracht kommt ( singula vs. trina ). – In einem anderen Gedicht, ebenfalls dem Alcimus zugeschrieben, wird die Perspektive des Mantuaner Dichters durch den auktorialen Blickwinkel des Literaturkritikers ersetzt. Es trägt entsprechend den Titel De Virgilio und lautet ( Anth. Lat. 740 2Riese):Anthologia Latina740 R.
De numero vatum si quis seponat Homerum | Proximus a primo tunc Maro primus erit. | At si post primum Maro seponatur Homerum, | Longe erit a primo, quisque secundus erit.
(„Wenn einer Homer aus der Zahl der Dichter streicht, dann wird Maro, der dem ersten am nächsten steht, der erste sein. Wenn man hingegen Maro hinter dem erstplatzierten Homer streicht, so wird, wer auch immer dann der zweite ist, im weiten Abstand hinter dem ersten abgeschlagen sein.“)
Anstelle der von Vergil im ersten Gedicht selbstbewusst beanspruchten Gleichrangigkeit steht hier die nüchterne Rechnung des Literaturkritikers, der mit der Autorität einer sich über die Jahrhunderte hin verfestigten communis opinio die Rangverhältnisse festsetzt: Vergil, der „ewige Zweite“, rangiert nicht weit hinter seinem erklärten Vorbild Homer, erhebt sich aber über alle anderen (griechischen und lateinischen) Dichter, die sich im gehörigen Abstand auf die hinteren Plätze verwiesen sehen.5 – Diese differenzierte Rangabstufung hatte bekanntlich Quintilian in seinen Lektüreempfehlungen für den angehenden Redner ( inst. 10, 1, 46–131)6 unter Berufung auf Cn. Domitius Afer (cos. 39 n. Chr; †59 n. Chr.)7 in gleicher Weise definiert ( inst. Quintilianinst. 10, 1, 86 10, 1, 86):
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