Die ersten sieben Abschnitte stimmen auf den historischen Kontext ein und bilden den historischen Rahmen einer besonderen, schweren Zeit:
Da vnser getrewer HErr und Heyland Jesus Christus seine libe Juenger / vund uns alle lehret /wie wir vns in den letzten zeiten verhalten sollen / spricht er mit hellen klaren worten also: Seydt wacker allzeit / und bettet / daß ir wuerdig werden möget / zu entfliehen diesem allem / daß da geschehen soll / und zustehen vor deß Menschen Sohn. Luc. 21.
Wer ist nun under uns / der nicht wisse / das eben auff uns die letste zeit vnd das End der Welt kommen sey.5
Der Verweis auf Lukas 21 soll eine Warnungund zugleich eine Ermutigungdurch die frohe Botschaftausdrücken.6 Nur das tägliche Gebetspendet Hoffnungund Zuversicht: „Ist aber solches jemalen von noethen gewesen / so ists warlich in diesen letsten sichern bösen zeiten hoch vonnöthen.“7
Diese Erklärung bildet innerhalb der captatio benevolentiae den historisch-religiösen Hintergrund und die Absicht ( end ) des Büchleins:
Zu diesem endhat der Hocherleuchte Mann / und thewre Werckzeug GottesD. M. Luther / vnd andere Geystreiche / Gottselige Lehrergesehen / in dem sie die Psalmen Davids / als auch andere Geystliche Lieder / in Teutsche Reymen verfasset / sampt angehenckten schönen lieblichen Melodeyen / dieselbige in der Christlichen Kirchen zu singen und zu gebrauchen.8
Foillet bezeichnet Luther als „ Werckzeug Gottes“, der als Lehrerhilft, das Gebet anhand des Einsatzes von „ Melodeyen“ und Gesangzu gebrauchen, also aktiv anzuwenden, und auch zu wiederholenund zu üben.9 Der Erfolg der (gesungenen) Psalmen wird sich nach Foillets Prognose auch in der französischen Übersetzungbei den frankophonen protestantischen Gemeindenals nützlich erweisen: „Also werden sie ohne allen zweyfel / wie sie bereit in das Frantzoesisch gebracht worden / auch ihren Herzlichen nutzen haben / besonders in denen Kirchen / so der rechten vnverenderten Augsburgischen Confession beygethan.“10
Foillet nutzt die (damals konventionell üblichen) stilistischen Mittel der Unter- und Übertreibung, die er mit Parallelen der Herausgeberfiktionverbindet: Zufällig sei ihm ein Exemplar der französischen11 Originalausgabe des Psalters „underhanden kommen“. Er war der erste , der eine deutsch-französische Interlinearversionin einem Band zusammengestellt und auch die Reime angepasst habe für den Kirchengesang, die zur Ehre Gottes sowie als Unterstützung und geistliche Auferbauung („aufferbawung“)12 der Gemeinde dienen:
Derowegen als mir ohne lengsten das Frantzösische geschriebene Original exemplar vnderhandenkommen / darinnen der gantze Psalter Davids / sampt andern fuernembsten Geystlichen Liedern verfasset vnd begriffen / auß allerley reinen Teutschen Psalmen vnd gesangbuechlein zusammen getragen / in Frantzoesische reymen und in ein Volumen gebracht / so auch biß anhero niemalen gesehen noch getruckt worden: als hab ich nicht vnderlassen koennen / dasselbige zur ehr Gottes / vnd aufferbawung seiner Kirchen an das tagliecht herfuer zu bringen.13
Die Interlinearversionhatte den Vorteil,dass auch die Metrikangepasst wurde. Somit konnte das Gesangsbüchleinsowohl in deutsch- als auch in französischsprachigen Gemeindenund natürlich auch in zweisprachigen Gemeindenwie in Mömpelgard / Montbéliard angewendet werden. Die zweisprachigen Gesangsbücher sind letztlich auch ein Indikatorfür die Defizite in der deutschen Sprachkompetenzvieler zugezogener frankophoner Bürger nach Mömpelgard, wobei die Interlinearversioneine wichtige kommunikative Brückenfunktionbildete. Hierbei zeigte sich das Bedürfnis, in der einen Sprache zu singenund gleichzeitig am Rand die (muttersprachliche) Version mitzulesen, um besser zu verstehen.Das Gesangsbüchlein hat als prototypische Version somit Pilotcharakterfür weitere zweisprachige Ausgabenund ist damit ein erstes Lehrwerk für den zweisprachigen Einsatz von Liedern im Fremdsprachenunterricht:
Vnd damit es desto fueglicher vnd mit mehrerm nutzen beydes in Teutschen und Frantzösischen Kirchen koendte gebraucht werden: wie mit weniger / damit man sehe / daß das Frantzösische dem Teutschen allerdings / vnd fast von Wort zu wort gleichstimmend ist14 / habe ich mit Gott meinen mueglichsten fleyß vnd arbeyt angewendet / daß es in beyden sprachen moechte herfuerkommen.15
Eine interessante parallele Entwicklung stellt die Evolution der Sprach- und Kulturassimilation der Hugenotten in Preußendar. Seit 1560 nannte man die Evangelischen reformierten Bekenntnisses huguenots. 16 Mit dem Revokationsedikt von Fontainebleau 1685 durch Ludwig XIV. wurde das Edikt von Nantes aufgehoben und das reformierte Bekenntnis verboten. Dies löste einen Exodus der Glaubensflüchtlingeaus. „Einige hunderttausend Hugenotten verließen Frankreich, um in protestantischen Ländern Europas Zuflucht zu suchen, nicht zuletzt in deutschen Territorien.“17 Dabei kam die Aufnahme der Hugenotten in Preußen der „fürstlichen Einwanderungs-, Wirtschafts- und Peuplierungspolitik entgegen, die darauf gerichtet war, die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges zu überwinden und das kulturelle und wirtschaftliche West-Ost-Gefälle in Europa auszugleichen.“18
Kuhfuß schreibt, dass 1672 die ersten Hugenotten sich in Berlin niederließen, 1688 erhielten sie Versammlungsfreiheit in den Kirchen der Stadt und ab 1700 verfügten sie über eine eigene Kirche.19 Die Hugenottenprivilegien umfassten wirtschaftliche und kulturelle Vorrechte.20 Das Französische wurde besonders gepflegtund zur offiziellen Sprache in den Domänen Kirche, Familie sowie Schule.Noch vor dem Aufbau eines Elementarschulwesens erhielten die Hugenotten mit dem Collège royal françois 1689 ein erstes eigenes Gymnasium,wobei der Unterricht auf französischstattfand.21 Die weltoffene, frankophile PolitikFriedrichs II. förderte die Hugenotten in Preußen:
depuis 1740, Frédéric II y favorise une culture francophile et francophone et entretient une cour à la française. Berlin constitue donc un milieu favorable aux réfugiés protestants francophones venus s’y installer en grand nombre après la promulgation de l’Édit de Potsdam en 1685.22
Wie viele Adelige seiner Zeit war Friedrich II. französisch erzogen worden. Der aufgeklärte „prince-philosophe“ sprach wohl besser französisch als deutsch.23 Der Hof Friedrichs II. favorisierte französische reformierte Glaubensflüchtlingeals Lehrerund Erzieher, und in Berlin wurden französische Kindermädchenund Gouvernanteneingestellt.24 Durch ihre bilingualen Kompetenzenwurden die Hugenotten oft auch als Sprachmeisterangestellt.25 Ein interessantes Beispiel der Réfugiés in einer deutschsprachigen Umgebung stellt die 1725 gegründete Maison des Orphelins in Berlin dar, die für die Erziehung und Bildung der hugenottischen Waisen bestimmt war. Durch einen umfangreichen Elementarunterrichtwurden die Jungen auf handwerkliche Berufevorbereitet und die Mädchen auf eine Arbeit als Gouvernanteund Erzieherin: Das Bildungskonzept wird vom damaligen Direktor Humbert wie folgt charakterisiert: „Nos enfans apprennent à lire, à écrire, en allemand et en françois; à chiffrer, la religion. Le but de notre etablissement n’est pas d’en faire des sçavans, mais de bons citoyens, propres à apprendre une bonne profession.“26
Читать дальше