Als hätte er geahnt, dass dreißig Jahre nachdem dieses Lied bei der Premiere sang- und klanglos untergegangen ist, die Amerikanische Gesellschaft der Komponisten, Autoren und Verleger Begin the Beguine zu einem der 16 bedeutendsten Songs aller Zeiten wählen wird. Mit über tausend Coverfassungen zählt er zu den meistgespielten Evergreens. Um Scheitern zu beweisen, benötigt man Scheinwerfer, grelle Lichter aus dem Stadion des Gelingens, der eines Tages zu einer Ruine verfallen sein wird, anstelle der einstigen Kategorien nur noch Maulwurfhügel. Das ist eine unangenehme Vorstellung, nicht zuletzt für die Literaturwissenschaftler, weshalb dem Scheitern, obwohl als literarisches Phänomen so zentral, in Sekundärbetrachtungen so wenig Beachtung geschenkt wird. Das Scheitern als immanentes Bestandteil aller Kreativität zu akzeptieren heißt auch, die Dogmen des Zeitgeistes in Frage zu stellen, die Vergänglichkeit des eigenen Urteils anzuerkennen.
Dieser Text ist ein Versuch, ein Essay. Wieso lieben Autoren Versuche, auch wenn die meisten Leser sie verschmähen? Weil sie das Abtasten zum erzählerischen Prinzip erheben und die eigene Unsicherheit als Lupe einsetzen; mit anderen Worten, weil sie sich im Flatterlicht des Scheiterns vollziehen.
Es gibt kein Gelingen und kein Scheitern, es gibt nur ein Werden.
Schüler schreiben in einer Schreibwerkstatt eigene Texte. Eine Betrachtung
Zehra Çirak
Zu Beginn der Schreibwerkstätten erzähle ich den Schülern über mich selbst und mein eigenes Schreiben. In den meisten Fällen sind sie zwischen 14 und 16 in dem Alter, in dem ich selbst einmal mit meinen ersten Schreibversuchen anfing. Wenn ich sehr offen über mein Leben und meinen Werdegang als Autorin berichte, sind die Schüler gleich besser zugänglich.
Nachdem ich den Schülern einige meiner eigenen Gedichte oder eine sehr kurze Prosa vorlese, können sie sich ein Bild davon machen, wie ich selbst schreibe und vortrage. Da ich über drei Jahrzehnte gemeinsam mit dem Bildenden Künstler Jürgen Walter zusammenarbeitete, wobei Texte zu seinen Objekten und Skulpturen entstanden, zeige ich diese den Schülern in meinen Büchern oder über einen Laptop auf Leinwand.
Texte zu Gemälden oder Skulpturen zu schreiben ist eine gute Möglichkeit, die eigene Phantasie zu üben. Die Schüler können sich ein Bild aussuchen und (sich in das Bild hineinversetzend) eine Geschichte schreiben oder ein Gedicht. Etwa zu dem Bild „Die kleine Blonde im Park der Attraktionen“ von Joan Miró oder zu Picassos Portrait-Gemälden könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass die unterschiedlichsten und seltsamsten Texte entstehen. Die Fülle der Auswahl aus der Bildenden Kunst ist so groß, dass sicherlich für jeden Geschmack etwas dabei wäre, um dazu einen Text zu verfassen.
Beispiele meiner Texte zu Jürgen Walters Kunstobjekten können auf der Homepage www.juergen-walter.com gelesen oder gehört werden.
Ich frage die Schüler in der Klasse, ob es einige gibt, die sich schon einmal im Schreiben versucht haben. Oft sind welche dabei, die Gedichte oder eine Geschichte geschrieben haben. Meistens zeigen sie mir später unter vier Augen diese Texte, und ich äußere mich dazu und mache Vorschläge zum Verbessern oder Verfeinern der Sprache.
Die Texte, die in der Schreibwerkstatt geschrieben werden, handeln oft vom Alltag in der Familie und in der Schule. Oder von erfundenen Familien und Personen, von Wunschträumen und Phantasiewelten. Sie erstaunten immer wieder in ihrer sehr emotionsreichen Darstellung.
Allein die Tatsache, den Schülern das Gefühl zu geben, sie seien in der Schreibwerkstatt nicht nur Schüler, sondern „Autoren“ oder „Dichter“, facht die Kreativität und die Ernsthaftigkeit ihres Schreibens an.
Die Themen werden gemeinsam gesucht und ausgewählt, an die Tafel geschrieben, und jeder kann wählen, worüber er schreiben will.
Glück– Unglück– Liebe– Freundschaft– Familieund Schulesind die häufigsten Themen, aber auch über Gewaltin der Gesellschaft oder im eigenen Umfeld wird oft geschrieben. Natürlich sind besonders Liebesgeschichten sehr beliebt.
Worüber soll geschrieben werden?
Das ist immer die erste Frage der Schüler. Der erste Satz ist das Schwierigste für die Meisten. Also biete ich Anfangssätze an. So gebe ich jedem, der es will, einen ersten Satz. Ich schaue mir den Schüler an, stelle ihm einige persönliche Fragen, und dann können die ersten Sätze etwa so lauten:
„Von einem Tag auf den anderen war ich ein ganz anderer Mensch“ oder
„Ich habe den ersten Preis gewonnen und darf jemanden mitnehmen“ oder
„Das geheimnisvolle Paket kam heute an, und ich weiß nicht, von wem es ist und was sich darin befindet; soll ich es öffnen?“ oder
„Das Wunder geschah an einem Montag“ oder
„Mein Traumberuf“
Unter dem Titel: „Mein Leben in Postkartenformat“ regte ich die Schüler einmal dazu an, aufzuschreiben, wie sie sich ihr künftiges Leben, ihre Zukunft vorstellen. Eine halbe Seite lang. Diese Texte können auf der Rückseite einer Postkarte Platz finden, wobei auf der Vorderseite von den Schülern ausgesuchte Motive wie Fotos, selbst Gemaltes oder Collagen angebracht werden.
Besonders interessant sind die Texte der Schüler oft dann, wenn ich ihnen vorschlage, sie mögen sich in den Zustand eines Gegenstandes hineinversetzen und aus dieser Perspektive heraus berichten oder erzählen. Ein Schüler schrieb einen Text, in dem er eine Schultafel war, die sich Luft machte und von den ärgerlichen und unschönen Dingen, die ihr als Tafel geschehen waren, erzählte.
Oder eine andere Schülerin, die sich in eine Schildkröte als Haustier versetzte, die über ihre Menschenmitbewohner berichtete.
Bei den Schreibwerkstattstunden werden aber auch angefangene oder bereits fertige Texte gegenseitig vorgelesen und Meinungen darüber ausgetauscht.
Mir ist es auch sehr wichtig, den Vortrag des Textes zu üben, die Artikulation und Vortragsweisen zu trainieren und mit den Schülern ein sicheres und selbstbewusstes Auftreten zu erarbeiten. Nicht nur für die Schüler mit Migrationshintergrund ist dies eine gute Übung, die deutsche Sprache gut und klar auszusprechen.
Sich in selbst geschriebenen Texten anders als auf dem Schulhof oder zu Hause auszudrücken, macht den Schülern sichtlich Freude. Sie spüren, dass es darum geht, etwas gut, anders oder schön zu erzählen. Wobei die Frage der Phantasiefreiheit beim Schreiben oft diskutiert wird. Dichtung und Wahrheit – häufig der wichtigste Aspekt. Und die Tatsache, dass alles möglich, fast alles erlaubt ist beim Schreiben und nichts schulisch bewertet oder benotet wird, macht die Schreibenden freier und offener. Selbst das gegenseitige Loben oder Kritisieren ermuntert die Schüler zu Gesprächen und zum Überdenken und Verbessern der eigenen Texte. Die Schüler lernen sich selbst besser kennen; die Möglichkeit des Erfindens im eigenen Kopf wird erkannt.
Spannend ist auch das „Ich“ im Text.
Offensichtlich ist es Vielen ein Bedürfnis – und eine bessere Möglichkeit, über die Vorgänge in ihrem Leben oder aus der Phantasie zu berichten –, wenn das „Ich“ nicht als erkennbares Selbst zu identifizieren ist. Dies in den Gesichtern und in den Geschichten der Schüler wieder zu finden ist ein erfreulich überraschendes Erlebnis.
Immer wieder gibt es Schüler, die zu zweit oder zu dritt an einem Text schreiben wollen. Manchmal schreibt die ganze Klasse gemeinsam an einer Geschichte.
Auch über Gewalt und Unglück in der eigenen Umgebung zu erzählen ist oft ein Anliegen. Das Thema Vorurteile gegenüber Andersartigen, ob kultureller, religiöser oder sexueller Prägung, bewegt die Schüler und eröffnet gerne Diskussionen oder Streitereien in der Klasse. Auch darüber wünsche ich mir Texte von den Schülern. Homosexualität ist leider in vielen Köpfen der Schüler mit großen Vorurteilen und negativen Ansichten geprägt.
Читать дальше