Emotionen – Dialoge im Deutschunterricht
Schreiben – Lesen – Lernen – Lehren unter konzeptueller Assistenz und mit Originalbeiträgen von José F.A. Oliver, Akos Doma und Que Du Luu
Jörg Roche / Gesine Lenore Schiewer
A. Francke Verlag Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8233-0065-6
I.
Kl:eine Regieanweisung ins Buch
José F.A. Oliver / Jörg Roche
Das Lehr- und Lern-, Schreib- und Lese-Buch, das Sie in Ihren Händen halten, ist eine Publikation für Entdeckerinnen und Entdecker. Für Menschen, die Freude an der Sprache haben oder haben wollen (Nehmen Sie den zweiten Teil des vorangegangenen Satzes mindestens mit einem, wenn nicht gar mit zwei oder drei Augenzwinkern). Es ist aber auch ein Buch der literarischen Erkundungen. Nicht nur für diejenigen, die ihre Leidenschaft für die Sprache schon erleben. Es ist für all jene verfasst, die diese Lust auf Sprache bei anderen wecken wollen.
Sich auf das Abenteuer Sprache einzulassen sollte einerseits eine Selbstverständlichkeit sein, andererseits ist es jedoch auch eine kontinuierlich herausfordernde Aufgabe. Es geht darum, Worte zu finden, diese miteinander zu verbinden und Sätze zu bilden, die einen Text ergeben. Die einen tun sich damit leichter, den anderen fällt es schwerer, sich auszudrücken. Geschweige denn, das zu Papier zu bringen, was erzählend oft direkter und damit vermeintlich leichter klingen mag. Beiden Charakteren ist jedoch sicherlich (bewusst oder unbewusst) eine Erkenntnis gemeinsam, dass sie nämlich die Notwendigkeit erahnen, sich mitteilen zu müssen. Oder um sie wissen. Letzten Endes ist dies eine Freiheit, um Mensch bleiben zu dürfen, zu können. Das macht Sprache und Sprachvermittlung so spannend und einzigartig.
Wie viel Sprache bin ich? Wie viel Sprache trage ich nach außen? Wie viel Sprache(n) mehre ich in mir, indem ich in einen Dialog mit anderen trete?
Dieses Buch öffnet Türen in die Wahrnehmung von Sprache und in die Auseinandersetzung um Sprache in Sprache. Erzählend, dichtend, klärend, nicht erklärend. Oft eigenwillig, niemals eigenbrötlerisch. Oft phantasiegeladen, niemals an den Haaren herbeigezogen. Manchmal direkt benennend, bisweilen in zärtlich-poetischer Annäherung an das, was zu sagen ist. Das liegt in der Natur der Texte, die hier vorliegen. Sie wurden allesamt von Literatinnen und Literaten geschrieben, die sich auf ihre jeweils sehr eigenständige Art und Weise mit der Sprache beschäftigen, um Literatur entstehen zu lassen. Das ist für die Leserin und den Leser dieser Veröffentlichung ganz bestimmt auch eine Herausforderung. Wir hoffen, eine schöne.
Sprache schafft dort Sprache, wo sie ernst genommen wird. Selbst in und mit jenen Texten, bei denen es nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, was es zu entdecken gilt. Auch das kann eine Faszination erzeugen. Rätselhaftes im Raum stehen zu lassen ist der erste Schritt hin zur Poesie und dahin, diese zu begreifen. Indem sie angenommen wird als das, was sie ist. Eine andere, individuelle, äußerst eigene und eigenwillige Sicht auf die Dinge, die Verhältnisse, das Leben.
Man kann sich einem Klang hingeben, einer schönen Formulierung anvertrauen – oder einfach nur über eine Textstelle stolpern und hängenbleiben. Hoffentlich auch das!
Nichts in Sprache ist selbstverständlich. Wir haben sie, um damit umzugehen: zu sprechen, uns mitzuteilen, Dinge zu benennen, aber auch, um das zum Ausdruck zu bringen, was wir nur bedingt oder überhaupt nicht sagen können. All das ist Teil unserer Sprache und unseres Sprechvermögens. Wir führen vielfache Dialoge. Mit uns selber. Mit anderen. Mit den Dingen, denen wir einen Namen geben. Manchmal sind sie nachvollziehbar, manchmal scheinen sie ver:rückt.
Konkrete Schreibanlässe führen zu konkreten Schreibversuchen. Diese wiederum zu hoffentlich konkreten Ergebnissen in W:orten, die auf das Eigene verweisen, um das Andere zu begreifen. Dabei ist „Ergebnis“ nicht im h:ortenden Sinne einer Ausbeute zu verstehen, die nach Hause geschleppt werden kann, vielmehr liegt unsere Absicht darin, die Prozesse des Schreibens selber als Ergebnisse einer Erfahrung wahrzunehmen. Dieser Schatz ist bisweilen viel bedeutender.
Neben den bis ins Detail Aufgaben entwerfenden Beiträgen von José F.A. Oliver, Akos Doma und Que Du Luu erfahren Sie in diesem Buch mehr als ausschließlich die Form der möglichen Textinterpretation und Textanalyse. Sie dürfen immer wieder zu Lesenden werden. Ohne dass eine explizite Aufgabe folgen würde. Auch das ist diese Textzusammenstellung: themenbezogen. Ein Lesebuch zu vielem, was unter „Emotionen“ zu begreifen wäre. Dementsprechend gibt es einige Essays oder Textauszüge, die sich dem weiten Bedeutungshof der Gefühlswelten stellen. Von den letzten Tagen mit der Großmutter, wie sie Francesco Micieli in Auszügen beschreibt, über den „Garten ihrer Kindheit“ aus der Feder von Ilma Rakusa bis hin zu Ausschnitten eines Tour-Tagebuches, das der Romancier Selim Özdogan veröffentlichte. Drei verschiedene Stimmen dreier ganz unterschiedlicher Chamisso-Preisträgerinnen und -Preisträger; drei völlig selbständige Augenblicke großer Emotionen. Familie, Tod und Abschied bei Francesco Micieli, das kleine große Paradies der träumerischen Phantasie und ihrer blütenwärmenden Umsetzung bei Ilma Rakusa, und Momente des direkten Erlebens von Publikumsreaktionen bei den Lesungen von Selim Özdogan. Eine knappe wissenschaftliche Erörterung unseres Themas finden Sie am Ende des Buches.
Vielleicht inspirieren diese Texte und Textfragmente dazu, eigene zu schreiben oder schreiben zu lassen. Über die Familie oder einen Menschen, den man verloren hat und liebte; über einen Garten, der einem Geborgenheit und Zuflucht schenkt(e); oder über eine Reise, in der Menschen auf einen reagieren, weil das und jenes geschieht.
Nehmen Sie dieses Buch – und auch die anderen dieser Reihe – als Abenteuer, auch als Anregung, eigene Aufgaben zu entwickeln.
Zur Umsetzung der Dialog-Didaktik im Unterricht
Es ist ein spannend unsicheres Terrain, auf dem wir uns auch bei diesem Thema bewegen. Aber vielleicht beginnt auf diese Art und Weise eine transmoderne, nicht postmoderne „Didaktik des Dialoges“ – und damit vielleicht auch eine vielgestaltige Didaktik konkreter Utopien, die sich gleichzeitig im Sprechen und in Sprachen ein geheimnisvolles und ein sich offenbarendes Stelldichein geben. In jedem Klassenzimmer ist Sprache immer ein Plural.
Es geht in diesem Kompendium von Essays, Erfahrungsberichten, Erzählungen und Übungseinheiten um nichts weniger als um den Versuch, sehr unterschiedliche Stimmen einzuberufen. Fragmente eines Atlanten von Sprech- und Schreibvariationen in Deutschland. Stimmen, die deshalb deutschsprachige Perspektiven sind. Auch dort, wo die deutsche Sprache nicht als Patin zur Verfügung stand. Ein Schreiben und ein Darüber-Sprechen ins Offene einer Gesellschaft, die den interkulturellen Dialog mehr denn je braucht. Ein andersherkünftiger, poetischer Blick auf die deutsche Sprache, der Teil dieses Dialoges ist. Aber wir wollen uns erklären:
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