Weinreich, 1977: 15). „Die die Sprachen gebrauchenden Individuen sind somit der Ort, an dem der Sprachkontakt stattfindet.“ (ebd. 15). Er bezeichnet eine solche Person als zweisprachig und diesen Prozess der abwechselnden Verwendung zweier Sprachen als Zweisprachigkeit. In der Fachwelt gibt es unterschiedliche Definitionen dieses Begriffes, allgemein können aber zwei Interpretationen unterschieden werden: Zum einen verstehen Sprachwissenschaftler unter Zweisprachigkeit nur die „muttersprachähnliche Kontrolle über zwei Sprachen“ (Bloomfield, 1933: 56), auf der anderen Seite existiert eine viel elastischere Auffassung von Bilingualismus, wie z.B. bei E. Haugen, für den Zweisprachigkeit dort beginnt, „wo der Sprecher einer Sprache komplette, inhalttragende Äußerungen in der anderen Sprache erzeugen kann“ (1950: 7). Els Oksaar (1996b: 24) definiert Mehrsprachigkeit als Fähigkeit eines Individuums „hier und jetzt zwei oder mehr Sprachen als Kommunikationsmittel zu verwenden und ohne weiteres von der einen in die andere umzuschalten, wenn die Situation es erfordert“ (Oksaar, 2003: 31). Weinreich, der gemeinsam mit Haugen als Begründer dieser linguistischen Disziplin gilt, definiert Zweisprachigkeit als die „Praxis, abwechselnd zwei Sprachen zu gebrauchen […], die an solcher Praxis beteiligten Personen werden zweisprachig genannt“ (Weinreich, 1976: 15). Wenn in einer Zeitspanne mehrere Personen abwechselnd die gleichen zwei oder mehr Sprachen verwenden, wird dieser Sprachenkontakt zum kollektiven Phänomen. Bechert und Wildgen definieren Zweisprachigkeit „nicht als die perfekte und gleichmäßige Beherrschung zweier Sprachen, sondern als die Fähigkeit, sich zweier oder mehrerer Sprachen in verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlichen Modalitäten bedienen zu können, d.h. als regelhafte Verwendung eines aus zwei oder mehreren Sprachen bestehenden Sprachenrepertoires“ (1991: 57). Bilingualismus und Sprachkontakt sind somit untrennbar miteinander verbunden: Der zwei- oder mehrsprachige Sprecher kann einer der Orte sein, wo der Sprachkontakt stattfindet. Sie beeinflussen sich gegenseitig und sind meist voneinander abhängig. Sprachkontakt, der sich über einen längeren Zeitpunkt erstreckt, zieht unweigerlich auch Sprachwandel nach sich, insbesondere in Form von Entlehnungsprozessen. In der Fachliteratur wurde der Begriff der sprachlichen Entlehnung oftmals wegen seiner unerwünschten Konnotationen, dass es sich bei den Sprachkontakten nur um mechanisches Hinzufügen fremder Elemente handle, kritisiert. Ausgehend von der strukturalistischen Auffassung ist der Begriff der Entlehnung akzeptabel, weil jedes neue Element im Sprachsystem der Nehmersprache durch Verflechtung der paradigmatischen und syntagmatischen Beziehungen eine Veränderung bewirkt. Ende der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts kamen in der germanistischen Linguistik die Begriffe Lehngutund Lehnwortschatzin Gebrauch. Im englischen Sprachraum hat sich der Ausdruck loanworddurchgesetzt, im französischen das Syntagma mot d'emprunt. Da es sich bei dem Ausdruck „Entlehnung“ um eine Metapher handelt, die nicht exakt genug, teilweise sogar unkorrekt ist, weil vorausgesetzt werden könnte, dass Entliehenes zurückgegeben werden sollte, was bei der Wortentlehnung selten der Fall ist, sollten nach Ansicht einiger Linguisten neue Termini für dieses Phänomen eingeführt werden. So erscheinen Begriffe wie diffusionund acculturation. Aber auch diese beiden Begriffe sind teilweise unpassend, weil sich der erstere im Englischen auf die Verbreitung von Wörtern auf ein anderes, neues Gebiet bezieht, während der zweite unterschiedliche Veränderungen, die aus dieser Verbreitung resultieren, bezeichnet. Deshalb schlägt Haugen vor, dass der Terminus acculturationin seiner Grundbedeutung für interkulturelles Lernen verwendet werden sollte und dass man für seine linguistischen Resultate präzisere Ausdrücke findet (Filipović, 1986: 29). Wichtige Veränderungen in dieser Hinsicht brachten im 20. Jahrhundert die strukturalistischen und soziolinguistischen Untersuchungen von Weinreich (1968) und Haugen (1950, 1956), die für die Prozesse der ‘Sprachmischung’ von bilingualen Individuen und Sprachgruppen die Termini Sprachkontaktund Interferenzeinführten. Ab diesem Zeitpunkt wandte sich das Forschungsinteresse von Fragen nach der Entstehung und den Strukturen von Mischsprachen zu den Untersuchungen empirisch beobachtbarer Sprachkontakte. Erst mit dem sogenannten Haugen-Weinreich-Paradigma, wie es Filipović 1986 nennt, entdeckte die Germanistik die Sprachkontaktforschung. Haugen (1950: 214ff) lehnt den Begriff der Sprachmischung ab und führt den Terminus borrowingein und versteht darunter einen Reproduktionsvorgang, bei dem ein Sprecher der Nehmersprache ein spendersprachliches Vorbild mehr oder minder originaltreu wiedergibt. Haugen unterscheidet darüber hinaus zwei grundlegende Verfahren des Entlehnens: Import und Substitution und kommt so zu einer einfachen Typologie, auf deren Grundlage andere Autoren – v.a. inspiriert durch Betz (1949, 1959, 1965) – stärkere Differenzierungen vornehmen. Haugens Typologie beruht auf drei Typen der Entlehnung: Lehnwort ( loanword), Ersetzung ( loanshiftoder morphemic substitution) und Teilersetzung ( loanblend). Die Entlehnungstypen betrachtet Haugen in Relation zu den Formen in der Gebersprache bzw. zum Modell. Ein Wort gilt erst dann als Entlehnung, wenn es in der Nehmersprache als vollkommen assimiliert gilt und phonologisch, morphologisch und syntaktisch integriert ist. Die Verwendung von Ausdrücken zweier Sprachen betrachtet Haugen nicht als zufällige Sprachmischung, sondern als bewusstes Handeln des Sprechers, was er Codeswitchingnennt (1956: 540). Während bei Codeswitching die Wörter bzw. Sätze in ihrer ursprünglichen Form belassen werden, erfolgt bei der Entlehnung eine Integration in das andere Sprachsystem. Es stellt die größte Entfernung zwischen zwei Sprachsystemen dar. Nach Weinreich (1977: 15) sind „diejenige[n] Fälle der Abweichung von den Normen der einen wie der anderen Sprache, die in der Rede von Zweisprachigkeit als Ergebnis ihrer Vertrautheit mit mehr als einer Sprache, d.h. als Ergebnis des Sprachkontakts vorkommen […]“, als Interferenzerscheinungen zu bezeichnen. Die Abweichungen kommen dadurch zustande, dass sprachliche Elemente aus einem Sprachsystem in das zweite Sprachsystem übertragen, diesem zugeordnet und in dieser Sprache angewendet werden. Die Interferenz wird dabei als Normverletzung verstanden, die durch die gegenseitige Beeinflussung zweier Sprachen sowohl in der einen als auch in der anderen Sprache entstehen kann. Übertragungen (und deren Ergebnisse), die innerhalb eines Sprachsystems auftreten können, werden dabei nicht berücksichtigt. Weinreich (1976: 79ff) schlägt weiter vor, „zwei Stadien der Interferenz“ zu unterscheiden: Die Interferenzerscheinungen, die im persönlichen Sprachgebrauch einzelner Zweisprachiger auftreten, und die Interferenzphänomene, die zum fixen Bestandteil des Sprachsystems einer Sprachgemeinschaft geworden sind. Weinreich (1976) trennt also Interferenzerscheinungen, die sich im Bereich der Rede ( parole) manifestieren, von der Integration solcher Interferenzen im Bereich der Sprache ( langue). Somit unterscheidet Weinreich Interferenz von Integration. Die Interferenzen teilt Weinreich weiter in lautliche, grammatische und lexikalische, da der Terminus Interferenz die Restrukturierung von Strukturschemata einschließt, die sich aus der Einführung fremder Elemente in die Bereiche des phonologischen Systems, der Morphologie und Syntax sowie einigen Feldern des Wortschatzes ergeben. Interferenz ist jedoch ein negativ besetzter Begriff, weil er unerwünschte Erscheinungen bezeichnet. Übertragungen, die als positiv betrachtet werden, werden als Transfer bezeichnet. Interferenz wird auch als negativer Transfer bezeichnet. Um den mehrdeutigen Begriff Interferenz zu vermeiden, wählt Clyne (1996) den Terminus Transferenzfür den Vorgang und Transferfür das Ergebnis.
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