Eine solche Betrachtung ist auch für nachhaltige Gründungen nützlich. Es erlaubt nämlich zu differenzieren, ob durch ein Venture (i) erste Beiträge in Richtung auf Nachhaltigkeit auf einzelwirtschaftlicher Ebene erbracht werden, ohne auf dieser Ebene bereits zwingend nachhaltig zu handeln, (ii) das Venture für sich genommen das Nachhaltigkeitsprinzip umgesetzt hat oder (iii) das Venture selbst nicht nur nachhaltig handelt, sondern darüber hinaus auf gesellschaftlicher Ebene Nachhaltigkeitsbeiträge leistet. Dies betrifft auch transnationale und transkulturelle Gründungen.
Darüber hinaus ist die Frage mit Blick auf die Gründungsrealität von Belang, ob es sich um technologieorientierte Gründungen handelt oder dies nicht der Fall ist. Im Falle von transnationalen und transkulturellen Tech-Ventures besteht die Möglichkeit, durch moderne Technologie verstärkt Beiträge zur ökologischen Nachhaltigkeit zu leisten. Non-Tech-Ventures hingegen tragen i. d. R. mittels anderer Ansatzpunkte zur Nachhaltigkeit bei, was z. B. Verhaltensänderungen von Menschen betrifft. Darüber lässt sich wiederum auf die drei o. g. Nachhaltigkeitsdimensionen Einfluss nehmen.
Vor dem Hintergrund dieser konzeptionellen Grundlagen widmet sich der nächste Schritt einer ersten Konfrontation mit der Realität. Hierzu werden Fallbeispiele von transnationalen bzw. transkulturellen Gründungen aufgearbeitet, die entlang o. g. Unterscheidungen Bezüge zur Nachhaltigkeitsdiskussion aufweisen.
2.2.3 Transnationale und transkulturelle Gründungen im Nachhaltigkeitskontext – Beispiele aus der europäischen Gründungspraxis
2.2.3.1 Überblick und Vorgehen
Die Spannweite transnationaler und transkultureller Gründungen ist – wie in Abschnitt 2.2.2 dargestellt – enorm breit und heterogen. Es fällt schwer, in dieser Vielfalt von Gründungsaktivitäten einen Nachhaltigkeitsschwerpunkt auszumachen. Auch sind belastbare Zahlen, welche den Stellenwert nachhaltig orientierter Gründungen in diesem Bereich von Entrepreneurship belegen könnten, kaum auszumachen. Umso interessanter ist es, sich mittels einiger Fallbeispiele diesem Gründungsbereich zu nähern. Dies entspricht auch den Gepflogenheiten früher explorativer Forschung, die generell auf qualitative Studien setzt und dort den Versuch unternimmt, Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammenzuführen (z. B. Yin 2019).
Bei der Auswahl relevanter Fälle sind folgende Filterkriterien von Bedeutung: (i) transnationaler oder transkultureller Hintergrund, (ii) Nachhaltigkeitsbezug der Gründung, (iii) Zugänglichkeit zu relevanten Daten und (iv) aktuelle Geschäftstätigkeit. Vor diesem Hintergrund konnten drei Fallbeispiele europäischer Gründungen identifiziert werden, die in Tabelle 2 im Überblick dargestellt worden sind. Sie werden entlang der Ausgangsfrage und der konzeptionellen Grundlagen gemäß Abschnitt 2.2.2 im Folgenden einzeln konturiert. Datengrundlage sind eigene Beobachtungen, persönliche Gespräche und Sekundärdaten (Publikationen und Web-Präsenzen).
Tab. 2: Überblick über die Fallbeispiele
Fallbeispiel4athletCham SaarAcquahmeyer
2.2.3.2 Das Fallbeispiel »4athlet«
Das von einem aserbaidschanischen Studenten in Polen aufgesetzte Vorhaben zielt auf Sportprodukte mit einem authentischen Stil ohne erkennbare kulturelle bzw. nationale Spezifika. Im Vordergrund der Gründung steht das Verständnis globaler Anforderungen an moderne Sportbekleidung aus Sicht der Sporttreibenden, was sich auch in der nutzerorientierten Namensfindung spiegelt. Der tendenziell kosmopolitischen Ausrichtung entsprechend, ist der relevante Markt für das Venture auch nicht primär räumlich definiert und damit sowohl vom Heimat- als auch vom Gastland des Entrepreneurs entkoppelt. Einen Zugang zu Ländermärkten außerhalb dieses Spektrums ist über Online-Vertriebswege sowie den Zugang zu Plattformen (z. B. Amazon Sales) angestrebt bzw. realisiert. Im Mittelpunkt der Ausrichtung stehen sport- und designorientierte Kundenbedürfnisse, die in der Materialwahl, den Farbnuancen und Zuschnitten sowie Trageusancen entlang eines eigenständig aufgebauten, an globalen Marktmöglichkeiten orientierten Wertschöpfungsnetztes umgesetzt werden.
Die Nachhaltigkeit hat in der ursprünglichen Geschäftskonzeption keine originäre Rolle gespielt, sondern sich auf emergentem Wege entwickelt. So wurden einerseits Nachhaltigkeitsvorstellungen über die Zielkundschaft transportiert. Durch die eigene Entwicklungsarbeit war es möglich, dies in der Produkt- und Sortimentsgestaltung zu berücksichtigen. Andererseits haben sich bedingt durch moderne Möglichkeiten der Wertschöpfung Chancen ergeben, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeitsdimensionen in der Geschäftskonzeption zu verankern. Zu erwähnen ist vor allem der Einsatz des 3D-Druckverfahrens zur Fertigung eines neuen Schuhmodells. Der Fall ist von generellem Interesse, da er zeigt, wie gesellschaftliche Notwendigkeiten und technische Möglichkeiten Geschäftskonzepte in Richtung Nachhaltigkeit transformieren, ohne dass dies ursprüngliche Kernintention des Entrepreneurs war.
Mit Blick auf den transnationalen und transkulturellen Einfluss lässt der Fall erkennen, dass eine »mixed embeddedness« (Kloosterman et al. 1999) keine nennenswerte Rolle zu spielen scheint. Weder Communities und Netzwerke im Heimat- oder Gastland haben die Gründung spürbar beeinflusst bzw. inhaltlich geprägt. Es ist vielmehr der interkulturellen Kompetenz des Entrepreneurs sowie dem internationalen Studiengang einer polnischen Universität geschuldet, dass der Entrepreneur seine Gründungsmotivation auf- und ausbauen konnte und in seiner Intention eher auf die globale Ebene zielt. Diese interkulturelle Kompetenz ermöglichte zugleich den Zugang zu internationalen Lieferanten und der Etablierung von Geschäftsbeziehungen. Dies verlief jedoch nicht in geradliniger Weise, sondern anfangs mit erheblichen logistischen Schwierigkeiten und Störungen, deren Lösung ebenfalls von der interkulturellen Kompetenz, aber auch dem Koordinationsvermögen des Entrepreneurs abhängt.
Dieser Fall der campusbasierten Gründung mag vielleicht die Rolle der »mixed embeddedness« von Entrepreneuren relativieren. Er zeigt aber zugleich auf, welche Auswirkungen sich ergeben, wenn sich transnationale bzw. transkulturelle Entrepreneure nicht primär über den Zugang zu ihrer eigenen ethnischen Gruppe bzw. zur Bevölkerung im Gastland sozialisieren, sondern primär über eine internationale Gemeinschaft mit vielen Nationalitäten und engen Beziehungen durch ein verschultes Studium, was Wahrnehmung und Handlungen offenbar stark prägt. Das wiederum ist ein Spezifikum dieses transkulturellen Gründungsprofils.
2.2.3.3 Das Fallbeispiel »Cham Saar«
Das Fallbeispiel Cham Saar, einer arabischen Käserei im Saarland, suggeriert schon durch den Namen einen nicht unerheblichen Teil des Geschäftskonzepts: die Verbindung zwischen der orientalischen und der europäischen Kultur. Der transkulturelle Entrepreneur im Team ist ein syrischer Geflüchteter, der auf dem saarländischen Georgshof anfangs zunächst größere Mengen an Milch bezog, um diese dann nach seiner Ankunft in Deutschland zu Käse weiterzuverarbeiten (Hartmann & Schilling 2019). Dies bewog die Inhaber des Georgshofs, zu dem transkulturellen Entrepreneur in geschäftlichen Kontakt zu treten, woraus der Entschluss resultierte, die erste arabische Käserei in Deutschland 2017 zu eröffnen. Mit dieser transnationalen Gründung der Cham Saar GmbH gelang es, in dem dicht besetzten und recht reifen Käsemarkt Europas mit vielen etablierten Käsesorten eine Marktlücke zu besetzen. Entscheidend hierfür war das käsespezifische Know-how des syrischen Refugee-Entrepreneurs, das es erlaubte, mit Chalali, Baladia oder Sourki Käsesorten zu produzieren und anzubieten, die jenseits der etablierten Geschmackskonzepte europäischer Sorten liegen. So zeichnen sich Käsesorten arabischen Stils vor allem dadurch aus, dass sie mit Blick auf die Säuernis, den Salzgehalt und die Festigkeit/Konsistenz über ganz andere Geschmacksnoten als in Europa etablierte Käsesorten verfügen. Dies spricht nicht nur die arabisch orientierten Bevölkerungsteile in Deutschland an, die anfänglich im Fokus standen, sondern erlaubt auch, einheimische Käseliebhaber zu akquirieren, was recht rasch anschließend gelang (Hartmann & Schilling 2019).
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