Durch die neu gegründete Gesellschaft wurde zugleich ein deutsch-syrisches Gründungsteam formiert, das eine wesentliche bessere Ressourcengrundausstattung ermöglichte. Zudem konnten Business Angels zur Bereitstellung von Beteiligungskapital gewonnen sowie lokale Gründungsförderung in Anspruch genommen werden. Durch die gezielte Bereitstellung naturgerechter und ökologisch nachhaltiger Wertschöpfungsstrukturen konnte die Grundlage geschaffen werden, die spezifischen arabischen Käsesorten über Deutschland hinaus rasch in andere europäische Ländermärkte einzuführen. Dies betrifft auch Länder wie Frankreich oder die Niederlande, die als europäische Hochburgen der Käseproduktion gelten. Eine solche Verbreitung im europäischen Kulturraum auch über Ländergrenzen belegt die transkulturelle Ausrichtung dieses Gründungsvorhabens.
Während die ökologische Nachhaltigkeit des Naturprodukts Käse, das in einem anfangs kleinen, nach erfolgtem Wachstum dann mittelgroßen Betrieb hergestellt wurde, offensichtlich ist, sind die gesellschaftliche und ökonomische Nachhaltigkeitsdimensionen erklärungsbedürftig. Die gesellschaftliche Nachhaltigkeit bezieht sich erstens auf die aus sozialer Sicht integrative Gründung eines syrischen Entrepreneurs und deutscher Partner. Zweitens ist das Gründungsteam auch unter Gender-Gesichtspunkten divers besetzt und gleichberechtigt aufgestellt. Ökonomisch ist ein Weg gefunden worden, auf organischem Wege zu wachsen und dabei qualitative wie quantitative Wachstumsaspekte zu harmonisieren (Hartmann & Schilling 2019). Für den Geschäftsaufbau von besonderem Interesse ist die Tatsache, dass Cham Saar nicht als Eco-Venture gegründet wurde, sondern die Nachhaltigkeit mehr oder weniger implizit und damit auf »natürlichem Wege« umgesetzt wurde. Nicht einmal der für 4athlet beobachtbare Nachfragesog oder Technologiedruck mussten Cham Saar auf eine nachhaltige Ausrichtung stoßen. Dies spricht für gesellschaftlich verankerte und/oder im Menschen angelegte Verhaltensweisen, die auf Nachhaltigkeit beruhen.
Das transnationale bzw. transkulturelle Profil von Cham Saar lässt sich wie folgt fixieren: Im Unterschied zu 4athlet ist eine interkulturelle Kompetenz des transkulturellen Entrepreneurs zwar eindeutig erkennbar, aber nicht geschäftsbestimmend. Dies ist eher seine »mixed embeddedness«, die anfangs dazu führt, sich vornehmlich auf seine eigene ethnische Bezugsgruppe zu fixieren. Zusammen mit den lokalen Entrepreneuren wird diese Fokussierung aber rasch relativiert und Zugang zu bestimmten Zielgruppen in Deutschland aufgebaut. Die interkulturelle Kompetenz, die im Gründungsteam noch Verstärkung erfährt, führt ihrerseits zu der Erkenntnis, den gesamten Kulturkreis auch ohne Rücksicht auf Ländergrenzen bedienen zu können. Insofern gehen im vorliegenden Fall netzwerkbezogene Ressourcen und Kompetenzen sowie kognitive Fähigkeiten beim Geschäftsaufbau und der Markterschließung Hand in Hand. Die Geschäftstätigkeit ist bei aller Kulturbezogenheit auf den arabischen Raum kulturverbindend – und damit in spezifischer Weise sozial nachhaltig – angelegt.
2.2.3.4 Das Fallbeispiel »Acquahmeyer«
Acquahmeyer widmet sich seit 2018 innovativen Service-Konzepten für Windkraftanlagen mit einem Fokus auf Wartung und Instandhaltung. Hinter dem Unternehmen steht ein transnationaler Entrepreneur, der vor seiner Migration von seinem Heimatland Ghana nach Deutschland bereits ein Unternehmen gegründet hat, das sich Drohnen zur Bewässerung landwirtschaftlicher Nutzflächen gewidmet hat und noch heute aktiv ist. Insofern konnte der Entrepreneur nicht nur allgemeine Kenntnisse in zwei unterschiedlichen Ländern aufbauen, sondern auch geschäftsspezifisches Wissen mit möglichen Cross-over-Effekten zwischen beiden Ventures. Das in Deutschland aufgebaute Geschäft basiert maßgeblich auf technischen Lösungen, die von einem lettischen Unternehmen bereitgestellt werden. Die sorgsam aufgebaute Geschäftsbeziehung stammt aus Kontakten, die bereits während der Gründung des ghanaischen Unternehmens entstanden sind. Da das lettische Unternehmen in anderen Ländern mit anderen Geschäftspartnern seine Leistungen anbietet, konzentriert sich Acquahmeyer auf den deutschen Markt und versucht ihn, trotz vorhandener Marktwiderstände, zu penetrieren.
Der Nachhaltigkeitsbezug von Acquahmeyer ist durch die Tätigkeit im Bereich regenerativer Energieerzeugung durch seine ökologische Komponente unmittelbar ersichtlich. Das Nachhaltigkeitskonzept geht indes tiefer. Die Verbreitung regenerativer Energieträger stößt zurzeit noch immer an Grenzen, wobei die »deutsche Energiewende« im internationalen Bereich als besonders ambitioniert gilt. Die ökonomischen Konzepte, die der installierten Basis an Windrädern indes zugrunde liegen, sind indes noch nicht ausgereift und lassen deutlichen Verbesserungsbedarf erkennen. Diesen nutzend, kann die Ausweitung erneuerbarer Energiekonzepte weiter Raum greifen. Das ökonomische Nachhaltigkeitskonzept von Acquahmeyer geht vor diesem Hintergrund in die Richtung, durch Wartungsrobotik gefährliche Einsätze von Service-Personal zu vermeiden und Wartung auch bei widrigeren Witterungsbedingungen zu ermöglichen. Dadurch werden wiederum höhere Anlagenverfügbarkeiten und Wirkungsgrade ermöglicht, die dem zunehmenden Einsatz regenerativer Energieträger wie Wind zuträglich sind. Der Einsatz von Robotik reduziert die Wartungskosten, ermöglicht umfangreichere und ungefährlichere Dienstleistungen und schützt das Service-Personal durch Unterstützungsleistungen vor dem Arbeiten in gefährlicher Höhe und vor dem Einatmen toxischer Partikel und Dämpfe. Letzteres lässt auch Beiträge zur sozialen Nachhaltigkeitsdimension erkennen.
Generell zielt das Nachhaltigkeitskonzept von Acquahmeyer auf einen gesamtgesellschaftlichen Wandel und geht damit weit über den Bereich betrieblicher Nachhaltigkeit hinaus. Gleichwohl werden auch innerbetrieblich die drei Nachhaltigkeitsdimensionen bedient, was sich primär in folgenden Punkten niederschlägt:
• soziale Integration durch ein gemischtes Team von Entrepreneuren, Arbeitskräften und Supportern aus verschiedenen Ländern nebst einer lokalen Beteiligung,
• umweltschonende Erbringung der eigenen Wertschöpfung,
• organisches Wachstum, das sich in ausgewogener Wiese aus qualitativen und quantitativen Elementen speist.
Das transnationale Profil von Acquahmeyer manifestiert sich in der »mixed embeddedness« und der interkulturellen Kompetenz, vor allem repräsentiert durch den Entrepreneur. Die Einbettung in das Heimat- und in das Gastland ist weit vorangetrieben. Die weiterhin bestehende Verbindung nach Ghana ermöglicht die Aufrechterhaltung etablierter Inspirationsquellen geschäftlicher und mentaler Art. Die Vernetzung in Deutschland ermöglicht den Zugang zu wichtigen Ressourcen im Bereich Business Support und Technologie.
2.2.4 Schlussfolgerungen und Ausblick
Während im allgemeinen Gründungsgeschehen nachhaltige Gründungen inzwischen zu einem bedeutenden Thema geworden sind, was sich auch an Schlagworten wie »Eco-Entrepreneurship« ablesen lässt, ist die Bedeutung von Nachhaltigkeit im Kontext transnationaler/-kultureller Gründungen deutlich weniger visibel. Noch immer unklar ist, ob es Niveau-Unterschiede mit Blick auf die Rolle von Nachhaltigkeit im Vergleich von Transnational/Transcultural Entrepreneurship einerseits, Local Entrepreneurship andererseits gibt. Hierzu wären weitere Forschungsarbeiten sinnvoll und nützlich. Die hier präsentierten Fälle geben Anlass zu folgender Vermutung (Proposition P):
P1. Nachhaltigkeit hat in den Konzepten von Transnational/Transcultural Entrepreneurship einen vergleichbaren Stellenwert, wird aber viel impliziter und ungeplanter praktiziert.
Mit Blick auf die Ausgangsfrage lassen sich zudem auch weitere Vermutungen generieren, welche eine grundsätzliche Unterschiedlichkeit von Transnational/Transcultural Entrepreneurship und lokalen Gründungen erkennen lassen. Mit Blick auf das typische Profil von Transnational/Transcultural Entrepreneurship scheint die vorhandene und sich weiter entwickelnde interkulturelle Kompetenz der Entrepreneure ein Ausschlag gebender Faktor zu sein. Dies gibt Anlass zu folgender Vermutung:
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