Die Ökonomie der Kuna-Frauen beschränkt sich nicht auf den Verkauf von Molas. Den Frauen gehört auch das Sippenhaus, dessen Rahmen aus kräftigem Holz vom Festland gebaut ist, das Werk der Männer, während die Wände aus Bambus-Matten und das Dach aus geflochtenen Palmblättern bestehen, das Werk der Frauen. Innen befinden sich Hängematten, hölzerne Sitzschemel und früher die waagerechten Webstühle vom Arawak-Typus. 13Ebenso gehört den Frauen das unverkäufliche Land mit allem, was darauf wächst, vor allem die Kokospalmen. Die Männer ernten die Kokosnüsse und händigen sie den Frauen aus, die sie an Handelsboote der Weißen verkaufen; fast der ganze Reichtum der Sippe stammt von den Kokospalmen. Fischfang ergänzt wesentlich den geringen tropischen Ackerbau, den die Männer auf den Feldern ausüben; mit Mais, Maniok, Yams, Zuckerrohr, Tabak, Pfeffer, Kakao, Kaffee und Bananen dient er lediglich der Selbstversorgung. Zusätzlich sammeln die Männer, die in den Festlanddörfern wohnen, eine Vielzahl an Früchten, die der Regenwald zu bieten hat, und gehen gelegentlich auf die Jagd. So sind es die Männer, welche die rohe Nahrung besorgen, doch sie überreichen sie den Frauen, geben alles in die Hände der Clanmutter, der Matriarchin. Diese gibt die Lebensmittel an die Frauen weiter, die dann die Mahlzeiten zubereiten und verteilen; daher gelten die Frauen als die Ernährerinnen. Die Clanmutter überblickt, was benötigt wird, und weist die Männer für die Feldarbeit an, ebenfalls teilt sie den Frauen die anfallenden Pflichten in der Hauswirtschaft zu (Abb. 7). 14Zusätzlich arbeiten die Männer als Tagelöhner in der Kanalzone, und das Geld, das sie dort verdienen, wird in Goldschmuck angelegt, den die Frauen zu ihrer Ehre und zur Ehre der Sippe an Festtagen noch immer öffentlich vorführen.
Abb. 6:Junge Kuna-Frau mit Goldschmuck und bestickter Bluse (aus: Parker/Neal: Molas. Folk Art of the Kuna Indians, New York 1977, Barre Publications, Umschlag-Rückseite)
In einem Sippenhaus der Kuna wohnen alle in weiblicher Linie blutsverwandten Frauen zusammen: die Matriarchin, ihre Schwestern und Töchter und die Kinder der Töchter. Obwohl dicht gedrängt leben sie in Harmonie miteinander, und eine Frau hat immer Schutz im Haus der Mutter. Die Verwandtschaft ist also matrilinear, und die Frauen bleiben matrilokal im Mutterhaus wohnen, während ihre Brüder und Söhne ins Haus der Schwiegermütter ziehen. Daher sind der Gatte der Matriarchin und ihre Schwiegersöhne auch ein Teil der Wohngemeinschaft. Das Wort für »Gatte« ist »Sui«, das einen Mann als »Sammler der Nahrung« bezeichnet, denn das ist die Aufgabe eines Mannes, wenn er heiratet. Wenn ein »Sammler der Nahrung« nicht in Übereinstimmung mit den Wünschen seiner Gattin handelt, wird er ins Haus seiner Mutter zurückgeschickt. 15
Durch den Einfluss der christlichen Missionare ist die Paar-Ehe und die bilaterale Verwandtschaft (Verwandtschaft nach beiden Linien) eingeführt worden. So kennen die Kinder heute auch ihren biologischen Vater, aber die männliche Linie ist unbedeutend. Eine Paar-Ehe kann jederzeit ohne Probleme von beiden Seiten aufgelöst und eine andere eingegangen werden. Nur beim Schwiegervater, dem Gatten der Matriarchin, gilt Dauerhaftigkeit in der Ehe und strenge Befolgung der Regeln, denn er arbeitet direkt mit den Schwiegersöhnen zusammen. Tyrannische Tendenzen können bei ihm aber kaum aufkommen, denn er wird von den Vätern der jungen Männer scharf beobachtet und notfalls öffentlich kritisiert, denn diese leben im selben Dorf. Es wird stets im selben Dorf geheiratet, denn die Kuna folgen dem üblichen Muster der Clan-Exogamie, verbunden mit Dorf-Endogamie, das heißt, Heirat außerhalb des Clans, aber innerhalb des Dorfes. Dies ist ein Hinweis, dass es einmal Sippen-Wechselheirat zwischen je zwei bestimmten Clans im Dorf gegeben haben mag. Der Gatte der Matriarchin hat nach außen eine Vermittlerrolle inne als Delegierter der Sippe im Dorfrat und gegenüber der Außenwelt – weshalb etliche Ethnologen ihn für den »Haushaltsvorstand« hielten. Tatsächlich liegt alle ökonomische und soziale Macht bei der Matriarchin, die sie als Verantwortung für das Wohl des ganzen Clans versteht und gebraucht. 16
Die Männer besprechen im Versammlungshaus des Dorfes die Angelegenheiten der Gemeinschaft, da sie für die Politik verantwortlich sind. Die Themen ihrer Debatten sind das Schicksal ihrer Inseln, die Verbesserung der Infrastruktur, Konfliktlösungen und die Organisation von Festen. Diese Versammlungen werden von den »Saila«, den Häuptlingen, geleitet, die gewählt und leicht absetzbar sind. Die meisten Häuptlinge sind die Delegierten ihrer Clans und vertreten in der Versammlung die Position ihrer Sippenmitglieder, insbesondere der Frauen, während andere nur zeitweise Häuptlinge sind und als Moderatoren oder Interpreten agieren. Das Verhalten der Häuptlinge wird genauestens beobachtet, und sie müssen über alle ihre Handlungen Rechenschaft ablegen. In den Versammlungen entscheiden sie niemals etwas allein, sondern sie leiten lediglich den Vorgang der kollektiven Entscheidungsfindung. Immer müssen sie ein viel besseres Betragen zeigen als gewöhnliche Leute, zugleich wird von ihnen im Voraus stets das Schlimmste vermutet. Die Kuna verwenden viel Energie darauf, ihre Häuptlinge zu überwachen, und diese Wachsamkeit hat sie davor geschützt, dass jene mit den Kolonialmächten, die ihr Land umgeben, kollaborieren konnten. 17
Abb. 7:Porträt einer Kuna-Matriarchin (aus Parker/Neal: Molas. Folk Art of the Kuna Indians, New York 1977, Barre Publications, S. 181)
2.2 Religion und Zeremonien der Kuna
Die Glaubenswelt der Kuna ist überaus reich und hat sich, trotz der oberflächlichen Christianisierung, in ihren Grundzügen erhalten. Die Traditionshüter sind die »Saila«, die Häuptlinge, ebenso die »Kandule«, die schamanischen Sänger-Heiler, und die »Nele«, die weiblichen und männlichen Seher und Propheten. Die verschiedenen Rollen sind nicht immer streng voneinander zu trennen, denn die Kandule und Nele haben denselben Rang wie die Saila, die Häuptlinge, die ihrerseits an den Aufgaben der Nele und Kandule teilhaben. Diese weisen Frauen und Männer sind das singende Gedächtnis ihres Volkes, sie halten die Traditionen und Religion lebendig. Zweimal in der Woche singen sie den reichen Mythenschatz im Versammlungshaus für die Dauer von mehreren Stunden dem Publikum aus Frauen und Männern vor. Gelegentlich halten die Häuptlinge von mehreren Inseln das Singen gemeinsam ab, was drei bis sieben Tage dauern kann. 18
Diese langen, mythologischen Gesänge enthalten die Welterklärung und Geschichte der Kuna und haben große, Identität stiftende Wirkung für das Volk. Als Hilfe dafür gebrauchten die Häuptlinge, Heiler und Seher eine Art religiöser Bilderschrift, die heute im Aussterben begriffen ist. Diese Bildzeichen, denen die Muster und Symbole auf den Molas gleichen, dienten den Sängern als Gedächtnisstütze und konnten nur von diesen sehr geachteten Männern gelesen werden. In der Vergangenheit nannten sie es »die Bilder singen«. So wird dieselbe sakrale Sprache, die auf den Geheimnissen des Lebens beruht, von allen diesen Kuna-Traditionen geteilt: von den heiligen Gesänge der weisen Männer, von der Kunst der Frauen, mit Bildern Geschichten zu erzählen und sie in den traditionellen Mustern der Molas festzuhalten, deren Namen aus den rituellen Liedern stammen. 19
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