1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 Der Ursprung von diesen allen war jedoch die erste matriarchale Kultur auf amerikanischem Boden überhaupt, die Valdivia-Kultur, mit großen Königinmüttern und einer Fülle elementarer Göttinnenskulpturen (ab 3000–1500 v.u.Z.). Auch sie erschien an der Pazifikküste Südamerikas, nahe beim Golf von Guayaquil in Ecuador, und breitete sich dann in diesem Gebiet aus. 75Obwohl sehr einfache Keramik vereinzelt schon früher vorkam, aber das gesamte kulturelle Erscheinungsbild vor-keramisch blieb, tauchte mit der Valdivia-Kultur plötzlich eine ungewöhnlich hoch entwickelte Keramik und Skulpturenkunst auf, in voller Blüte und scheinbar aus dem Nichts. Auch der Ackerbau nahm hier einen plötzlichen Aufschwung. Die Nahrungspflanze Mais war schon früh in Mittelamerika kultiviert worden (ca. 5000 v.u.Z.). Aber es dauerte noch lange, bis sie zum Grundnahrungsmittel wurde und sich die Ökonomie ganz auf sie stützte. 76Fast zeitgleich mit der Valdivia-Kultur und örtlich benachbart begann die Machalilla-Kultur, die wie Valdivia mit Fischfang verknüpft war, doch zugleich mit der systematischen Zucht der für Amerika typischen Pflanzen begann: Mais, Maniok, Bohnen, Kürbis und Kartoffeln. Auch in der Valdivia-Kultur hatte man sich bereits überwiegend vom Pflanzenanbau ernährt. Die zeitlich unmittelbar anschließende Kultur von Chorrera, an einem benachbarten Flusslauf gelegen, besitzt dann voll entwickelten Ackerbau. 77
Dieses sehr frühe Zentrum Valdivia an der Bucht von Guayaquil (Ecuador) ist die erste Kultur in ganz Amerika, die alle Errungenschaften der Jungsteinzeit besitzt, mit ihr beginnt diese Epoche. 78Daher hatte die Valdivia-Kultur einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung in Süd- und Mittelamerika, wovon die Ausbreitung dieser kulturellen Güter entlang der Pazifikküste sowohl nach Süden als auch nach Norden zeugt. Denn diese Menschen waren geübte Bootsfahrer, und mit dem Schiff gingen ihre Reisen entlang der Küste leicht und schnell. Funde dieser frühen Keramik-Kunst wurden sogar an der nördlichen Atlantikküste Südamerikas gemacht, die über einen Flusslauf, der nahe der Pazifikküste in den Bergen entspringt, aber an der Atlantikküste mündet, gut zu erreichen war (Karte 2). Damit stand der weiteren Ausbreitung an der gesamten Nordküste Südamerikas kein Hindernis mehr entgegen, so dass auch die Flussmündungen der großen Ströme Orinoko und Amazonas entdeckt werden konnten (siehe Karte 1). Mit dieser Kulturwanderung verbunden waren eine weit entwickelte Ackerbaukultur, eine hohe Keramik-Kunst und die matriarchale Sozialordnung in Südamerika – wie die Arawak sie später noch zeigen. Daher verlief der Kulturstrom in Amerika, was die jungsteinzeitliche Epoche betrifft, nicht von Norden nach Süden, sondern von Süden nach Norden. 79
Die matriarchale Gesellschaftsform mit Ackerbaukultur begann in Südamerika also eindeutig an der Pazifikküste, und zwar auf der ganzen Länge von Kolumbien und Ecuador bis Peru und Chile. Von dort verbreitete sie sich ebenfalls von Westen nach Osten, nicht umgekehrt. Von Westen nach Osten drängten später patriarchalisierte Stämme nach, wobei der immer schärfer werdende Patriarchalisierungsprozess sich im Westen abspielte, insbesondere auf dem Anden-Hochland. Dadurch ausgelöst ging der Auswanderungsweg der Arawak ebenso nach Osten, teils auf die Orinoko-Berge im Urwald, teil an die Nordküste Südamerikas und später nordwärts auf die Antillen-Inseln. Daraus ergibt sich als erste Frage: Woher kamen die Menschen der matriarchalen Valdivia-Kultur, die so plötzlich an der Pazifikküste Südamerikas erscheint und die jungsteinzeitliche Epoche auslöste? Eine zweite Frage ist: Wodurch entstand die Patriarchalisierung von Stämmen in Südamerika, welche die ältere, matriarchale Kultur der Arawak nach Osten und später nach Norden verdrängten?
Zunächst soll die Antwort auf die erste Frage gefunden werden: Es liegt der Schluss nahe – den auch etliche Forscher und Forscherinnen gezogen haben – dass die Kulturwanderung sporadisch schon in sehr früher Zeit und danach zunehmend verstärkt über den Pazifischen Ozean gegangen ist und die Küsten Süd- und Mittelamerikas erreichte. Denn es gibt auffallende Ähnlichkeiten zwischen den frühen matriarchalen Kulturen und ihrer Keramik-Kunst in Ostasien, besonders der Yüeh-Kultur in Südchina, und den Kulturen von Valdivia und Umgebung. Dieser Zusammenhang war oft das Thema detaillierter Nachforschungen. 80Leider haben diese Forschenden ihre Untersuchungen mit der sehr unwahrscheinlichen Hypothese verknüpft, dass diese Menschen ihre Fahrt über den Pazifik in einer einzigen, ununterbrochenen Reise machten. Sie sollen gleichermaßen ahnungslos – wie später Kolumbus in den Atlantik – von China in den Pazifik aufgebrochen sein und schließlich per Zufall an der Westküste Südamerikas angekommen sein, irgendwie durch die Ozeanströme dorthin getrieben. Das ignoriert die viel plausiblere Erklärung, dass diese Kulturwanderung über den Pazifik in wohlgeordneter Auswanderung von Inselgruppe zu Inselgruppe im Zeitraum von Jahrtausenden stattfand, genauso langsam wie sie von den Polynesiern in einer späteren Kulturphase vollbracht wurde. Sie haben auch die Osterinsel erreicht, wo sie jedoch schon andere Volksgruppen antrafen, unter diesen ein rätselhaftes, sehr altes Kulturvolk, die »Steinleute«, die schon lange vorher auf der Insel lebten. 81Nach indigener Tradition unternahmen Männer und Frauen von der Osterinsel aus Erkundungsreisen zu dem »Großen Land im Osten« – was ihr Name für den südamerikanischen Kontinent war. 82Ebenso konnten andere Volksgruppen in wohlgeordneter Entdeckungsreise um neues, bewohnbares Land zu finden auf die Galápagos-Inseln gelangt sein, die wie ein letzter Trittstein vor der Küste Ecuadors liegen, genau auf der Höhe der Bucht von Guayaquil. Von diesen Inseln ist es nicht mehr weit zum Kontinent, und genau dort blühte die Valdivia-Kultur auf (siehe Karte 1). Für diese Auffassung spricht vieles. Denn es gibt außer der Keramik-Kunst noch weitere verblüffende Ähnlichkeiten zwischen den pazifischen Inselkulturen und den frühen Kulturen Südamerikas, insbesondere was ihre Megalith-Architektur betrifft; das stellt einen sehr wahrscheinlichen, frühgeschichtlichen Zusammenhang her. 83Auch ihre Schifffahrttechnik – die man diesen frühen Menschen nicht zutraute – war weit entwickelt genug für solche Reisen. So haben die späteren Polynesier längst bewiesen, dass ihre einfach wirkenden, doch technisch raffinierten Auslegerboote über Tausende von Meilen hochseetüchtig sind, mit denen sie die pazifische Inselwelt über riesige Wasserstrecken hinweg zum zweiten Mal besiedelten (1000 v.u.Z. bis 1000 n.u.Z.).
Karte 2:Kulturausbreitung entlang den nordwestlichen und nördlichen Küsten von Südamerika
Diese Perspektive bringt Licht in sonst unverstandene Legenden und Berichte aus Polynesien. Denn als die späteren Polynesier, geführt von ihren Kriegerhäuptlingen, den »Raiatea«, diese Inselwelten während zweitausend Jahren nochmals entdeckten, fanden sie überall schon Ansässige vor, was sie zu kriegerischen Eroberungen der Inseln veranlasste. Diese frühesten Inselbewohner konnten nicht anders als sie selbst, nämlich mit außerordentlich seetüchtigen Booten, dorthin gekommen sein. Sie besaßen den ersten Ackerbau und waren matriarchal organisiert, was zum Beispiel die Mythen von Pelés Clan auf Hawai’i eindrücklich schildern. Pelé war eine Göttin-Königin, die mit ihrem Volk die Inseln von Hawai’i in Schiffen erreichte und besiedelte, lange bevor die polynesischen Kriegerhäuptlinge ankamen. 84Der Sohn Pelés sowie ihr Volk hießen »Menehune«, und diese Menehune sollen in allen Künsten außerordentlich geschickt gewesen sein. Sie konnten Mauern aus behauenen Steinen errichten, die sie ohne Mörtel mit perfekten Fugen aufeinandersetzten (archäologische Funde auf Hawai’i), und auf diese Weise bauten sie Häuser, Terrassen, Bewässerungsanlagen, Aquädukte und Straßen. Sie werden von manchen Forschern als die Urbevölkerung der polynesischen Inselwelt angesehen, die eine erstaunlich hochstehende Kultur besaßen, die sie auf Tahiti und Hawai’i wie auch auf der Osterinsel entfalteten. Doch als später die stolzen, polynesischen Kriegerhäuptlinge ankamen und sie bekämpften, flohen die Menehune in die dichten Bergwälder und »verschwanden spurlos« von den Inseln, so dass sie heute als Legende gelten. Sehr wahrscheinlich sind sie mit Booten aus dem Holz der Bergwälder weiter übers Meer gezogen, in Richtung Osten vor ihren Bedrängern. Dabei erreichten einzelne Sippen dieser Menehune die Osterinsel, die Galápagos-Inseln und Mittel- und Südamerika, wo noch heute die Zeugnisse ihrer hoch entwickelten Megalith-Architektur zu finden sind.
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