Jeder Mensch trägt von jedem der vier Grundbedürfnisse ein gewisses Maß in sich, die Unterschiede liegen jedoch in den Ausprägungen und Kombinationen. Daraus lassen sich Rückschlüsse über das Verhalten, die Reaktionen, die Kommunikation, die Ängste und Wünsche einen Menschen ziehen. Wie eine Person reagiert, kommuniziert und fühlt, kann zum Teil aus dem Riemann-Thomann-Modell abgeleitet und besser verstanden werden.
Persönlichkeitsanalysen gehörten zunächst ausschließlich zur Arbeit von Psychiatern und Therapeuten. Schon früh wurden von diesen Fachleuten unterschiedlichste Tests entwickelt, um das Verhalten von Menschen zu entschlüsseln und letztendlich auch Therapien zu entwickeln, die Menschen auf unterschiedliche Art und Weise helfen können.
Erst über die Öffnung der Psychiatrie in den 1970/1980er Jahren wurde das Handwerkszeug alltagstauglich und über diese Berufsgruppe hinaus in die Bevölkerung getragen. Die Erkenntnis, dass dieses wertvolle Wissen nicht ausschließlich in die »Nähkästchen« von Psychiatern und Therapeuten gehört, sondern eingesetzt werden sollte, damit Menschen besser miteinander leben und arbeiten können, führte zur Entwicklung unterschiedlichster Analysetools von Verhaltensmodellen von Menschen ohne psychische Auffälligkeiten. Allein in Deutschland sind mehr als 20 solcher Verfahren bekannt und in regelmäßigem Gebrauch. Viele von ihnen sind reliabel, valide, wiederholbar, anwendbar, auch wenn sie unterschiedliche Ansätze haben.
Vergleichbare psychologische Testverfahren sind beispielsweise der ViQ (Visual Questionnaire), der 16 PF Questionnaire (Sixteen Personality Factor Questionnaire) oder das NEO-PI-R (NEO-Persönlichkeitsinventar, revidierte Fassung), wobei die Konstruktion und Validierung von DISC (auf Basis von Everything DISC nach John Wiley & Sons 2015) mit Hilfe der letzten beiden Verfahren vorgenommen wurden. Werden diese psychologischen Testverfahren miteinander verglichen, lassen sich vergleichbare Ergebnisse ermitteln. Allerdings ist das DISC-Modell einfacher in der praktischen Anwendung und deshalb auch hilfreich für die Arbeit als Führungskraft. Wir sprechen hier in diesem Zusammenhang ausschließlich von differenzieller Psychologie, die sich allgemein mit den individuellen Unterschieden in einzelnen psychologischen Merkmalen und in den relativ überdauernden Persönlichkeitseigenschaften auseinandersetzt. Stark von der Norm abweichende Persönlichkeitstypen bis hin zu Persönlichkeitsstörungen fallen eher in die klinische Psychologie, die sich mit dem Erleben und Verhalten von Menschen auseinandersetzt, die im weitesten Sinne ein krankhaftes, zwanghaftes oder abnormes Verhaltensmuster zeigen. Diese spielen in diesem Buch keine Rolle, auch wenn die Übergänge bisweilen fließend sein können.

Der größte Fehler, den eine Führungskraft machen kann, ist es, Mitarbeitende zu pathologisieren. Sie stempeln ihn oder sie damit als krankhaft ab und verlieren die subjektive Sicht auf die betroffene Person. Benutzen Sie niemals Worte wie hysterisch, cholerisch, paranoid, manisch oder bipolar, um einen anderen Menschen in Ihrem Arbeitsumfeld zu beschreiben. Indirekt schreiben Sie damit ihr Gegenüber ab und gleichzeitig auf ein bestimmtes Verhaltensmuster fest. Sie nehmen sich selbst damit die Möglichkeit, ihn oder sie mit einem differenzierten Blick zu betrachten, und zeigen damit bereits auch gleichzeitig eine Vorverurteilung und Abwertung seines oder ihres Verhaltens, was wiederum einen Distanzverlust zum Gegenüber als Folge haben kann. Gleichzeitig nehmen Sie Ihrem Gegenüber unbewusst die Möglichkeit, auch noch andere Verhaltensweisen entwickeln zu können.
Sollte der oder die andere eine Struktur haben, die Sie nicht verstehen oder die Sie vor unlösbare Aufgaben stellt, suchen Sie das Gespräch mit der oder dem Betroffenen oder holen sich professionelle Unterstützung. Ihre Aufgabe ist es nicht, ernste Krankheitsbilder zu diagnostizieren. Sie sind nicht der oder die Therapeut*in Ihres Gegenübers, Sie sind die Führungskraft.
3 Theoretische Grundlagen des Führens mit Verhaltensprofilen
3.1 Erfolgreiche Gesprächsführung als Anpassungsleistung
Erfolgreiche Gespräche sind das Ergebnis einer Anpassungsleistung an den Verhaltensstil des Gegenübers. Das beginnt bereits mit einer entsprechenden Gesprächsatmosphäre, der Umgebung, in der das Gespräch stattfindet, sowie dem gesamten Rahmen.
Wenn eine Leitungskraft eine Pflegekraft zum Gespräch bittet oder zitiert, fühlt der oder die Gerufene unter Umständen Stress: »Was will meine Leitung von mir? Habe ich einen Fehler gemacht? Hoffentlich droht keine Veränderung! Bekomme ich jetzt noch mehr Arbeit?«
Das alles und noch viel mehr könnte dem Mitarbeitenden durch den Kopf gehen, gerade, wenn das Gespräch unerwartet kommt. Je nach Verhaltensprofil und Grundbeziehung ist der Stresslevel größer oder geringer. Die Leistung der Führungskraft sollte jetzt darin bestehen – unter Aufrechterhaltung der eigenen Werte, der angestrebten Ziele und Standards –, sich dem Verhaltensstil der Mitarbeitenden anzupassen und so den Stresslevel zu senken. Denn bleibt das Stressgefühl hoch, verharren die Mitarbeitenden unter Umständen in einer Abwehrzone, hören nicht zu, fühlen sich unwohl und könnten das Gespräch als Belastung empfinden. In der Komfortzone werden sie das Gespräch und die Inhalte dagegen als eher angenehm empfinden und sich mit den Botschaften und Ideen der Inhalte konstruktiv auseinandersetzen können.
Die Führungskraft tut daher gut daran, sich vorab mit dem Verhaltensprofil des Gegenübers auseinanderzusetzen: Spricht die Person eher laut oder leise, agiert sie schnell oder langsam, gibt sie sich offen und locker oder ist sie eher zurückhaltend und vorsichtig? Ist sie mehr an der Sache oder am Miteinander interessiert? Hinterfragt sie kritisch oder verhält sie sich eher annehmend und akzeptierend?
Darauf ausgerichtet werden die Anliegen und zentralen Aussagen des Gesprächs abgestimmt: Besser kurz, knapp und präzise oder eher ausführlicher, in ruhiger und möglichst angenehmer Atmosphäre mit etwas Smalltalk zu Beginn? Eine Einschätzung des Gegenübers im Hinblick auf das jeweilige Verhaltensprofil kann in der Vorbereitung sehr hilfreich sein. Dabei besteht kein Zweifel daran, dass bei Gesprächen mit selbem Inhalt über mehrere Mitarbeitenden hinweg die Kernbotschaften natürlich die gleichen sein müssen. Was sich jedoch ändert, ist die Art und Weise, wie sie verpackt und kommuniziert werden.
Um ein anderes Bild zu verwenden: Führungskraft und Mitarbeitende verhalten sich im Gespräch wie zwei Pendel, die mit unterschiedlich starker Schwingung, Energie und Tempo in das Gespräch einsteigen. Ziel der Führungskraft sollte es dabei sein, die Gesprächsführung auf das Schwingungsniveau des Gegenübers anzupassen, sodass sich beide Pendel im Laufe des Gesprächs aufeinander einstellen und das gleiche Schwingungsniveau erreichen, damit beide am Ende im Gleichklang miteinander schwingen. Passiert dies nicht, kann sich ein eher stetiger, nachdenklicher, bewusst abwägender Typ von einer schnellen, dynamischen Führungskraft, die auf Entscheidungen drängt, überrollt fühlen, während sich initiative und lebhafte Mitarbeitende, die Wert auf Begeisterung, Zusammenarbeit, Intuition und das große Ganze legen, von einer detailverliebten, rein faktentorientierten, eher unterkühlten und kritischen Führungskraft in die Ecke getrieben fühlen.
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