Ferdinand stimmte dem Besuch seines Neffen zu, genauso wie der Junior-Chef dem Wunsch von Behrens, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden.
Calpe
September 2013
Behrens wurde von seinem Onkel am Flughafen Alicante abgeholt und herzlich begrüßt.
„Mein lieber Florian, schön, dass du da bist, auch wenn die Umstände alles andere als erfreulich sind. Es muss eine schwere Zeit für dich sein. Dein Vater war wirklich ein Pfundskerl, den jeder mochte. Jetzt versuch erst einmal, eine Weile abzuschalten, später schauen wir dann weiter! Du wohnst bei mir im Haus. Bleib so lange du willst!
Leider konnte ich nicht zur Beerdigung kommen, ein paar Herren im weißen Kittel hatten etwas dagegen. Wie geht es meiner Schwester?“
„Mama ist eine starke Frau. Sie hat mir gesagt, dass du im Krankenhaus warst. Ist es etwas Ernsthaftes, wenn ich fragen darf?“
„Was soll ich mich beklagen, vom Gastwirt erwarten die Leute, dass er auch trinkt, wozu er eingeladen wird. Ein paar Jahre wird meine Leber noch aushalten müssen“, witzelte Ferdinand.
Behrens befolgte den Rat seines Onkels und versuchte, das schreckliche Ereignis hinter sich zu lassen. Selbst mit seiner Mutter telefonierte er nicht mehr täglich.
Er besuchte bekannte Orte, bummelte durch die schöne Altstadt, bestieg zur Hälfte den „Penon de Ifach“, das Wahrzeichen des Ortes, und landete schließlich im Hafen, wo er den Fischern zusah, wie sie ihren Tagesfang in Kisten von Bord in die große Auktionshalle brachten. Dort warteten bereits die Händler mit ihren Kühlwagen, um das Meeresgetier in die umliegenden Restaurants oder ins Landesinnere zu bringen.
Obwohl Behrens Mitleid mit den sich noch bewegenden Krabbeltieren hatte, bewunderte er die Arbeit der Fischer, die, anders als er, von kräftiger Statur waren und gebräunte Haut besaßen.
Nach einigen Tagen kam bei ihm Langeweile auf und er fragte seinen Onkel, ob er im Restaurant mithelfen könne. Ferdinand nahm die Hilfe gerne an und beorderte Behrens zunächst in die Küche zum Spülen. Nicht immer gab es dort genügend zu tun, dann servierte er den Gästen das Essen an den Tisch.
„La comadreja“ war ein in die Jahre gekommenes Gasthaus mit überwiegend spanischen Spezialitäten. Auf der Speisenkarte konnte man Gazpacho, Paella und Patatas Bravas finden, aber auch Wiener Schnitzel mit Pommes. Das Restaurant lag außerhalb des Zentrums direkt an der Landesstraße 332. Kein typisches Touristenlokal, eher ein Treffpunkt für Einheimische und Menschen, die ihr Heimatland verlassen hatten, um ihre letzten Jahre ohne spürbaren Winter zu verleben.
Manouch
Ein solcher Mensch war Manouch, die mit bürgerlichem Namen Greta Berger hieß. Eine ältere Juwelierswitwe aus der Schweiz, die schon viele Jahre im Rollstuhl saß. Trotz der Decken auf ihren Beinen und dem eleganten Poncho über Schulter und Rücken konnte man eine große, schlanke Figur vermuten. Den Geschichten nach zu urteilen, die sie Bekannten und Freunden erzählte, muss sich ihre Sturm-und-Drang-Zeit in den 80er-Jahren abgespielt haben. Ihr wahres Alter würde sie wahrscheinlich nicht einmal unter Drogen verraten.
Sie kam zwei bis drei Mal in der Woche und wurde immer von ihren Bediensteten begleitet. Meistens waren es ihre Haushälterin Lucia und deren 16-jähriger Sohn Fabio.
Sie bestellte ein Gericht, welches sie nie ganz aufaß. Je mehr sie trank, desto unterhaltsamer wurde sie. Dabei übertönte ihre Stimme die ohnehin sehr lauten Gespräche der Spanier. Sie entschuldigte sich mehrfach am Abend, spendierte Wein und Brandy sowie die letzte Runde vor Lokalschluss.
Eines Abends, als es mal wieder nicht so viel in der Küche zu tun gab, brachte Behrens den Gästen das Essen. Als er an den Tisch von Manouch kam, sprach sie ihn auf Schwyzerdeutsch an: „Ich glaube, ich habe Sie hier noch nie gesehen, sind Sie neu? Verstehen Sie mich überhaupt?“
Bevor Behrens antworten konnte, eilte Nando hinter dem Tresen hervor und sagte: „Das ist Flo, mein Neffe aus Deutschland, der Sohn meiner Schwester. Er hilft mir ein wenig in der Saison aus.“
„Da hast du mir ja die ganze Zeit einen feinen jungen Mann verschwiegen. Sind Sie das erste Mal in Calpe, Flo?“, fragte Manouch interessiert und schaute dabei mit einem Lächeln im Gesicht an Behrens hoch.
„Meine Freunde nennen mich Max, bitte. Nein, ich war schon einige Male im Urlaub hier“, gab Behrens artig zur Antwort.
„Dann will ich dich jetzt auch Max nennen. Bitte bring mir noch einen Vino tinto; für Lucia und Fabio ein Wasser sin gas und eine Cola light.“
Sichtlich verärgert ging Behrens zu Nando, der inzwischen wieder hinter dem Tresen stand.
„Onkel, ich möchte dich nochmals bitten, mich vor anderen nicht Flo zu nennen. Du weißt, dass ich diese Abkürzung schon in der Schule nicht mochte.“
Nando hörte gelassen zu, füllte die Gläser und brummte leise: „Bueno und nun bring die Bestellung an den Tisch, Florian.“
In den nächsten zwei Wochen wiederholte sich dieser Ablauf noch einige Male: Manouch kam mit ihrem Gefolge, bestellte Essen und Trinken sowie die letzte Runde vor Lokalschluss. Lediglich die Gespräche zwischen ihr und Behrens wurden länger und intensiver.
Sie erzählte ihm aus ihrem Leben und schwärmte von der aufregenden Zeit mit ihrem Mann, einem der namhaftesten Juweliere in Zürich, vielleicht sogar der ganzen Schweiz.
Sie reisten mit eigenem Jet und fertigten Schmuck nur für die beste Gesellschaft. Dabei nannte sie bekannte Namen aus dem Film- und Musikgeschäft. Bei all den Geschichten und Anekdoten hing Behrens ihr an den Lippen. Er konnte davon nicht genug bekommen und war von der älteren Dame und deren „Lebensbeichte“ stark beeindruckt.
Sie hingegen genoss es, in Behrens einen echten Bewunderer gefunden zu haben und sparte nicht mit pikanten Details aus der Welt der Schönen und Reichen.
Am Ende einer dieser langen Abende im Restaurant bat Manouch Behrens, sie am nächsten Tag in ihrem Haus zu besuchen. Sie hätte etwas mit ihm zu besprechen und wolle ihm einen Vorschlag machen.
„Das klingt nicht gerade nach einem Date, zumal die Behinderung und das Alter …“, überlegte Behrens und holte sich Rat bei Nando.
„Manouch ist eine wohlhabende Frau und, soweit ich weiß, ohne Nachkommen. Vielleicht hat sie sich in dich verguckt und will dich als Erben einsetzen“, scherzte Nando und schob noch nach: „Morgen ist eh Sonntag und das Lokal geschlossen. Du hast also frei.“
Am nächsten Tag, pünktlich um 19 Uhr, klingelte Behrens an der mit Holzschnitzereien verzierten Haustür, die nach wenigen Augenblicken von Lucia geöffnet wurde.
„Hola, mi señor, Manouch esta esperando.“
Behrens verstand die Worte nicht, entnahm aber dem Lächeln von Lucia, dass er willkommen sei und trat ein.
Die Villa von Manouch war ein großer Bungalow und nur wenige Gehminuten von dem Haus seines Onkels entfernt. Behrens hatte sich bereits vor einigen Tagen das Anwesen von außen angeschaut und im Geheimen gewünscht, einmal in diesem Prachtbau Gast sein zu dürfen.
Das Haus verfügte über eine Doppelgarage, einen Pool, der in den Abendstunden beleuchtet war und eine große Terrasse, an die sich ein gepflegter Zierrasen anschloss. Des Weiteren ein überdachter Grillplatz mit einer hochwertigen Sitzgruppe für sechs bis acht Personen.
„Wie und wann will sie das nur alles nutzen?“, ging es Behrens schon beim ersten Betrachten durch den Kopf.
Manouch saß in ihrem Rollstuhl in der Nähe des Kamins. Sie bot ihm einen Platz an und fragte, was er trinken möchte. Sie hätte alles da, er solle sich ruhig trauen.
„Wir sind ja jetzt privat und hinterher kommt auch keine Rechnung. Du bist ein gut erzogener junger Mann. Das habe ich bereits bei unserer ersten Begegnung bemerkt, lieber Max.“
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