1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 »Noch bei Tomasz.«
Tomasz ist Modedesigner und einer von uns: ein ehemaliger Waldkobold, der sich darauf spezialisiert hat, Kleidung aus Spinnenseide und Mondlicht zu entwerfen. Für gute Freunde lässt er sich aber auch dazu herab, den Mantel einer Schwanenjungfrau zu flicken, wenn diese nach ihrem letzten Ausflug zu viele Federn gelassen hat. Er ist der Beste und macht Kara immer einen Freundschaftspreis. Das heißt allerdings auch, dass sie auf eine Zeit warten muss, in der es für Tomasz günstig ist, ihren Auftrag zwischen seine anderen, besserbezahlten zu schieben. Kara sitzt bereits seit fünf Wochen bei mir fest und wie es aussieht, wird das auch noch eine ganze Weile lang so bleiben. Ein bisschen habe ich gerade ein schlechtes Gewissen, dass ich froh darüber bin, das alles nicht allein durchstehen zu müssen.
»Ich weiß, wo der Ring ist«, gebe ich schließlich zu. Wenn ich Kara nicht vertrauen kann, wem dann? Bald wird sich ohnehin herumsprechen, wer sich das letzte Überbleibsel des sagenumwobenen Nibelungenschatzes gekrallt hat. Ihre Majestät war noch nie gut darin, die Klappe zu halten. Und dann erfährt auch der Graue Rat, dass ich bei meiner Aufgabe versagt habe.
»Wie meinst du das?«, fragt Kara.
Sie glaubt natürlich, der Ring sei bei Jaron. Wo er hoffentlich auch noch ist. Die Sache ist nämlich die: Der Ring kann nicht gewaltsam an sich gebracht werden, wenn ihn bereits jemand trägt. Der muss ihn dann schon freiwillig weitergeben. Und ich hoffe für uns alle, dass Jaron das noch nicht getan hat. Solange er den Ring bei sich behält, ist er sicher.
Nun ja. So sicher man als Mensch in den Händen einer Feenkönigin sein kann. Hoffentlich hat sie ihm noch keinen Eselskopf angehext.
»Robin ist vor mir im Café aufgetaucht, in dem Jaron arbeitet«, verrate ich dann.
»Shit!«
»Du sagst es.«
»Dann befindet sich der Ring der Nibelungen jetzt …«
»… in der Hand von Titania«, beende ich den Satz.
Aus dieser Nummer wieder rauszukommen, wird alles andere als einfach.
***
Kara und ich sind sämtliche Möglichkeiten durchgegangen: Mauricio kann uns nicht helfen, Lay können wir nicht vertrauen. Den Grauen Rat anzurufen wäre vermutlich meine letzte Rettung. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob das etwas bringt: Titania befindet sich gerade in Kontinentaleuropa und damit auf dem Hoheitsgebiet des Grauen Rates. Sie ist und bleibt allerdings immer noch die Feenkönigin von England und genießt als solche eine gewisse Immunität. Außerdem hat sie nicht den Ring gestohlen, sondern dessen Träger. Und der ist zu allem Überfluss auch kein Geschöpf der Anderswelt, sondern ein stinknormaler Mensch. In den vergangenen Jahren bin ich oft genug mit dem Rat zusammengestoßen und lege keinen Wert darauf, bei seinen Mitgliedern endgültig in Ungnade zu fallen. Jedenfalls nicht, wenn es noch eine andere Möglichkeit gibt, alles wieder zu richten. Kara und ich beschließen deshalb, dass wir zunächst den Versuch wagen, das Ganze allein hinzubiegen. Und deshalb machen wir das Einzige, das jetzt noch irgendeinen Sinn ergibt: Wir stehen Seite an Seite vor dem großen Spiegel in meinem Badezimmer und legen Eyeliner auf.
***
Es ist zwanzig Minuten nach Mitternacht, als ich im Regierungsviertel ankomme. Nicole, eine Freundin aus der Nachbarschaft, hat mir ihren Wagen geliehen: einen pechschwarzen Lamborghini. Wenn man den Zorn einer Feenkönigin auf sich ziehen will, macht man das besser mit Stil. Einen beträchtlichen Teil meiner Magie habe ich dafür aufgebraucht, einen Schutzzauber auf den Wagen zu legen und ihn für die Sinne der Menschen unsichtbar zu machen. Gut, dass Jaron gestern bei mir war, sonst hätte ich jetzt vermutlich keine Kräfte mehr übrig. Andererseits, wenn ich ihn gestern nicht mit zu mir nach Hause genommen hätte, wäre der Ring auch nicht weg. Düster vor mich hin brütend beobachte ich die Digitalanzeige im Armaturenbrett dabei, wie sie das Verstreichen der Minuten quälend langsam zählt.
Um 0:40 Uhr starte ich den Lamborghini wieder und fahre die Lennéstraße hinunter Richtung Berliner Philharmonie, bis ich zum Tiergartentunnel komme. Auch über diesem liegt ein Schutzzauber. Der stammt jedoch nicht von mir. Er wird dafür sorgen, dass ihn in der nächsten halben Stunde kein menschliches Wesen benutzt. Titania ist so berechenbar.
Als ich mich davon überzeugt habe, dass weder Menschen noch Feen oder Kobolde meine Anwesenheit wahrnehmen können, fahre ich hinunter in den Tunnel, wo ich mich auf halber Strecke hinter einer Kurve verstecke. Dann warte ich ab.
***
Ich höre Titania und ihre Meute kommen, lange bevor ich sie sehe. Das Dröhnen ihrer Motorräder hallt durch den Tunnel.
Die Feenkönigin steht auf Wettrennen, besonders in Großstädten. Ich steige aus dem Wagen und lehne mich mit verschränkten Armen gegen die Fahrertür.
Als die ersten beiden Motorräder um die Kurve jagen, reagieren die Fahrer sofort. Sie legen Vollbremsungen hin, die Maschinen unter ihnen kommen ins Schlingern. Die Anführerin ganz vorne reißt ihre Hand in die Höhe und plötzlich scheint die Luft sich zu verdicken; dichter zu werden und zäh wie Honig. Die Magie fängt den Schwung der Maschinen ab, verhindert, dass sie die Bodenhaftung verlieren und unter ihren Fahrern wegrutschen.
Die Zeit scheint sich gleichsam zu verdichten und auszudehnen wie eine zähflüssige Masse. Manipuliert von königlicher Magie kommen sieben Raser zum Stehen.
Ich weiß sofort, welcher von ihnen Titania ist. Früher ritt sie auf einer edlen Stute ihrem Zug voran, Sattel und Zaumzeug mit Glöckchen geschmückt, sie selbst in einen waldgrünen Mantel gehüllt. Jetzt trägt sie eine enggeschnittene, nachtschwarze Motorradkluft und einen Helm mit verspiegeltem Visier. Nur das Motorrad, von dem sie absteigt, ist so schneeweiß wie ihr Reittier von damals.
Wütend stiefelt sie auf mich zu. Sie macht sich nicht die Mühe, ihren Helm abzunehmen. Sie klappt lediglich das Visier nach oben.
»Das war knapp«, sagt sie, nachdem sie nur noch wenige Schritte von mir entfernt ist. Sie hat gezögert, ehe sie das Wort ergriffen hat, ich habe es deutlich gesehen. Vermutlich, weil sie sichergehen wollte, ihre Stimme wieder unter Kontrolle zu haben.
Ehrerbietig verbeuge ich mich vor meiner ehemaligen Königin. Ein bisschen Schmeichelei schadet jetzt vermutlich nicht. »Eure Hoheit.«
»Mein untreuer Ritter.«
Sie weiß genau, dass ich den Hof nicht freiwillig verlassen habe. Andererseits war meine Verwandlung in einen Inkubus nicht das Schlechteste, was mir widerfahren konnte.
»Erhebe dich«, gesteht sie mir schließlich gnädig zu und ich richte mich auf.
Wir mustern uns. Ihre Augen sind immer noch so schön wie eh und je: geheimnisvoll und grün wie Lindenblätter nach einem Sommerregen. Kein einziges Fältchen kann ich um sie herum erkennen.
»Hast du den Verstand verloren?«, fragt sie mich dann so emotionslos, als erkundige sie sich nach der Uhrzeit.
»Ihr habt etwas, das ich zurückhaben will.« Keine Zeit, um den heißen Brei herumzureden.
Titania rümpft die Nase. »Ich wüsste nicht, was das sein sollte.«
»Das wisst Ihr sehr wohl, Hoheit.«
»Im Grunde genommen gehört dieser Ring …«
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