26
Kritisiert wird an der Regelung des Bribery Act schon bislang u.a. außerdem, dass – anders als im US-Recht – auch sog. „facilitation payments“ (s.o. Rn. 24) strafbar sind und nicht nur die Bestechung von Amtsträgern, sondern auch diejenige von Angestellten privater Unternehmen erfasst ist.[44] Inwieweit hier die Mahnungen des für die Umsetzung des Bribery Act primär zuständigen SFO („ Serious Fraud Office“) zu einer restriktiven Auslegung des Gesetzes führen, muss sich noch erweisen.[45] Eine genauere Analyse des Gesetzes zeigt freilich, dass im Hinblick auf die Kritik eine durchaus differenzierte Betrachtung angezeigt ist.[46]
27
Bedeutung im Zusammenhang mit Criminal Compliancekommt dem Bribery Act2010 insbesondere deshalb zu, weil Sec. 7 Abs. 2 des Bribery Act eine Enthaftung des Unternehmensfür den Fall zulässt, dass das Unternehmen die Einrichtung eines hinreichenden Compliance-Systemsnachweisen kann („But it is a defence for C to prove that C had in place adequate procedures designed to prevent persons associated with C from undertaking such conduct“). In Konkretisierung der an die „ adequate procedures“ zu stellenden Anforderungen sind vom britischen Justizministerium auf der Grundlage von Sec. 9 des Bribery Act Richtlinien erlassen und durch die britische Sektion von Transparency International umfassende Auslegungshilfen veröffentlicht worden.[47] Damit soll insbesondere gewährleistet werden, dass das Ziel des Bribery Acts, systematische und nicht lediglich singuläre Korruption zu bekämpfen, erreicht werden kann.[48] Die danach vorgesehenen und zu honorierenden Schutzmaßnahmenbestehen in „risk assessment“, „top level commitment“, „due dilligence“, „clear, practial and accessible policies and procedures“, „effective implementation“ und „monitoring and review“.[49] Welche Maßnahmen dabei in concreto von den betreffenden Unternehmen vorzunehmen sind, ist – wie immer im Rahmen von Compliance – eine Frage des Einzelfalles.
3. Die Entwicklung in anderen Ländern
28
Die Diskussionum strafrechtliche Compliance ist internationalund hat viele weitere Länder erfasst.[50] Auch dort findet bereits eine ausgedehnte Auseinandersetzung in der Strafrechtswissenschaft statt.[51] Es fällt auf, dass in stark korruptionsanfälligen Ländern wie z.B. Russland oder Bulgarien eine Diskussion erst in allerersten Ansätzen beginnt.[52]
II. Die Entwicklung in Deutschland
29
Es ist immer wieder zu lesen, in Deutschland sei die Initialzündung des Compliance-Phänomensin der Unternehmenswirklichkeit durch die Siemens-Affäreerfolgt.[53] Dabei darf allerdings insbesondere für das Strafrecht nicht übersehen werden, dass auch der Siemens-Fall erst eine Reaktionauf die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechungdarstellt. Wenn Criminal Compliance – wenn auch etwas kurzsichtig[54] – zunächst in erster Linie zum Ziel hatte, die Strafbarkeit der Unternehmensführungsorgane zu vermeiden, stellt sie nämlich durchaus eine Antwort auf die moderne „top down“-Zurechnungsrechtsprechung des BGH dar.[55] Denn erst mit den zunehmenden Bemühungen des BGH, nicht mehr nur die „Kleinen“ zu bestrafen, sondern unmittelbar Zugriff auch auf die „Großen“ zu nehmen, entstand für Letztere überhaupt das Bedürfnis, sich von strafrechtlicher Verantwortlichkeit freihalten zu müssen.[56] Bei der Bewertung der jüngeren Wirtschaftsskandale( Rn. 31) darf daher die Entwicklung der vorhergehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung( Rn. 30) in ihrer Bedeutung für die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Unternehmensführungsorgane und damit für Criminal Compliance insgesamt nicht außer Acht gelassen werden.
1. Die Rechtsprechung des BGH in ihrer Bedeutung für Criminal Compliance
30
Die beiden wegweisenden Entscheidungen des BGH stellen in diesem Zusammenhang das „ Lederspray-Urteil“[57] und das „ Mauerschützen-Urteil“[58] dar. In der ersten Entscheidung hat der BGH das gesellschaftsrechtliche Prinzip der Generalverantwortungund Allzuständigkeitin das Strafrecht übertragen, in der zweiten die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaftauf Wirtschaftsunternehmen angewandt und in eine allgemeine täterschaftliche Verantwortlichkeit durch Ausnutzung regelhafter Abläufeumgemünzt (vgl. ausführlich unten Rn. 69 ff.). Die Bedeutung dieser Rechtsprechung für die Entwicklung der Criminal Compliance sollte nicht unterschätzt werden.[59]
2. Die Wirtschaftsskandale der jüngeren Zeit in ihrer Bedeutung für Criminal Compliance
31
Das ändert freilich an der Bedeutung der Wirtschaftsskandale der letzten Jahre insbesondere für die Entwicklung strafrechtlicher Compliance in der Praxis nichts. Insbesondere Siemens – als Auslöser des Compliance-Phänomens in der Unternehmenspraxis ( Rn. 29) – und Ferrostaal kommt unter dem Blickwinkel der Criminal Compliance erhebliche Bedeutung zu.[60] Es ist absehbar, dass insbesondere die kooperativen Nachtatbemühungendes Unternehmens auch zukünftig einen wesentlichen Aspekt erfolgreicher Criminal Compliance darstellen werden (vgl. noch Rn. 35).[61]
III. Der aktuelle Stand der Criminal Compliance in der Strafrechtswissenschaft
32
In nur wenigen Jahren hat sich hinsichtlich des Verständnisses von Criminal Compliance eine deutlich herrschende Meinung herausgebildet. Dabei ist zwischen den Bemühungen um eine Definitionder Criminal Compliance ( Rn. 33 ff.) und ersten Versuchen, eine theoretische Fundierungdes Phänomens der Criminal Compliance zu entwickeln ( Rn. 41), zu unterscheiden.
33
Zu Beginn der Diskussion wurde verbreitet insbesondere auf den präventiven Aspekt von Criminal Compliance abgestellt.[62] Daran ist richtig, dass es einen wesentlichen Aspekt und eine spezifische Schwierigkeit von Criminal Compliance ausmacht, strafrechtliche Verantwortlichkeit zu antizipieren.[63] Die Beschränkung auf Maßnahmen zu deren Prävention[64] überzeugt aber nicht.[65] Vielmehr zeichnet Criminal Compliance sich insbesondere auch durch ihr Zielaus, jedwede strafrechtliche Verantwortlichkeitzu vermeiden.[66] Kriminalitätsbezogene Compliance hat häufig gerade (erst) verfahrenserledigende Maßnahmen trotz des Verdachts der Straftatbegehung bzw. die Möglichkeit einer Strafmilderung bei erwiesener Verwirklichung eines Straftatbestandes zum Gegenstand. Criminal Compliance kann und darf daher nicht nur das Ziel haben, die Verwirklichung eines Straftatbestandes zu vermeiden; vielmehr kann und muss ihr Zweck auch gerade darin bestehen, die letztendliche strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betreffenden (bzw. ggf. des betroffenen Unternehmens) zu vermeiden.[67] Damit ist für Criminal Compliance jedenfalls auch ein repressiverAspekt charakteristisch.[68] In der deutschen und internationalen Literatur ist dieses Verständnis vom präventiven und repressiven Charakterder Criminal Compliance dementsprechend mittlerweile ganz herrschend.[69]
2. Weiterführende Begriffskonkretisierungen
34
Definiert der Begriff der Compliance sich in positiver Hinsicht zunächst einmal über ihr Ziel( Rn. 33), so besteht der spezifische Compliance-Aspekt insoweit darin, dass es über die Grenzen der einzelnen Teilrechtsbereiche hinaus um die Vermeidung rechtlicher Verantwortlichkeitgeht. Im Strafrecht soll (Criminal) Compliance also gerade strafrechtliche Verantwortlichkeit vermeiden, d.h. die Entstehung der Strafbarkeitoder doch zumindest die Bestrafungdes Betreffenden verhindern. Der in der 3. Auflage unternommene erste Definitionsversuchder Criminal Compliance lautete dementsprechend wie folgt: Criminal Complianceumfasst sämtliche notwendigen und zulässigen Maßnahmen zur Vermeidung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmensmitarbeitern aufgrund unternehmensbezogenen Verhaltens.[70] Mittlerweile ist diese Definition in vielfältiger Hinsicht zu konkretisieren versucht worden:
Читать дальше