II. Garantenverantwortung gemäß §§ 13 StGB, 8 OWiG
1. Gesetzliche Voraussetzungen
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Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Begehungsdelikts gehört, ist nach § 13 StGB bzw. § 8 OWiG Täter eines unechten Unterlassungsdelikts, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt ( Garantenklausel)[11] und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des Tatbestandes durch ein Tun entspricht ( Entsprechensklausel). Zur Ausfüllung der Garantenklausel haben Praxis und Theorie eine Reihe von Garantenstellungen entwickelt,[12] die aber nur zum Teil unternehmensbezogene Bedeutung entfalten (u. Rn. 32 ff.). Die Bedeutung der in ihrer Auslegung umstrittenen Entsprechensklausel ist eher gering.[13]
2. In Betracht kommende Garantenstellungen
a) Garantenstellungen des Unternehmensinhabers zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter
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Nach langem Streit um die Anerkennung und die Grenzen einer Betriebsinhaber-Garantenstellung[14] hat der 4. Strafsenat des BGH aus der Stellung als Unternehmens- oder Betriebsinhaberbzw. als Vorgesetzter eine Garantenpflicht zur Verhinderung von Straftaten nachgeordneter Mitarbeiterhergeleitet.[15] Sie beschränkt sich auf die Verhinderung betriebsbezogener Straftaten und umfasst nicht solche Taten, die der Mitarbeiter lediglich bei Gelegenheit seiner Tätigkeit im Betrieb begeht. Als betriebsbezogen sieht der BGH die Tat an, wenn sie einen inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Begehungstäters oder mit der Art des Betriebes aufweist.[16] Allerdings dürfte die praktische Bedeutungdieser Garantenstellung aus zwei Gründen eher geringbleiben:[17]
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Die Erfolgszurechnung bei unechten Unterlassungsdelikten setzt die sog. Quasikausalitätdes Unterlassens voraus: Die gebotene Verhinderungshandlung, welche die Rechtsordnung von dem Unterlassungstäter erwartet, müsste nach der namentlich in der Rspr. verwendeten Formel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Zuwiderhandlung des Mitarbeiters verhindert haben.[18] Verbleibende Zweifel an der Erfolgstauglichkeit der gebotenen Handlung, deren Unterlassung dem übergeordneten Unternehmensangehörigen vorgeworfen wird, schließen danach die Unterlassungstäterschaft aus. |
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Darüber hinaus erfordert die Zurechnung eines Vorsatzdelikts kraft unechten Unterlassens auch eine Vorsatzbeziehungdes Unterlassungstäters zu dem nicht verhinderten konkreten Delikt. Nur wenn der zur Deliktsverhinderung Verpflichtete eine bestimmte Zuwiderhandlung eines bestimmten Mitarbeiters zumindest für konkret möglich hält und sich damit abfindet (also mit Eventualvorsatz handelt), kann ihm der Vorwurf gemacht werden, er selbst sei in diese Vorsatztat als Täter eines unechten Unterlassungsdelikts verstrickt. Zwar bleibt die Möglichkeit eines Fahrlässigkeitsvorwurfes; dieser fordert statt der Voraussicht nur die Vorhersehbarkeit des konkreten Verhaltens des Mitarbeiters, die zwar auch nicht selbstverständlich ist, aber doch eher bejaht werden kann. Doch sind gerade im Wirtschaftsstrafrecht keineswegs alle Delikte überhaupt auch in der fahrlässigen Begehungsform mit Strafe oder Geldbuße bedroht, und wo sie es sind, schwächen der typischerweise – d.h. vorbehaltlich einer abweichenden gesetzlichen Regelung wie z.B. in § 50 Abs. 12 BörsG oder § 120 Abs. 25 WpHG – geringere Sanktionsrahmen des Fahrlässigkeitsdelikts (s. § 17 Abs. 2 OWiG) und die Milderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2 StGB die Sanktionseffizienz. |
b) Garantenstellung der Unternehmensleitung zur Verhinderung einer Vermögensschädigung?
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Die Stellung als Geschäftsführer einer GmbH oder als Mitglied des Vorstandes einer Aktiengesellschaft begründet nach Auffassung des VI. Zivilsenats des BGH keine aus § 823 Abs. 2 BGB und §§ 266, 27 StGB herleitbare Garantenpflicht gemäß § 13 StGB zur Verhinderung einer Vermögensschädigung außenstehender Dritter.[19] Die Pflichten aus der Organstellung zur ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte der Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG und § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, zu denen auch die Legalitätspflicht gehört, für die Rechtmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft Sorge zu tragen, bestehen nach Ansicht des BGH grundsätzlich nur dieser gegenüber und lassen bei ihrer Verletzung Schadensersatzansprüche nur der Gesellschaft entstehen.
c) Tatsächliche Übernahme von Aufsichtspflichten
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Ergänzend ist eine Garantenstellung aus tatsächlicher Übernahme von Aufsichtspflichten anzuerkennen.[20] Sie unterscheidet sich von § 130 OWiG (dazu u. Rn. 38 ff.) dadurch, dass sie die an Sicherheit grenzende hypothetische Verhinderungskausalität und die Voraussicht oder Voraussehbarkeit einer konkreten Zuwiderhandlung voraussetzt (o. Rn. 33 f.). Nach Ansicht des BGH begründet nicht jede Übertragung von Pflichten eine Garantenstellung; es muss vielmehr ein besonderes Vertrauensverhältnis hinzutreten, das den Übertragenden gerade dazu veranlasst, dem Verpflichteten besondere Schutzpflichten zu überantworten. Entscheidend für Inhalt und Umfang der Garantenpflicht kommt es danach darauf an, „ob sich die Pflichtenstellung des Beauftragten allein darin erschöpft, die unternehmensinternen Prozesse zu optimieren und gegen das Unternehmen gerichtete Pflichtverstöße aufzudecken und zukünftig zu verhindern, oder ob der Beauftragte weitergehende Pflichten dergestalt hat, dass er auch vom Unternehmen ausgehende Rechtsverstöße zu beanstanden und zu unterbinden hat.“[21] Der BGH will, wie er in einem obiter dictum ausführt,[22] aus diesem rechtlichen Gesichtspunkt auch dem Compliance Officer regelmäßig eine strafrechtliche Garantenpflicht auferlegen, im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern.[23]
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Im Lederspray-Fall[24] hat auch die Garantenstellung aus vorangegangenem gefährdendem Tun praktische Bedeutung für das Unternehmenstrafrecht erlangt.[25]
[1]
Krenberger/Krumm OWiG, § 14 Rn. 11 ff.; Lemke/Mosbacher § 14 Rn. 2; Rengier in: KK-OWiG, § 14 Rn. 13, 87 ff.; Rebmann/Roth/Herrmann § 14 Rn. 13a.
[2]
S. dazu etwa Lackner /Kühl § 25 Rn. 2 ff.; Rengier in: KK-OWiG, § 14 Rn. 89 ff.; Roxin AT-II, § 25 Rn. 45 ff.
[3]
AT-II § 25 Rn. 268 ff.; Nachw. der zustimmenden Literatur s. dort Rn. 275.
[4]
S. dazu nur Jescheck/Weigend § 62 II 7; Lackner /Kühl § 25 Rn. 4, Roxin AT-II, § 25 Rn. 275 ff., je m.w.N.
[5]
Grundlegend Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl., 2006, S. 242 ff.
[6]
BGHSt 40, 218 ff. gegen Krenz u.a.
[7]
BGHSt 40, 218, 236.
[8]
BGHSt 40, 218, 237.
[9]
BGH wistra 1998, 148, 150; BGHSt 48, 331, 342 f.; 49, 147, 163 f.; einschränkend aber BGH wistra 2008, 57. Zustimmend Hellmann WiStrR Rn. 1043.
[10]
S. dazu, jeweils mit umfangreichen Nachweisen, zusammenfassend Hoyer in: SK 9. Aufl. § 25 Rn. 92; Joecks in: MK-StGB § 25 Rn. 135 ff.; Lackner /Kühl § 25 Rn. 2; Roxin AT-II, § 25 Rn. 129 ff.; Schild in: NK, § 25 Rn. 42, 44; Schünemann in: LK, § 25 Rn. 130 ff.; Wittig § 6 Rn. 110 ff. – differenzierend Ransiek ZGR 1999, 615, 635 f.
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