bb) Ausdrückliche Übertragung einzelner Aufgaben des Inhabers
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§ 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB und § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 OWiG erstrecken die Merkmalszurechnung weiter auf Personen, die von dem Inhaber des Betriebes oder Unternehmens oder einem sonst dazu Befugten ausdrücklich beauftragtsind, in eigener Verantwortung einzelne Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber selbst obliegen. Solche Beauftragte brauchen nicht Betriebsangehörige zu sein, so dass auch Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater usw. diese Stellung einnehmen können.[22] Stets erforderlich ist aber ein ausdrücklicher, wenn auch nicht notwendig schriftlicher Auftrag, der zugleich die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung, d.h. die selbstständige und im Prinzip weisungsfreie Entscheidungsmöglichkeit, umfasst; eine stillschweigende Übertragung von Aufgaben und korrespondierenden Pflichten reicht daher nicht aus.[23]
cc) Unterschiede zu § 30 OWiG
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Der Kreis der von der Merkmalszurechnung nach §§ 14 StGB, 9 OWiG betroffenen Personen weist damit deutliche Unterschiedeauf zu dem Täterkreis der Anknüpfungstatin § 30 OWiG. Zwar werden einige der für die Leitung verantwortlichen Personen i.S.v. § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG auch als Beauftragte i.S.v. §§ 14 Abs. 2 StGB, 9 Abs. 2 StGB angesehen werden können. Dennoch bleiben Friktionen, welche die Anwendbarkeit des reformierten § 30 OWiG einschränken können (vgl. o. 1. Teil 2. Kap. Rn. 9).
dd) Unwirksamkeit des Bestellungsakts
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Nach Abs. 3 der §§ 14 StGB und 9 OWiG sind die Abs. 1 und 2 auch dann anzuwenden, wenn die Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis rechtswirksam begründen sollte, unwirksamist. Sind also etwa die Formvorschriften für die Bestellung eines Organs nicht gewahrt oder ist der auftraggebende Unternehmensinhaber nicht geschäftsfähig gewesen, so hindert dies die Merkmalszurechnung nicht, wenn der Vertreter oder Beauftragte seine Position tatsächlich wahrgenommen hat. Es kommt dann insofern auf den rein faktischen Bestellungsakt und die faktische Tätigkeit der bestellten Person an. Aufeinen intentionalen Bestellungsaktselbst verzichtet das Gesetzaber nicht.[24] Eine bloße Duldung rechtswidrigen Handelns (etwa einer Person, die nach § 6 Abs. 2 GmbHG nicht Geschäftsführer einer GmbH sein darf) oder die einseitige Anmaßung einer organartigen Stellung o.Ä. kann angesichts dessen nicht ausreichen. Auch sonst erkennen weder § 14 StGB noch § 9 OWiG eine weitergehende „faktische Betrachtungsweise“ an; die enge Formulierung des Abs. 3 lässt vielmehr nur einen Umkehrschluss zu.[25]
4. Handeln „als“ Vertreter usw. oder „auf Grund“ des Auftrags
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§§ 14 StGB und 9 OWiG machen die Merkmalszurechnung davon abhängig, dass der Täter „als“ Vertreter usw. oder „auf Grund“ des Auftrages gehandelt hat. Was diesen Vertretungsbezugausmachen soll, ist umstritten:[26] Nach der von der Rechtsprechung zu § 14 StGBursprünglich entwickelten und jahrzehntelang vertretenen Interessenformel sollte der Täter „als“ Vertreter der genannten Personenverbände handeln, wenn er für sie und wenigstens auch in ihrem Interesse tätig wird; dagegen sollte § 14 StGB bei einer rein egoistischen Motivation im Prinzip unanwendbar sein.[27] Die am weitesten verbreitete Gegenauffassung stellt stattdessen ab auf einen funktionellen Zusammenhang . Danach ist ein Handeln als Vertreter oder auf Grund des Auftrages gegeben, wenn der Vertreter oder Beauftragte diejenigen Handlungsmöglichkeiten einsetzt und nutzt, die aus seiner Vertreter- oder Beauftragtenstellung erwachsen.[28] Radtke hat ein Zurechnungsmodell des Vertretungsbezuges entwickelt. Danach soll es darauf ankommen, ob auf der Grundlage einer rechtlich wertenden Betrachtung das Agieren des Organs usw. dem Vertretenen zugerechnet werden kann; das Verhalten muss sich danach in einem normativen Sinn als Verhalten des Vertretenen selbst darstellen.[29] Andere begnügen sich mit der bloßen Innehabung der jeweils gesetzlich geforderten Position [30]. Bei Auslegung des § 9 OWiGwerden zumeist Elemente der Interessen- und der Funktionstheorie miteinander vermengt.[31]
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Der Bundesgerichtshofhat die Interessenformel2012 aufgegeben[32] Danach kommt es für § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB entscheidend darauf an, dass der Handelnde gerade in seiner Eigenschaft als vertretungsberechtigtes Organ, also im Geschäftskreis des Vertretenen und nicht bloß „bei Gelegenheit“ tätig wird; ob dabei zwischen rechtsgeschäftlichem und faktischem Handeln zu differenzieren ist, hat der BGH offen gelassen. Der BGH hebt dafür die Situationen hervor, dass ein Organwalter im Namen der juristischen Person auftritt oder für diese auf Grund der bestehenden Vertretungsmacht bindende Rechtsfolgen zumindest im Außenverhältnis herbeiführt, oder dass er mit Zustimmung des Vertretenen faktisch handelt.
5. Mögliche kumulative Sanktion gegen den Vertretenen oder Auftraggeber
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Die Merkmalszurechnung gemäß §§ 14 StGB, 9 OWiG lässt, wie dem Wort „auch“in Abs. 1 und 2 zu entnehmen ist, die Strafbarkeit oder Bußbarkeit des Vertretenen oder Auftraggebers unberührt. Praktische Bedeutung hat dies freilich nur insoweit, als eine Sanktion gegen diesen überhaupt in Betracht kommt. Nimmt ein Personenverband die Rolle ein, an die der Bußgeld- oder Straftatbestand anknüpft, so ist diese Bedingung nicht erfüllt.
II. Die Beteiligung an Sonderdelikten
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Beteiligt sich jemand an einem Sonderdelikt, der selbst weder die von dem Tatbestand geforderte Rolle einnimmt noch nach § 14 StGB oder § 9 OWiG an ihr teilhat, so kommt es darauf an, ob es sich bei der Haupttat um eine Ordnungswidrigkeit oder um eine Straftat handelt:
1. Ordnungswidrigkeitenrecht
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Das Ordnungswidrigkeitenrecht schreibt eine umfassende Zurechnung unter den Beteiligtenvor: Jeder Beteiligte handelt nach § 14 Abs. 1 S. 2 OWiG auch dann ordnungswidrig, „wenn besondere persönliche Merkmale (§ 9 Abs. 1), welche die Möglichkeit der Ahndung begründen, nur bei einem Beteiligten vorliegen“. Es kommt also bei ahndungsbegründenden Merkmalen der o. Rn. 7erörterten Art allein darauf an, dass überhaupt einunmittelbar oder über § 9 OWiG Sonderpflichtiger (sog. Intraneus) an der Tat beteiligtist. Das wird in der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Literatur als Problem diskutiert für den Fall, dass der Träger der Sonderrolle nur eine Position einnimmt, die im Strafrecht als bloße Teilnahme gewertet werden müsste; doch ist diese Konstellation praktisch offenbar unproblematisch und auch theoretisch bei richtiger Betrachtung gar nicht denkbar, weil bei den Sonderdelikten der Sonderpflichtige kraft seiner Pflichtstellung stets Täter ist (str.).[33]
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Das StGBenthält in § 28 Abs. 1eine Regelung, die auf den ersten Blick unproblematisch den hier erörterten Fall betrifft, zumal darin auch noch auf § 14 StGB verwiesen wird. Danach ist die Strafe des Teilnehmers dann nach Maßgabe von § 49 Abs. 1 StGB zu mildern, wenn strafbegründende besondere persönliche Merkmale des Täters beim Teilnehmer fehlen. Indes ist der in § 28 StGB verwendete Begriff der „besonderen persönlichen Merkmale“ in der Strafrechtswissenschaft lebhaft umstritten, und man ist sich weithin einig, dass die Verweisung auf die Begriffsdefinition in § 14 StGB sachlich in die Irre führt.[34] Die Einzelheiten können hier nicht näher entwickelt werden. Jedoch bedeutet die unterschiedliche Interpretation des Begriffes der besonderen persönlichen Merkmale in §§ 14 und 28 StGB, dass ein Statusmerkmal, welches eine wirtschaftliche Sonderrolle i.S.d. § 14 StGB beschreibt, nicht notwendig auch die Strafreduktion nach § 28 Abs. 1 StGB begründet.
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