In dem Beispielder Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 266a Abs. 1 StGB ist also das Tätermerkmal „Arbeitgeber“ auf bestimmte Leitungspersonen eines Unternehmens anzuwenden, wenn eigentlich der Arbeitsvertrag mit dem Rechtsträger des Unternehmens geschlossen worden ist, wenn aber diese Leitungspersonen in ihrer Leitungsfunktion die tatbestandsmäßige Handlung des Vorenthaltens ausgeführt haben. Ist also Arbeitgeber etwa eine GmbH als solche, so kann danach ihr Geschäftsführer bestraft werden, wenn er veranlasst, dass die Arbeitnehmeranteile des Gesamt-Sozialversicherungsbeitrages für die bei der GmbH Beschäftigten nicht bei Fälligkeit an die gesetzliche Krankenversicherung als Einzugsstelle abgeführt werden (s. weiter dazu u. Rn. 28).
Hier wird mithin der Anwendungsbereich des von dem Straftatbestand vorausgesetzte besonderen Tätermerkmals, welches die überpersonale Einheit betrifft, auf die für diese handelnde natürliche Person ausgedehnt.[3] Damit werden diese natürlichen Personen selbst mögliche Täter der entsprechenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit – und damit wiederum öffnet sich auch die Tür zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße gegen den überpersonalen Rechtsträger des Unternehmens (im Bsp. also die GmbH), weil dadurch eine Anknüpfungstat der in § 30 OWiG geforderten Art möglich wird (o. 1. Teil 2. Kap. Rn. 6 ff.).
2. Besondere persönliche Merkmale
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Dem Adressaten zugerechnet werden besondere persönliche Merkmale. §§ 14 StGB und 9 OWiG umschreiben diese in Abs. 1 als „besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände“, doch ist der Erkenntnisgewinn dieser Definition nur gering. Die nähere Bestimmung dieser Merkmale im Einzelnen und das Verhältnis der Formel des § 14 Abs. 1 zu § 28 StGB sind in der strafrechtlichen Literatur sehr strittig[4], während die ordnungswidrigkeitenrechtlichen Kommentare damit pragmatischer umgehen und angesichts der Struktur der Bußgeldtatbestände auch umgehen können[5]. Für das Wirtschaftsstrafrecht i.w.S. reduziert sich die Bedeutung des Begriffes der besonderen persönlichen Merkmale auf Statusmerkmale, welche Sonderrollen der wirtschaftliche Tätigen umschreiben (Beispiele s.o. Rn. 4).
3. Adressaten der Merkmalszurechnung
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Der Kreis möglicher Adressaten der Merkmalszurechnung in § 14 StGB und § 9 OWiG weicht seit dem (hier so genannten) EU-Rechtsinstrumente-AG von 2002[6] nicht unerheblich ab von dem Täterkreis der Anknüpfungstat in § 30 OWiG (s. dazu 1. Teil 2. Kap. Rn. 8 ff.). Im Einzelnen gilt Folgendes:[7]
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Der Personenkreis des Abs. 1 Nr. 1 umfasst die generell vertretungsberechtigten Organe einer juristischen Person, d.h. namentlich den Vorstand der Aktiengesellschaft (§§ 1 Abs. 1, 76 Abs. 1, 78 AktG), der eingetragenen Genossenschaft (§§ 17 Abs. 1, 24 GenG) oder des eingetragenen Vereins (§§ 26, 29 BGB), sowie jeweils auch die Mitglieder dieser Organe; erfasst sind ferner der Geschäftsführer der GmbH (§§ 13 Abs. 1, 35 GmbHG), der Komplementär bei der KGaA (§§ 278 AktG, 170 HGB) und der besondere Vertreter des eingetragenen Vereins gemäß § 30 BGB, ferner im Abwicklungsstadium auch der Liquidator (§§ 269, 290 AktG, § 89 GenG, § 48 Abs. 2 BGB, § 68 GmbHG). Ob im Einzelfall eine konkrete Vertretungsbefugnis besteht oder ob überhaupt rechtsgeschäftlich gehandelt wird, ist dabei unerheblich; maßgeblich ist allein, dass die betreffenden Organe ihrer Art nach überhaupt zur Vertretung befähigt sind.[8] Deshalb scheiden der Aufsichtsrat und seine Mitglieder als Adressaten der §§ 14 StGB, 9 OWiG aus (s. § 78 Abs. 1, § 111 AktG; § 35 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GmbHG).
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Abs. 1 Nr. 2 erweitert den Adressatenkreis auf die generell vertretungsberechtigten Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft(s. zu diesem Typus von Personenverband o. 1. Teil 2. Kap. Rn. 4 f.). Vorbehaltlich abweichender Regelung im Gesellschaftsvertrag gehören dazu die schon vor dem EU-Rechtsinstrumente-AG von 2002 (o. Rn. 8) hierunter fallenden Vertreter der Personenhandelsgesellschaften, d.h. die Gesellschafter der oHG (§ 125 HGB) und der Komplementär der KG (§§ 161, 170 HGB), ferner der Geschäftsführer der nach oHG-Recht behandelten Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (Art. 20 EG-VO Nr. 2137/85, § 1 EWiV-AG), aber angesichts des Wortlauts der Nr. 2 nur, soweit er selbst Gesellschafter ist, also nicht bei Fremdorganschaft[9]. Im Rahmen der GmbH & Co KG wird das besondere persönliche Merkmal kraft einer doppelten Anwendung von § 14 Abs. 1 StGB, § 9 Abs. 1 OWiG (erst Nr. 2, dann Nr. 1) dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH zugerechnet.[10] Seit der Neuregelung gehören darüber hinaus auch die vertretungsberechtigten Gesellschafter der BGB-Außengesellschaft und der PartG zu den möglichen Normadressaten[11]. Der director einer private company by limited shares nach englischem Recht (Ltd), die eine juristische Person darstellt, ist Beauftragter der Gesellschafter; deshalb sollte er als mit der Leitung des Unternehmens Beauftragter gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 1 StGB, § 9 Abs. 2 Nr. 1 OWiG eingestuft werden.[12]
11
Die Begrenzung auf die vertretungsberechtigten Gesellschafterwurde in der Literatur vor dem EU-Rechtsinstrumente-AG für die Personengesellschaftenzum Teil als sachlich gegenstandslos angesehen[13]. Indes entspricht dies weder dem heute erreichten Stand in der Verselbständigung der rechtsfähigen Personengesellschaften noch dem Willen des Gesetzgebers.[14] Deshalb hat die Auslegung der §§ 14 StGB und 9 OWiG die gesetzliche Entscheidung ernst zu nehmen, dass die Merkmalszurechnung allein die vertretungsberechtigten Gesellschafter trifft und für die nicht vertretungsberechtigten Gesellschafter nicht gilt.[15] Alles andere wäre verbotene Analogie zu Lasten eines gesetzlich nicht genannten Personenkreises.
12
§ 14 Abs. 1 Nr. 3 StGB und § 9 Abs. 1 Nr. 3 OWiG schließlich beziehen sonstige gesetzliche Vertreterein wie die Eltern eines Minderjährigen, den Insolvenzverwalter und den Liquidator, soweit er nicht Organ nach Nr. 1 ist.
b) Beauftragte
aa) Auftrag zur vollen oder partiellen Unternehmensleitung
13
§ 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB und § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG dehnen die Zurechnung besonderer persönlicher Merkmale aus auf Personen, die von dem Inhaber – bzw., soweit dieser keine natürliche Person ist, von einem vertretungsberechtigten Organ oder Gesellschafter – oder von einem sonst dazu Befugten beauftragtworden sind, den Betrieb oder das Unternehmen ganz oder zum Teil zu leiten(eine Gleichstellung von Betrieb und Unternehmen ergibt sich hier aus Abs. 2 S. 2).
14
Dabei erfasst die Teilleitungsklausel sowohl die Leiter von Teilunternehmen und Teilbetrieben, etwa einer Zweigniederlassung[16] als auch die Leiter von Unternehmens- und auch Betriebsteilen; insofern bedarf sie jedoch einer einschränkenden Interpretation:[17] Nr. 1 verlangt im Unterschied zu Nr. 2 des Abs. 2 S. 1 nicht einen ausdrücklichen Auftrag zur Wahrnehmung von Aufgaben, die dem Inhaber des Betriebes obliegen; deshalb kann nur eine solche Person als beauftragt angesehen werden, einen Betrieb oder ein Unternehmen zum Teil zu leiten, deren Stellung so verantwortlich ist, dass sich die Übernahme von Aufgaben des Inhabers von selbst versteht.[18] Das trifft zu für die Leiter ganzer sektoral abgetrennter Abteilungen[19], nicht aber bereits für Obermeister oder gar Vorarbeiter[20]. Wo die Grenze in dem Zwischenbereich verläuft, ist bisher nicht abschließend geklärt. Nach Ansicht des OLG Karlsruhe muss dem Betriebsteil „eine herausgehobene Selbstständigkeit und Bedeutung zukommen“; das erfordert Ermittlungen zur Organisation des Betriebes und zur genauen hierarchischen Stellung des Beauftragten.[21]
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