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In der 18. Legislaturperiodewurde das Vorhaben durch die neu gebildete Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD jedoch wieder aufgenommen. Ausgangspunkt der politischen Debatte war nun zunächst ein Referentenentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) vom 4.2.2015,[73] der auf einem beinahe wortgleichen Vorschlag des bayrischen Staatsministeriums der Justiz vom 15.1.2015 beruhte[74] und im Kern die Einführung eines neuen Straftatbestands der „Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen“ (§ 299a Ref-E) vorsah. Die Bundesregierung beschloss diesen Entwurf am 29.7.2015 in leicht veränderter Fassung – insbesondere wurden die Tatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung in zwei § 299a StGB-RegE und § 299b StGB-RegE aufgeteilt – und brachte ihn (nach vorheriger Beteiligung des Bundesrates[75]) am 21.10.2015 in den Bundestag ein.[76] Die am 13.4.2016 vorgelegte Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz wich von diesem Regierungsentwurf jedoch noch einmal erheblich ab. Insbesondere wurden die noch im Regierungsentwurf enthaltenen Tatbestandsvarianten der §§ 299a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 299b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB-RegE, wonach auch die vorteilsmotivierte Verletzung von Berufspflichtenstrafbar sein sollte, unter dem Eindruck (größtenteils) berechtigter Kritik[77] ersatzlos gestrichen.
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Rechtspolitisch nicht einsichtig ist dagegen der Umstand, dass auch die „Abgabe von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten“als Anknüpfungspunkt für eine korruptive Unrechtsvereinbarung aus dem Tatbestand der §§ 299a, 299b StGB-RegE gestrichen und durch das Merkmal des „Bezugs von Arznei- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten, die jeweils zur unmittelbaren Anwendung durch den Heilberufsangehörigen oder einen seiner Berufshelfer bestimmt sind“, ersetzt wurde.[78] Diese Änderung führt jedenfalls nach herrschender Lesart dazu, dass Apothekerfaktisch vom Tatbestand des § 299a StGB ausgenommen sind, weil sie zwar zum Kreis der tauglichen Täter des § 299a StGB zählen,[79] von Ausnahmefällen abgesehen[80] aber keine der in § 299a Nr. 1–3 StGB genannten heilberuflichen Entscheidungen treffen.[81] Eine dritte wichtige Änderung betraf die Ausgestaltung der §§ 299a, 299b StGB als Offizialdelikte; der Regierungsentwurf hatte insofern in § 301 StGB-RegE noch ein relatives Strafantragserfordernis vorgesehen.
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Ungeachtet der vom Bundesrat geäußerten Bedenken[82] passierte die genannte Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 14.4.2016 den Bundesrat[83] und wurde am 13.5.2016 vom Bundestag beschlossen.[84] Daraufhin trat das „Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen“ – mit den neu eingeführten Straftatbeständen der §§ 299a, 299b StGB als Kernregelungen – am 4.6.2016in Kraft.[85]
2. Grundsätzliche Bewertung der §§ 299a, 299b StGB
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Die neu eingeführten §§ 299a, 299b StGB erfassen – eine richtige Handhabung vorausgesetzt – strafwürdiges Unrecht[86] und sind in ihrer geltenden Fassung auch verfassungsgemäß.[87] Insbesondere lässt sich den grundsätzlich durchaus berechtigten Bedenken hinsichtlich der ausreichenden Bestimmtheitdieser Tatbestände durch eine sorgfältige Auslegung Rechnung tragen.[88] Auch die Behauptung, die §§ 299a, 299b StGB stellten gleichheitswidriges Sonderstrafrechtfür Heilberufsangehörige dar,[89] geht fehl, da der Gesetzgeber sich im Rahmen der ihm soweit zustehenden Einschätzungsprärogative[90] in vertretbarer Weise dafür entschieden hat, angesichts der hohen strukturellen Korruptionsrisiken im Gesundheitssektor[91] sowie der in Art. 2 Abs. 1 GG wurzelnden staatlichen Schutzpflicht für die durch Korruption gefährdete Gesundheit der Patienten von Heilberufsangehörigen besondere strafrechtliche Regelungen vorzusehen, die für andere Freiberufler (z.B. Rechtsanwälte) nicht gelten.[92] Für den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung lässt sich sogar umgekehrt die Frage stellen, ob es nicht vielmehr gleichheitswidrig wäre, die hier tätigen Heilberufsangehörigen wegen ihrer sozialrechtlich besonders ausgestalteten Beziehung zu den Kostenträgern nicht unter das Korruptionsstrafrecht zu fassen, während die Strafbarkeit für die Bestechlichkeit und Bestechung im Übrigen geschäftlichen Verkehr (und damit insbesondere auch bezüglich abhängig beschäftigter Heilberufsangehöriger) ausgedehnt wird.[93]
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De lege ferenda sind – wie ursprünglich im Regierungsentwurf vom 21.10.2015 vorgesehen[94] – auch Abgabeentscheidungen von Apothekern– jedenfalls im Bereich apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtiger „Over-the-counter“-Medikamente[95] – in den Anwendungsbereich von § 299a StGB aufzunehmen.[96] Dagegen spricht insbesondere nicht der Umstand, dass Apotheker – in der von § 299 StGB bekannten Terminologie ausgedrückt – als Geschäfts- bzw. Unternehmensinhaber agieren und ihr Verhalten das Schutzgut „Wettbewerb“ von vornherein nicht berührt.[97] Denn anders als ein „normaler“ Unternehmer schulden Apotheker ihren Patienten kraft ihres (Heil-)Berufsstandes objektive, finanziell nicht unsachgemäß beeinflusste Beratung (sog. Drittverantwortlichkeit) und agieren daher nicht wie jeder andere Nachfrager am Markt; Bezugsentscheidungen unter Berücksichtigung anderer als der Interessen des Patienten sind von vornherein nicht mehr von der Vertragsfreiheit gedeckt und daher letztlich wettbewerbsschädlich.[98] Ferner erscheint es möglich, vorteilsmotivierte Abgabeentscheidungen bei Apothekern in den Tatbestand miteinzubeziehen ohne dabei zugleich jeden Verstoß gegen die (unübersichtlichen) Preis- und Rabattregularien im Arzneimittelbereich zur Straftat heraufzuzonen.[99] Eine generelle Ausdehnung des Tatbestands auf vorteilsmotivierte Berufspflichtverletzungenist dagegen – insbesondere wegen der damit verbundenen Bestimmtheits-[100] und Kompetenz- bzw. Legitimationsprobleme (Berufskammern als „kleine“ Strafrechtsgesetzgeber)[101] – nicht sachgerecht[102] und im Übrigen auch durch den Rahmenbeschluss 2003/568/JI v. 22.7.2003[103] unionsrechtlich nicht geboten.[104]
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Zustimmung gebührt der Forderung, Clearing-Verfahreneinzuführen, in denen heilberufliche Kooperationsvereinbarungen im Einzelfall rechtsverbindlich auf ihre Zulässigkeit untersucht werden können.[105]
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Die Relevanz der §§ 299a, 299b StGB in der Strafverfolgungspraxis hält sich noch deutlich in Grenzen.[106] So weist das Bundeslagebild Korruptionfür das Jahr 2017 nur 62 polizeilich registrierte Verdachtsfälle (davon die Hälfte aus Niedersachsen) nach § 299a StGB (2016: 8 Fälle) und 66 Fälle nach § 299b StGB (2016: 6 Fälle) aus.[107] In der Polizeilichen Kriminalstatistiksind für den Berichtszeitraum 2017 lediglich 4 Fälle des § 299a StGB und 3 Fälle des § 299b StGB registriert.[108] Das Fallaufkommen ist damit gegenüber anderen Formen der Delinquenz im Gesundheitswesen wie etwa dem Abrechnungsbetrug (5588 Fälle im Jahr 2017, 2465 Fälle im Jahr 2016) zu vernachlässigen. Ob dies an einem generell vorsichtigen Umgang der Strafverfolgungsbehörden mit den neuen Tatbeständen[109] oder eher an vielleicht noch fehlender Anwendungsroutine liegt, wird erst die Zukunft erweisen.
[1]
Zahlenmaterial online abrufbar unter http://t1p.de/iqvg.
[2]
Die Daten des Statistischen Bundesamts zur Anzahl der Beschäftigten in der Automobilindustrie lassen sich online unter http://t1p.de/hrml abrufen.
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