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„Für das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten wird innerhalb der Sphäre des bürgerlichen wie des peinlichen Rechtes an der zwischen beiden Personen bestehenden Willensübereinstimmung unter allen Umständen als dem leitenden und entscheidenden Gesichtspunkte festzuhalten sein […] So gewiss der verfügungsfähige Kranke durch Berufung des Arztes zwecks Heilung seines Leidens dem Arzte nicht eine unbeschränkte Gewaltherrschaft über seine Person eingeräumt hat, so gewiss der Auftrag zum Heilverfahren jederzeit von ihm widerrufen, der eine Arzt durch einen anderen ersetzt werden kann, so gewiss ist derselbe Kranke auch befugt, der Anwendung jedes einzelnen Heilmittels, seien es innerlich wirkende Medikamente, seien es äußere operative Eingriffe, rechtswirksam Weigerung entgegenzusetzen. Und mit dem Moment solcher Weigerung des zurechnungsfähigen Kranken oder seiner gesetzlichen Willensvertreter erlischt auch die Befugnis des Arztes zur Behandlung und Misshandlung einer bestimmten Person für Heilzwecke. Folgeweise handelt derjenige Arzt, welcher vorsätzlich für Heilzwecke Körperverletzungen verübt, ohne sein Recht hierfür aus einem bestehenden Vertragsverhältnis oder der präsumtiven Zustimmung, dem vermuteten Auftrag hierfür legitimierter Personen herleiten zu können, überhaupt unberechtigt, d. i. rechtswidrig und unterliegt der solche Delikte verbietenden Norm des § 223 StGB“.[68]
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Mit dieser Begründung wurde das freisprechende Urteil des LG Hamburg vom RG aufgehoben und die Sache in die Instanz zurückverwiesen.[69]
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Diese nun ständige Rechtsprechung hat auch BGH jüngst gerade auch für den „mit den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommenen Eingriff“ nochmals bestätigt.[70] Er hat lediglich hinsichtlich der Verabreichung von Betäubungsmittelnan einen Sterbenden für die Gesundheitsbeschädigung einschränkend eine einzelfallkonkrete Feststellung angemahnt:[71]
„In einer solchen vorsätzlichen Verabreichung liegt nicht notwendig eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223Abs. 1 StGB. Betäubungsmittel können indes, je nach den Umständen des Einzelfalls, Wirkungen hervorrufen, die sich als Gesundheitsschädigung darstellen. Dies gilt etwa dann, wenn sie zu Rauschzuständen mit weiteren körperlichen Nebenwirkungen, zur Suchtbildung oder zu Entzugserscheinungen führen (BGH […] NJW 1970, 519). Wer Betäubungsmittel verabreicht, hierdurch solche Wirkungen erzielt und dabei vorsätzlich handelt, verwirklicht den Tatbestand des § 223Abs. 1 StGB ([…] BGHSt 49, 34, 38), sofern dieser nicht bereits durch die Injektion als solche erfüllt wurde […]. Morphin wirkt hauptsächlich auf das Zentralnervensystem, es hat eine sedativhypnotische Wirkung, hebt das Schmerzempfinden auf, führt aber auch zu einer Verminderung der Atemfunktion ([…] BGHSt 35, 179, 181). […] Jedenfalls fehlt es […] für die Annahme, die Angeklagte habe durch die Morphininjektion das Tatbestandsmerkmal einer Gesundheitsbeschädigung erfüllt, an einer tragfähigen Beweisgrundlage. Dies gilt insbesondere für den von der Strafkammer angenommenen, von der Angeklagten verursachten und vom eigentlichen Sterbeprozess zu unterscheidenden pathologischen Zustand, zumal sie die Verursachung des Todes des Patienten durch die Morphingabe nicht feststellen konnte.“
b) Kritik an der Judikatur des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs
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Insbesondere in der Ärzteschaft wird diese Rechtsprechung oft als eine völlig unverständliche „ Gleichsetzung“ ärztlichen Wirkens mit dem Tun etwa eines „Messerstechers“begriffen.[72] Auch im juristischen Schrifttum wird mit verschiedenen Ansätzen und beachtlichen Argumenten Kritik geäußert:[73] Anfänglich wurde vor allem eingewandt, dass gerade eine erfolgreiche, die körperliche Unversehrtheit im Ergebnis fördernde Behandlung keinen tatbestandlichen Erfolg ausmachen könne. Heute wird vermehrt geltend gemacht, dass nach dem sozialen, vom Rechtsgut her erwünschten Sinn der Heilbehandlungkeine „üble und unangemessene Behandlung“ vorliege, wie sie die Definition der körperlichen Misshandlung verlange (dazu Rn. 596); es fehle an der Setzung eines rechtlich missbilligten Risikos. Nicht zuletzt wird darauf verwiesen, dass die Gerichte den §§ 223, 229 StGB verfehlt ein anderes Rechtsgut, nämlich den Schutz der Selbstbestimmung unterschieben.
Da die Rechtsprechung unbeirrt an dem einmal eingeschlagenen Weg festgehalten hat, kam es auch zu rechtspolitischen Anstrengungen (siehe auch schon Rn. 19).[74] Zuletzt wurde 1996 der Referentenentwurf eines 6. Gesetzes zur Reform des Strafrechtspubliziert, der auch das Recht der Heilbehandlung neu regeln wollte (§§ 229, 230 StGB-E). Dabei waren ein Tatbestand der eigenmächtigenund ein Tatbestand der fehlerhaften Heilbehandlungvorgesehen mit dem Ziel, zum einen die Qualifizierung des ärztlichen Heileingriffs als Körperverletzung zu vermeiden und zum anderen den folgenlosen Behandlungsfehler straffrei zu lassen. Obwohl manche Kritikpunkte aus dem Kreis der Ärzte und der Strafrechtswissenschaft an der bisherigen Rechtsprechung Berücksichtigung fanden, setzten sich die Entwurfsregelungen jedoch nicht durch.[75]
c) Fortbestand der ständigen Rechtsprechung und gebotene Folgerungen
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Schon Ulsenheimer resümierte in der Vorauflage ohne viel dahingehende Hoffnung, dass nur der Gesetzgeber die Situation ändern könne.[76] Die Ärzteschaft sieht sich mit einer unmissverständlichen Rechtsprechung und einer rechtspolitischen Situation konfrontiert, die keine Abhilfe verspricht. Es sind keine aussichtsreichen Bestrebungen ersichtlich, die Rechtslage grundsätzlich zu verändern. Indem der Gesetzgeber das vorgelegte 6. Strafrechtsreformgesetz im Übrigen erlassen hat, hat er die bisherige Rechtslage vielmehr im Ergebnis bestätigt.
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Den vom Recht konkret betroffenen Ärztinnen und Ärzten ist nun nicht damit geholfen, die prima facie sonderbar scheinende Rechtsprechung pauschal zu geißeln. Hiermit kann ein Jurist gegenüber dem Mediziner zwar vordergründig Verständnis demonstrieren. Hilfreicher erscheint es jedoch, präventiv für ein grundsätzliches Verständnis der Gründe der Rechtsprechung zu werben und übersteigerten Folgerungen aus der kritisierten Rechtsprechungumso deutlicher entgegenzutreten:
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Die Tatbestandsmäßigkeit des Heileingriffs ergibt sich nach dem geltenden Recht aus dem Umstand, dass die medizinische Behandlung in den einschlägigen Fällen zunächst die Integrität des fremden Körpers aufheben und beeinträchtigen muss.[77] Insoweit sogleich eine Saldierungmit dem erhofften, für den Körper förderlichen Ergebnis vorzunehmen, scheidet aus, weil die körperliche Unversehrtheit ein höchstpersönliches Gut eines einzelnen Menschen darstellt. Gerade dies und nicht erst ein Schutz der Selbstbestimmung des Patienten als solcher begründet, weshalb der Heileingriff nach den §§ 223, 229 StGB zunächst als ein Sachverhalt verstanden wird, welcher der Hoheit des Betroffenen unterstellt werden muss. Entsprechend gelangt die juristische Auslegung zur Tatbestandsmäßigkeit des Heileingriffs, die bei weitem noch nicht mit der Strafbarkeit des Geschehens identisch ist.[78] Jene Betrachtung entspricht im Übrigen dem heutigen ärztlichen Berufsrecht und -ethos: Die Ärzteselbst versprechenihrem Patienten angesichts der Eigengesetzlichkeit des menschlichen Körpers keinen sicheren Erfolgder indizierten Heilbehandlung; sie behaupten nicht, stets nur förderliche Ergebnisse zu erzielen.[79] Überdies denken die (eigenen) berufsrechtlichen Regelungen die Selbstbestimmung des Patienten bereits vermehrt mit ( Rn. 355 f.). Es ist insofern geboten, die auf allen Ebenen betonte grundsätzliche Bindung an den Patientenwillen zur Richtschnur des Handelns zu machen, um damit auch strafrechtliche Risiken zu minimieren.
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