[1]
Tipke/Kruse/ Seer § 208 Rn. 41; Kohlmann/ Matthes § 404 Rn. 40.
4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten› III. Zuständigkeiten und Befugnisse der Bußgeld- und Strafsachenstellen
III. Zuständigkeiten und Befugnisse der Bußgeld- und Strafsachenstellen
4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten› III. Zuständigkeiten und Befugnisse der Bußgeld- und Strafsachenstellen› 1. Sachliche und örtliche Zuständigkeit
1. Sachliche und örtliche Zuständigkeit
15
Die BuStra ist eine eigenständige Strafverfolgungsbehördeder FinB. Sie ist die „Staatsanwaltschaft“ der FinB, der die sachliche Zuständigkeit im Rahmen einer Zuständigkeitskonzentration gem. § 387 Abs. 2 AO übertragen worden ist (vgl. Nr. 23 AStBV).[1] Sie ermittelt gem. § 386 Abs. 1 AO den steuerstrafrechtlichen Sachverhalt, ist jedoch keine Strafvollstreckungsbehördegem. § 451 Abs. 1 StPO. Ob die BuStra eigenständig wie eine StA oder als Ermittlungsperson lediglich mit den Rechten und Pflichten der Steufa bzw. der Polizei tätig wird, richtet sich danach, ob sie selbstständignach § 386 Abs. 2, Abs. 4 S. 3 AO (Nr. 17 AStBV) oder unselbstständignach § 386 Abs. 1, Abs. 3 oder Abs. 4 S. 2 AO ermittelt. Die selbstständige Ermittlungsbefugnisist in der Praxis die Regel, nach der Gesetzessystematik aber nicht der Grundsatz. Die örtliche Zuständigkeit der FinB, unabhängig davon, ob die BuStra das Ermittlungsverfahren selbstständig oder unselbstständig führt, regelt § 388 AO (vgl. Nr. 24 AStBV). Mit der Formulierung . . . in deren Bezirk, die Steuerstraftat begangen . . .worden ist, . . . knüpft § 388 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AO an § 9 StGB an. Nebendem Tatortprinzipkönnen aber auch der Ort der Tatentdeckung(§ 388 Abs. 1 Nr. Alt. 2 AO), die abgabenrechtliche Zuständigkeit(§ 388 Abs. 1 Nr. 2 AO) und der Wohnsitz(§ 388 Abs. 1 Nr. 3 AO) zur Zeit der Einleitung des Strafverfahrens sowie der gewöhnliche Aufenthaltsort (§ 388 Abs. 3 AO) des beschuldigten Steuerpflichtigen eine örtliche Zuständigkeit begründen. Ändert sich der Wohnsitz des Beschuldigten oder die abgabenrechtliche Zuständigkeit der FinB nach Einleitung des Strafverfahrens, ist auch für diese „neue“ FinBeine Zuständigkeit gegeben (vgl. Nr. 24 Abs. 2 S. 2 AStBV). In diesen Fällen bleibt in der Regel die FinB zuständig, die zuerst ein Strafverfahren eingeleitet hat (§ 390 Abs. 1 AO, Nr. 25 Abs. 2 AStBV). Bei einer Mehrfachzuständigkeit zweier FinB ist die Sachdienlichkeit entscheidendes Kriterium für die Übernahme und anschließende Durchführung eines Verfahrens (vgl. Nr. 25 Abs. 3 AStBV). Da für die Staatsanwaltschaften und Gerichte die Vorschriften der §§ 7 ff. StPO i.V.m. 143 GVG maßgeblich sind und es sich bei den §§ 386 ff. AO um Sondervorschriften handelt, kann es zu einem Auseinanderfallen der gerichtlichen/staatsanwaltschaftlichen und der finanzbehördlichen örtlichen Zuständigkeit kommen. D.h. die Zuständigkeit einer BuStra muss nicht mit der im selben Landgerichtsbezirk zuständigen StA übereinstimmen. Ermittlungshandlungen einer örtlich unzuständigen FinB sind aber grundsätzlich nicht unwirksam.[2]
[1]
Vgl. Franzen/Gast/Joecks/ Randt § 387 Rn. 6.
[2]
Kohlmann/ Hilgers-Klautzsch § 388, Rn. 74.
4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten› III. Zuständigkeiten und Befugnisse der Bußgeld- und Strafsachenstellen› 2. Befugnisse der Finanzbehörde im selbstständigen Ermittlungsverfahren
2. Befugnisse der Finanzbehörde im selbstständigen Ermittlungsverfahren
16
Selbstständig führt die BuStra als FinB das Ermittlungsverfahren durch, wenn die Tat ausschließlich eine Steuerstraftat(§ 386 Abs. 2 Nr. 1 AO, Nr. 17, 18, 19 AStBV) oder eine dieser gleichgestellte Tatbetrifft.
17
Beispiele für gleichgestellte Straftaten und Taten nach § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO
– |
Betrug in Bezug auf die Eigenheimzulage nach dem Eigenheimzulagengesetz (§ 263 StGB i.V.m. § 15 Abs. 2 EigZulG, Nr. 19 AStBV), |
– |
Subventionsbetrug in Bezug auf Investitionszulagen nach dem Investitionszulagengesetz (§ 264 StGB, § 15 InvZulG 2010), |
– |
ungerechtfertigte Erlangung von Altersvorsorgezulagen (§ 96 Abs. 7 EStG), |
– |
Arbeitnehmersparzulagen (§ 14 Abs. 3 5. VermBG), |
– |
Verletzung zugleich andere Strafgesetze und deren Verletzung Kirchensteuern oder andere öffentlich-rechtliche Abgaben betrifft, die an Besteuerungsgrundlagen, Steuermessbeträge oder Steuerbeträge anknüpfen (§ 386 Abs. 2 Nr. 2 AO, Nr. 17 Abs. 1 Nr. 2 AStBV), |
– |
Beiträge an Industrie- und Handelskammern, deren Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuermessbetrag ist (Nr. 17 Abs. 1 Nr. 2 AStBV). |
18
Die selbstständige Ermittlungsbefugnisist in der Praxis der Regelfall. Im selbstständigen Ermittlungsverfahren nimmt die BuStra gem. § 399 Abs. 1 AO die Rechte und Pflichten wahr, die der StA im Ermittlungsverfahren zustehen, d.h. sie kann Ermittlungen jeder Artvornehmen (vgl. auch Nr. 42 Abs. 1 AStBV).[1] Damit ist sie befugt, gerichtliche Untersuchungshandlungen i.S.d. § 162 StPO zu beantragen (vgl. Nr. 43 AStBV).
19
Beispiele
– |
Durchsuchung beim Verdächtigen nach §§ 102, 105 StPO, |
– |
Durchsuchung beim Dritten nach §§ 103, 105 StPO, |
– |
Beantragung von Beschlagnahmeanordnungen gem. §§ 94, 98 StPO beim Ermittlungsrichter, |
– |
Anordnung von Beschlagnahmen und Durchsuchungen bei Gefahr im Verzug nach §§ 98 Abs. 1, 105 Abs. 1 StPO, |
– |
Durchsetzung der Pflicht zum Erscheinen von Beschuldigten nach § 163a Abs. 3 StPO (vgl. Nr. 53 AStBV) sowie von Zeugen und Sachverständigen nach § 161a Abs. 1 und 2 StPO (vgl. auch Nr. 17 Abs. 3, 47, 54 AStBV), |
– |
Verlangen auf Vorlage und Auslieferung von Beweisgegenständen gem. § 95 StPO (Herausgabeverlangen),[2] |
– |
Durchsicht von Papieren gem. § 110 StPO, |
– |
Einholung von Auskünften bei öffentlichen Behörden gem. § 161 StPO, |
– |
Anträge auf Überwachung der Telekommunikation gem. §§ 100a S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2a 100b Abs. 1 S. 1 StPO (Nr. 74 AStBV), |
– |
Anträge auf Maßnahmen außerhalb von Wohnraum gem. § 100h Abs. 1 Nr. 1 und i.V.m. § 163f Abs. 1 (z.B. längerfristige Observationen), wenn sich die Steuerhinterziehung als Katalogtat bzw. erhebliche Straftat darstellt. |
20
Nach § 396 Abs. 2 AO istdie BuStra auch befugt nach pflichtgemäßem Ermessenim Ermittlungsverfahren in Form einer Verfügung (vgl. §§ 167, 171 StPO) über die Aussetzung des Strafverfahrenszu entscheiden, wenn ein Steueranspruch bzw. die Steuerverkürzung oder der ungerechtfertigte Steuervorteil dem Grunde nach streitigist. Ebenso ist sie berechtigt, das Verfahren bei klärungsbedürftigen zivil- oder verwaltungsrechtlichen Vorfragen nach fruchtlosem Ablauf einer von ihr bestimmten Frist nach § 154d StPO einzustellen. Zeichnet sich bei der Aufnahme der Ermittlungen bereits ab, dass ein Steueranspruch gefährdet ist, besteht die Möglichkeit beim Ermittlungsrichter zur Sicherung von Vermögenswerten, einen Vermögensarrest gem. §§ 111e StPO zu beantragen (vgl. Nr. 70, 71, 72 AStBV zum dinglichen Arrest). Die Veranlagungsfinanzämter können ungeachtet des strafrechtlichen Vermögensarrestes nach § 324 AO zur Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen nach §§ 249–323 AO in das bewegliche und unbewegliche Vermögen eines Steuerschuldners einen dinglichen Arrest anordnen. Nach § 111e Abs. 6 StPO steht diese Möglichkeit der Sicherung von Vermögenswerten einer Anordnung mit dem Ziel der Wertersatzeinziehung nicht entgegen (vgl. Rn. 73).
Читать дальше