Schwer auszuhalten, so dass ich mich gar für einen Moment frage, ob ein Umweltgift diese vielen Tiere hat sterben lassen. Das wäre für Südamerika nicht so ungewöhnlich.
Aber Tiere ziehen sich zurück, wenn die Zeit des Sterbens gekommen ist, und wohl offensichtlich an diesen Ort hier. Warum – bleibt ihr Geheimnis, man kann nur spekulieren, jedenfalls werden sie hier sicher nicht gestört – normalerweise. Die Verbindung von Tod und so unglaublich schöner Natur hat mich auf dieser Reise noch viele Male beschäftigt.
Je näher man einem Traum kommt, desto näher ist man auch dem Tod.
Und so laufe ich weiter, fast meditativ in diese Gedanken versunken, bis ein Tier mitten auf dem Weg mich stoppen lässt.
Ein Hund, denke ich, wie schön, da habe ich eine Begleitung jetzt, denn je länger ich gehe, mit diesen Gedanken beschäftigt, desto stärker wird der Schatten meiner Einsamkeit.
Ich bin ja nun hier in der Ferne ganz allein und auf dieser Wanderung ebenfalls und in dem Moment merke ich, dass ich mal wieder auch mein Handy nicht dabei habe. Ich habe keine Beziehung zu diesem Gerät.
Ich gehe näher, der Hund bleibt sitzen, bis ich erkenne, dass es ein Fuchs ist.
Der beobachtet mich scharf, legt den Kopf zur Seite und denkt nicht daran, die Flucht zu ergreifen. Ich muss grinsen, ich mag ihn und fühle mich wie ein blöder Tourist und Eindringling in seinem Revier.
In Zeitlupe krame ich meinen Fotoapparat aus der Tasche, frage ihn, ob ich ein Foto machen darf. Er lässt es zu und es entstehen mehrere ausgezeichnete Porträts.
Sehr langsam und sehr stolz zieht er von dannen. Ich empfinde eine warme Freundschaft und gehe weiter.
Dann erreiche ich die Lagune und beobachte wilde Pferde, die dort grasen, und viele verschiedene Vögel. Sie sind alle nicht scheu und ich kann gute Fotos machen.
Nach vielen Stunden muss ich umkehren. Der Weg aber geht immer weiter. Wo er wohl endet?
Auf dem Rückweg habe ich etwas Angst, an dem Ort des Sterbens wieder vorbeizukommen. Vielleicht ist der Hund schon tot. Ein paar Kaninchen kreuzen meinen Weg und an der Lagune sind jetzt Flamingos.
Tiere gehen mit dem Tod ziemlich normal um. Sie ziehen sich zurück – auch ins Alleinsein –, weil man ja eben auch alleine geht. Vielleicht gar nicht so schlecht. Bei uns ist es gewünscht, wenn jemand da ist und die Hand hält. Das ist wegen unserer Angst. Aber werden wir nicht letztlich allein geboren und sterben allein?
Die Tiere legen sich hin, schließen die Augen und warten dann aufs Sterben. So war es bei meiner Katze. Ob es den Tieren gut tut, dann noch gestreichelt zu werden oder gar in den Arm genommen zu werden, wie es meine Schwester mit ihrem Hund gemacht hat?
Ich weiß das nicht. Vielleicht würde ich auch lieber allein sein in diesem Moment.
Meistens fragt man ja aber nicht die Sterbenden, sondern die Lebenden meinen zu wissen, was für sie gut und richtig ist.
Als ich aus diesem schrecklichen Hotel auschecke, will dieser Machomensch mir noch die Provision von booking.com draufschlagen. Ich muss erst sehr deutlich werden und ihm sagen, dass ich jetzt booking.com anrufe, bis er endlich Ruhe gibt. Und dass er die Provision zahlen muss und nicht ich.
El Chalten
Nach El Chalten muss ich dann doch einen Nachtbus nehmen. Um 23.35 Uhr soll er abfahren. Das tut er natürlich nicht und dann sitze ich nachts auf diesem kleinen Busbahnhof. Der Bus hat zwei Stunden Verspätung.
Es ist bitterkalt. Zwei junge Argentinier sind auch hier gestrandet. Angst habe ich keine, im Gegenteil, wir drei unterhalten uns bestens. Die Toilettenfrau, die die ganze Nacht vor dem Klo sitzt – ich weiß gar nicht auf welche Gäste sie wartet oder warum sie hier ist –, macht uns einen Tee. Vielleicht hat sie einen gewalttätigen Mann daheim oder vielleicht hat sie auch gar kein Zuhause.
Es kommt nur noch dieser eine Bus in der Nacht.
Der eine Argentinier ist auch ein Tourist, ein Reisender im eigenen Land. Er will sein Land kennenlernen. Sein Rucksack ist klein und Geld hat er kaum, also fährt er immer nachts, um Hotelkosten zu sparen. Aber er ist sehr neugierig. Er kennt und weiß von seinem Land weniger als ich und sein Traum ist es, einmal durch Europa zu reisen, so wie die europäischen Backpacker durch Argentinien touren. Dieser Traum wird wohl nie in Erfüllung gehen, weil er einfach kein Geld hat.
Wieder kommt mir in den Kopf, wie ungeheuer privilegiert wir doch sind. Das sieht man aus der Ferne meistens besser als von zuhause aus.
Natürlich haben Jugendliche in anderen Ländern genau die gleichen Träume und Wünsche nach Reisen und wollen die Welt kennenlernen. Aber so viele können sich das nicht leisten.Ob da wohl so ein reicher Backpacker aus Europa auch drüber nachdenkt, wenn er durch Patagonien zieht? Flashpacker nennt man sie heute, die jungen Individualtouristen mit viel Geld und hohen Ansprüchen auf komfortable Abenteuer. Die luxuriöse Form des Backpackers und der Verzicht auf Einfachheit. Oft prahlen sie damit, welche Gipfel sie schon in Südamerika bestiegen haben. Aber was wissen sie über das Land? Oft nicht viel und oft interessiert es sie auch nicht. Zumindest nicht das, was nicht toll und fantastisch ist.
Reisen ist Bildung! Die Befreiung von Vorurteilen gelingt nur, wenn man selbst hingeht in andere Länder und wenn man dann auch hinsieht.
In dieser Nacht habe ich viel über die Träume und Wünsche der argentinischen Jugendlichen erfahren.
Der andere Wartende hat in El Chalten Arbeit gefunden und fährt auch nachts, weil ein Hotel für ihn einfach zu teuer ist.
Endlich kommt der Bus, ich bin todmüde und schlafe gleich ein, aber nur zwei Stunden, dann ist Stopp in der Pampa um vier Uhr nachts. Eine grauenhafte Kälte zieht sich durch alle Glieder. Alle müssen raus aus dem Bus. Sie fangen an, das gesamte Gepäck auszuladen. Ich bin benommen und sauer: Drogenkontrolle. Der Argentinier sagt mir: Die Zollbeamten, sie mögen keine Backpacker, deswegen machen sie das. Finden werden sie hier sowieso nichts, was sich auch bestätigt.
Jeder muss seinen Koffer identifizieren. Alle Koffer werden von den Drogenhunden beschnüffelt und das Handgepäck muss geöffnet werden und wird durchsucht.
Mir kommt der Begriff „Schikane“ in den Kopf. Das Ganze dauert bestimmt zwei Stunden und alle sind bis auf die Knochen durchgefroren.
Mit aufgehender Sonne fährt der Bus dann endlich weiter, Stunden über Stunden geradeaus durch diese traumhafte Steppe in die Anden. Rechts und links weiden Guanakos. Sie sind scheu, nicht domestiziert, zarte Tiere. Sie können sehr schnell sein. Es gibt verschiedene Tiere, die den Kamelarten zuzuordnen sind in Südamerika. Die Guanakos sind die Stammform des domestizierten Lamas. Dann gibt es noch die Vikunjas, die den Guanakos ähneln, aber kleiner und schlanker sind. Die Wolle der Vikunjas gilt als die seltenste und teuerste der Welt. Die Alpakas sind eine domestizierte Kamelform, die vorwiegend wegen ihrer Wolle gezüchtet werden. Sie stammen von den Vikunjas ab.
El Chalten ist für mich einer der schönsten Orte in Patagonien, auch wenn es hier – aber wen wundert das – recht viele Touristen gibt. Zum Ausgleich genieße ich dann die komfortable touristische Infrastruktur, schöne Restaurants, Bars, die Möglichkeit, draußen zu sitzen, hervorragendes Essen, viele Kontaktmöglichkeiten und Reiseaustausch. Und vor allem auch die gefahrlose Möglichkeit, abends mal später bei einem Bier abzuhängen.
El Chalten liegt am nördlichen Rande des Nationalparks Los Glaciares nahe der chilenischen Grenze. Ich wohne in einer einfachen Herberge und bin hier bei Weitem die Älteste. Sehr junge Leute und leider ist es dann auch sehr laut bis spät in die Nacht. Aber mein Zimmer ist groß, sauber und billig und ich habe Oropax. Das Beste sind die Besitzer: eine indigene Großfamilie, die sich rührend um alles kümmert, sowie zwei göttliche Hunde: ein großer alter und ein kleiner völlig verfilzter. Der sieht aus wie ein Teddy. Beide liegen tagein, tagaus eng beieinander vor der Tür und beobachten die vielen Gäste neugierig. Da bleibt es dann nicht aus, dass auch immer mal ein Leckerbissen abfällt.
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