Der holländische Kapitän Wilhelm Cornelisz Schouten umsegelte 1616 das erste Mal Kap Hoorn. Nach seinem Heimatort Hoorn wurde es benannt. Man sagt auch Kap des Schreckens und dass es der größte Schiffsfriedhof der Welt sei. Bestimmt achthundert Schiffswracks liegen am Grunde des Meeres. Die Gefahr entsteht durch das Aufeinandertreffen von Pazifik und Atlantik mit den dadurch ausgelösten Strömungen und Wirbeln und den Stürmen. Eine Wettervorhersage ist nicht möglich, weil sich das innerhalb weniger Minuten radikal verändern kann. Auch das macht es so gefährlich.
Mein Großvater war ein alter Kap Hoornier. Das ist ein Seemann, der auf einem Frachtsegler das Kap Hoorn umrundete.
Ein Leben lang hat er von seinen vielen Reisen erzählt. Außer mir hat sich keines der sechs Enkelkinder so richtig für seine Erzählungen erwärmen können, auch der Rest der Familie nicht. Meine Oma hat immer gelästert, er würde Seemannsgarn spinnen. Das hat sie besonders dann behauptet, wenn er geschwärmt hat von den vielen exotischen Frauen, die er zum Beispiel in Asien getroffen hat. Allerdings hat er auch mit zunehmendem Alter immer wieder die gleichen Geschichten erzählt. Die anderen konnten es nicht mehr hören und haben nur noch gestöhnt. Ich aber saß zu seinen Füßen und wollte diese Abenteuer immer wieder hören. Und im Laufe der Zeit ist in mir der Wunsch gewachsen, einmal nach Kap Hoorn zu reisen. Es waren seine Schilderungen von Abenteuer, Sturm, riesigen Wellen, von den Walen, die er gesehen hat, und von der Landschaft Argentiniens und Chiles, von den Bergen vor allem.
Mit meiner Tour auf dem Beagle-Kanal komme ich bis 100 Kilometer an Kap Hoorn heran. Eigentlich habe ich eine Umrundung geplant, aber das wäre nur im Rahmen einer teuren Kreuzfahrt möglich gewesen. Ich hasse Kreuzfahrten. Und dann kann man dort nur an Land gehen, wenn es das Wetter zulässt, was eher selten der Fall ist. Auch ist es wohl so, dass die Bedeutung von Kap Hoorn eher eine historische ist und der Ort selbst völlig unattraktiv und unwirtlich. Es reicht mir auch, 100 Kilometer an diesen für mich so besonders bedeutungsvollen Ort heranzukommen.
Das ist ein großartiger Moment, auf den ich seit meiner Kindheit gewartet habe und den ich herbeigesehnt habe, ein Traum von mir. Und es ist so faszinierend hier. Diese Fahrt übertrifft alle meine Vorstellungen. Das Wetter spielt mit. Es ist warm, die Sonne scheint und der Beagle-Kanal ist voller Überraschungen. Nicht nur die Berge, das Wasser und diese grandiosen Wolkenformationen sind es, nein, auch so viele Tiere: Kormorane, Königspinguine, Seelöwen, Robben.
Wir besuchen eine Pinguinkolonie und sehen den Leuchtturm am Ende der Welt.
Eine längere Pause gibt es auf dieser Fahrt für die Besichtigung der Estancia Harberton, der südlichsten Farm der Welt, die man gut mit dem Schiff erreichen kann. Bei einer Führung über das Farmgelände erfahre ich viel über die Farm und das Leben der frühen Siedler hier. Dies ist die älteste Farm in Patagonien. Sie wurde 1886 von dem englischen Missionar Thomas Bridges gegründet und nach Harberton benannt, dem Haus seiner Frau Mary Ann Varder in Devon, England. Bridges schrieb ein Wörterbuch der Yahgan-Sprache, der Ureinwohner Feuerlands.
Die entlegene Gegend rund um Ushuaia war bis weit in das 19. Jahrhundert hinein indianisches Territorium. Die auf dem Wasser lebenden Yahgan (oder Yámana) und das zu den Patagoniern gehörende Jägervolk Selk’nam (oder Ona) kämpften lange Zeit um die Vorherrschaft in diesem Gebiet. Später hatten Kirchenmissionen zunächst die Absicht, die indianische Urbevölkerung zu christianisieren und vor den Übergriffen der weißen Siedler zu schützen, jedoch führten von europäischen Immigranten eingeschleppte Krankheiten und eine rigorose Verdrängungspolitik schließlich dazu, dass 1910 die indianische Urbevölkerung fast ausgerottet war.
Die Farm wird heute noch von den Nachfahren Bridges geführt. Sie leben hauptsächlich vom Tourismus. Auf dem wunderschönen großen Gelände unmittelbar am Beagle-Kanal besichtigen wir das Gehöft mit Wohnhaus, Park und Schuppen, wo früher die Schafe geschoren wurden. Schafzucht wird heute nicht mehr betrieben. Es gibt ein Bootshaus, einen eigenen Friedhof und das Museum: Museo Acatushún de Aves und Mamíferos Marinos Australes. Hier werden die Meeressäuger und Vögel der Region gezeigt.
Dieser Tag ist ein unvergessliches Erlebnis.
Ich habe mir meinen Kindheitstraum erfüllt und eine gute Vorstellung davon, welche Landschaft, welches Klima und vor allem was für ein Meer meinen Großvater damals so fasziniert haben. Dies ist ein schöner Ort zum Auswandern, denke ich auf der Rückfahrt.
Am nächsten Tag regnet es. Da sieht die Stadt noch gammeliger aus. Scheinbar gibt es keine Müllabfuhr. Wenn aber ein Kreuzfahrtschiff kommt, dann ist alles anders. Der Müll wird weggeräumt, die Straßen werden geputzt und alles, aber auch alles wird doppelt so teuer. Kaum hat das Kreuzfahrtschiff wieder abgelegt, kann man den Kaffee an der Ecke wieder für den halben Preis trinken.
Von Ushuaia starten die Kreuzfahrten in die Antarktis. Ein Argentinier sagt mir, dies ist die einzige Stadt der Welt, für die keine Wettervorhersage möglich ist, weil das Wetter immer rasch wechselt und extreme Veränderungen innerhalb eines Tages aufweist. Wie ich später lerne, gilt dies für fast ganz Südamerika. Nach relativ kurzer Zeit habe ich es aufgegeben, in irgendeinen Wetterbericht zu schauen oder immer wieder die Antwort der Einheimischen zu hören: Es gibt kein Wetter.
Also gehe ich ins Museum der Stadt. Hier wird die Geschichte der Strafkolonie Ushuaia dargestellt. Das Museum ist im früheren Gefängnis, der südlichsten Strafanstalt der Welt untergebracht, die1904 eingerichtet wurde und in dem auch politische Gefangene inhaftiert waren. Es ist so interessant, dass ich nach einer Mittagspause noch einmal wiederkomme. Es ist nicht nur das Gefängnis, das beeindruckt, auch die umfangreiche Ausstellung gibt einen guten Überblick und detaillierte Informationen über Patagonien. Zwei Gebäudeflügel zeigen die Geschichte der Inhaftierungen. Ein Flügel wurde so belassen, wie er war, und zeigt den Besuchern die unmenschlichen Lebensbedingungen und beengten Räume, in denen 800 Gefangene in 360 Zellen lebten. Das ist gruselig. Der zweite Flügel des Gefängnismuseums beherbergt unter anderem dann die Geschichten über die Vergangenheit der Insassen.
Ich habe mich mit einem italienischen Radler unterhalten, der sich hier einen Lebenstraum erfüllt, nämlich mit dem Fahrrad Argentinien und Chile zu durchqueren. Patagonien bei Wind und Kälte. Man muss es mögen. Aber das tun offensichtlich viele Fahrradfahrer, denn man sieht sie immer wieder vom Bus aus die weiten einsamen Straßen entlang radeln.
Abends kochen wir zusammen Spaghetti mit Avocado, Knoblauch, Olivenöl und Parmesankäse. Schmeckt köstlich. Die Italiener können es eben.
Für den letzten Tag habe ich eine Tour in den Nationalpark Terra del Fuego (Feuerland) gebucht. Als Magellan die Magellan-Straße entdeckte, sah er an Land die vielen Feuer der Indianer. So gab er diesem Land den Namen Feuerland.
Es ist der südlichste Nationalpark Argentiniens. Das 630 km² große Schutzgebiet befindet sich im Südosten, 18 km von der Stadt Ushuaia entfernt. Der Park wurde 1960 mit dem Hauptziel gegründet, die südlichsten subantarktischen Wälder zu schützen. Es ist kalt. Der Park ist schön, wie in den Reiseführern beschrieben, aber der Nieselregen verdirbt es etwas.
Am nächsten Tag verlasse ich erst einmal Argentinien und fahre mit dem Bus elf Stunden nach Punta Arenas in Chile.
Chile
Punta Arenas,
Puerto Natales
Die Busfahrt von Argentinien nach Chile, von Ushuaia nach Punta Arenas führt durch scheinbar unendliche Weiten. Schafe, Guanakos und Nandus (Straußenvögel) kann ich vom Busfenster aus beobachten. Ein kleines Stück, die Enge der Magellan-Straße bei Punta Delgada, muss der Bus mit der Fähre übersetzen. Eine willkommene Abwechslung auf der langen Fahrt.
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