George Sand - Sie und Er

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George Sands berühmter, autobiographisch geprägter Roman über ihr leidenschaftliches und dramatisches Liebesverhältnis zu Alfred de Musset.
Eines von 12 bisher vergriffenen Meisterwerken aus der ZEIT Bibliothek der verschwundenen Bücher.

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George Sand

Sie und Er

Roman

Aus dem Französischen

von Liselotte Ronte

Titel der Originalausgabe Elle et lui Aus dem Französischen übersetzt von - фото 1

Titel der Originalausgabe: »Elle et lui«

Aus dem Französischen übersetzt von Liselotte Ronte und mit

Zeichnungen von Alfred de Musset und Eugène Lami.

Copyright © dieser Ausgabe bei Eder & Bach GmbH, 2015

Umschlaggestaltung: hilden_design, München

Satz und Repro: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-945386-28-6

An Fräulein Jacques

Meine liebe Thérèse, da Sie mir doch gestatten, Sie nicht mit ›Fräulein‹ anzureden, so vernehmen Sie denn, was es Neues in der Welt der Künste gibt, wie unser Freund Bernard zu sagen beliebt. Sieh an, das reimt sich! Doch auf das, was ich Ihnen jetzt erzählen will, vermag ich mir überhaupt keinen Reim zu machen.

Stellen Sie sich vor, als ich gestern, nachdem ich Sie mit meinem Besuch zur Genüge gelangweilt hatte, nach Hause kam, traf ich hier einen englischen Mylord an … doch zuletzt ist er vielleicht gar kein Mylord; aber mit Sicherheit ist er ein Engländer, der mich in seiner Sprache fragte:

»Sie sind Maler?«

»Yes, Mylord.«

»Malen Sie Bildnisse?«

»Yes, Mylord.«

»Und die Hände?«

»Yes, Mylord; die Füße auch!«

»Gut!«

»Sehr gut!«

»Oh, ganz sicher! – Wohlan, wollen Sie ein Porträt von mir machen?«

»Von Ihnen?«

»Warum denn nicht?«

Dieses ›Warum denn nicht‹ kam so treuherzig heraus, dass ich ihn nicht länger für einen Einfaltspinsel halten konnte, zumal dieser Sohn Albions ein wunderschöner Mann ist. Der Kopf des Antinous sitzt auf den Schultern eines … ja, auf den Schultern eines Engländers, ein griechischer Kopf aus der besten Zeit auf der etwas sonderbar gekleideten und mit einer Halsbinde versehenen Büste eines Musterbeispiels vornehmer britischer Mode.

»Meiner Treu«, habe ich zu ihm gesagt, »Sie sind bestimmt ein schönes Modell, und von Ihnen würde ich gern eine Studie für meine eigenen Zwecke anfertigen, aber Ihr Porträt kann ich leider nicht machen.«

»Und warum nicht?«

»Weil ich kein Porträtmaler bin.«

»Oh! … Müssen Sie in Frankreich denn ein besonderes Patent für jedes Fachgebiet in den bildenden Künsten erwerben?«

»Nein; aber die Öffentlichkeit erlaubt uns kaum, auf mehreren Gebieten gleichzeitig tätig zu sein. Sie will wissen, woran sie mit uns ist, vor allem wenn wir jung sind; und wenn ich, der ich hier mit Ihnen spreche und der ich noch sehr jung bin, das Unglück haben sollte, ein gutes Porträt von Ihnen zu machen, so wäre es für mich auf der nächsten Ausstellung äußerst schwierig, mit anderen Werken als Porträts überhaupt Erfolg zu haben; ebenso würde mir für immer untersagt, mich jemals wieder an anderen Porträts zu versuchen, sollte mir das Ihre nur mäßig gut gelingen; durch Verfügung würde festgestellt, ich hätte nicht die erforderliche Befähigung für eine solche Arbeit, und es sei anmaßend von mir gewesen, mich an so etwas heranzuwagen.«

Ich erzählte meinem Engländer noch viel mehr solches dummes Zeug, mit dem ich Sie verschonen will, worüber er aber nicht schlecht staunte; dann fing er an zu lachen, und ich erkannte deutlich, dass meine Überlegungen ihm tiefste Verachtung für Frankreich einflößten, wenn nicht gar für Ihren ergebenen Diener.

»Sagen Sie es offen heraus«, meinte er zu mir, »Sie mögen eben das Porträt nicht.«

»Wieso! Für was für einen ungebildeten Kerl halten Sie mich? Sagen Sie lieber, ich wagte mich noch nicht daran, Porträts zu malen, und ich wäre dazu auch gar nicht imstande, weil ja nur eines von beiden sein kann: entweder ist das ein Fachgebiet, das keine anderen neben sich duldet, oder es ist höchste Meisterschaft und gewissermaßen die Krönung des Talents. Manche Maler, die unfähig sind, selbst irgendetwas Neues zu schaffen, können sehr gut das lebende Modell getreulich und in ansprechender Weise abbilden. Der Erfolg ist ihnen sicher, wofern sie sich nur darauf verstehen, das Modell von seiner vorteilhaftesten Seite darzustellen, und sie obendrein das Geschick haben, es gefällig und gleichwohl nach der neuesten Mode zu kleiden; doch wenn man nur ein armer Historienmaler ist, dazu noch ein Anfänger und sehr umstritten, wie ich die Ehre habe, es zu sein, dann kann man einfach nicht gegen die Leute vom Fach antreten. Ich muss Ihnen gestehen, ich habe niemals gewissenhaft den Faltenwurf eines schwarzen Gewandes und die besonderen Züge eines bestimmten Gesichtsausdrucks studiert. Ich bin auch schlecht im Erfinden von Gestalten, Haltungen und Ausdrucksweisen. Dies alles muss sich meinem Thema, meiner Vorstellung, wenn Sie so wollen, meinem Traum unterordnen. Wenn Sie mir gestatten würden, Sie nach meinem Geschmack zu kleiden und Sie in eine Umgebung hineinzustellen, die ich nach eigenen Ideen gestalten könnte … Und selbst dann, sehen Sie, würde das alles nichts nützen, denn das wären am Ende gar nicht mehr Sie. Das wäre kein Porträt, das Sie Ihrer Geliebten schenken könnten … und schon gar nicht Ihrer Frau. Weder die eine noch die andere würde Sie wiedererkennen. Also bitten Sie mich heute nicht um etwas, das ich vielleicht eines Tages doch zu vollbringen vermöchte, sollte ich nämlich durch Zufall ein Rubens oder ein Tizian werden, weil ich es dann verstehen würde, Poet und Schöpfer zu bleiben und doch ohne Mühe und ohne Angst die gewaltige und erhabene Wirklichkeit einzufangen. Leider ist es unwahrscheinlich, dass ich jemals mehr als ein Narr oder ein Dummkopf sein werde. Lesen Sie das bei diesen oder jenen Herren nach, die darüber in ihren Feuilletons geschrieben haben.«

Denken Sie nur, Thérèse, ich habe meinem Engländer kein Wort von alledem gesagt, was ich Ihnen hier erzähle: wenn man sich selbst sprechen lässt, legt man sich seine Worte so schön zurecht; doch von allem, was ich zu meiner Entschuldigung dafür anführen konnte, dass ich das Porträt nicht auszuführen vermag, halfen einzig und allein jene wenigen Worte: »Warum zum Teufel wenden Sie sich nicht an Fräulein Jacques?«

Er sagte dreimal »Oh!«. Dann bat er mich um Ihre Anschrift, schon war er auf und davon, ohne die geringste Erklärung abzugeben, und ließ mich höchst verwirrt und recht ärgerlich zurück, weil ich meine Ausführungen über das Porträt nicht beenden konnte; denn schließlich, meine liebe Thérèse, wenn dieser Tölpel von einem schönen Engländer heute zu Ihnen kommt, was ich ihm durchaus zutraue, und er Ihnen alles wiederholt, was ich Ihnen gerade geschrieben habe, das heißt alles, was ich ihm gar nicht gesagt habe, über die guten Handwerker und die großen Meister, was werden Sie dann von Ihrem undankbaren Freund denken? Dass er Sie den Ersteren zurechnet und Sie für unfähig hält, etwas anderes zu vollbringen als recht hübsche Porträts, die jedermann gefallen? Ach! Meine liebe Freundin, wenn Sie gehört hätten, was ich ihm alles über Sie gesagt habe, als er schon weggegangen war! … Sie wissen es, Sie wissen, dass Sie für mich nicht Fräulein Jacques sind, die Porträts malt, die gut getroffen und sehr beliebt sind, sondern ein überragender Mensch, als Frau verkleidet, der, ohne jemals auf der Akademie gewesen zu sein, fähig ist, in einer Porträtbüste den ganzen Körper und die ganze Seele einzufangen, und der es auch versteht, sie beide erkennbar zu machen, so wie die großen Bildhauer der Antike und die großen Maler der Renaissance. Doch ich schweige lieber; Sie mögen es nicht, dass man Ihnen sagt, was man von Ihnen denkt. Sie tun so, als hielten Sie das alles nur für Komplimente. Sie sind doch sehr stolz, Thérèse!

Heute bin ich richtig melancholisch, und ich weiß nicht warum. Am Morgen habe ich so schlecht gefrühstückt … Und überhaupt habe ich noch nie so schlecht gegessen wie jetzt, seitdem ich eine Köchin habe. Und dann bekommt man auch keinen guten Tabak mehr. Die Tabakregie verdirbt alles. Und dann habe ich neue Stiefel bekommen, die gar nicht passen … Und dann regnet es … Und dann, und dann, ich weiß es selbst nicht! Seit einiger Zeit sind die Tage schrecklich eintönig, finden Sie nicht auch? Nein, das finden Sie nicht. Sie kennen dieses Unbehagen nicht, die Freude, die langweilt, und die Langeweile, die trunken macht, das Leid ohne Namen, über das ich neulich Abend mit Ihnen sprach in jenem kleinen lila Salon, wo ich jetzt so gern sein möchte; denn ich habe heute einen schlechten Tag fürs Malen, und da ich nicht malen kann, würde es mir Vergnügen bereiten, Ihnen mit meiner Unterhaltung lästig zu fallen.

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