Früher hatten sie sich noch gefürchtet, er hatte es im Geschichtsstudium gelesen, vor einem futuristischen Barock absolutistischer Technokratie. Als ob sie wüssten, was das bedeutet. Das ist nicht Technokratie, Konsumokratie ist es. Der feste Glaube über alle Konfessionen hinweg an den Tauschwert des Geldes. Das Wahlrecht wird in kleinen Häppchen weggekürzt, stattdessen wählt man mit Geld. Als Konzern kann man Stimmen kaufen, LikesLikesLikes, und der Algorithmus ist auch käuflich. Als Privatperson kann man nur mehr bewerten und »ich unterstütze« klicken. Alles ist nur noch Online-Aktivismus, eine Illusion. Das schmeckte Frank nicht und er merkte, wie die Vanille-Astronautennahrung denselben Ekel bei ihm hervorrief wie der Glaube an Klicks. Er dachte, er hätte ein gutes Reiskorn erwischt, bei seiner Ersetzungsfeier, das ihm vom ewigen Leben erzählte, aber Sandor, oh, Frank hatte die Frau gehört, deren Stimme in seinem Wohnzimmer aus Sandors Kehle quietschen durfte. Dieses Quietschen glitchte einem ja im Kopf.
Es war Li Na, die dem Vorstand ihrer Firma vorwarf, dass der Log nur mehr gegen sich selbst spielte. Mehr Geld für Werbung, mehr Geld für Konsum, mehr Geld für wirtschaftliche Stabilität. Alles geschah nur, damit die Menschen untätig waren und glaubten, mit Likes und abermals Likes die Welt zu bewegen. Sandor würde sich nicht so genau an die Worte Li Nas erinnern wie Frank, und Li Na sprach klar. Als hätte sie niemals Angst gehabt, als wollte sie nicht die Wichtigkeit von Dingen verbergen, für Klicks und Likes. »Negativer Geldfluss« würde sie niemals sagen. Sie würde sagen: »Pleite«. »Innerstädtische Substandard-Unterkunft« würde sie »Favela« nennen.
Der Log musste sich nicht entscheiden, ob es besser war, eine heile Welt vorzugaukeln und so zu tun, als gäbe es kein Schreckensregime, wie es die Nazis getan hatten, oder die Kunst zu zwingen, die Leitsprüche des Regimes wiederzukäuen, wie die Stalinisten. Nein, der Log konnte beides. Frank stellte sein Schüsselchen in den Geschirrspüler und überprüfte auf seinem privaten GPS-Server, wo sich seine PunktNull-Doppelgänger befanden. Er hatte sich zwar nur einen genehmigen lassen, aber wer merkte schon, ob er fünf, zehn oder hunderte produzierte. Er würde warten, welche Informationen sie ihm aus der Realität brachten, während er gemütlich hier saß und so tat, als nähme er an der Beschäftigungstherapie des Logs teil. Das Licht der Aufklärung, von dem alle sprachen, war doch auch nur Phrase. Das Licht, das der Äther predigte, war eine Farce. Er war Puppenspieler und ließ die Schnüre eine andere Geschichte erzählen als die Figuren. Ja, wer nur auf die Schnüre blickte, mochte die Geschichte der Figuren übersehen, denn die Schnüre erzählten keine Kindermärchen, wie es Tante Brause tat. Die Schnüre erzählten von der Funktionsweise der Welt. Der Log wollte ihn als Propagandisten haben und das war es, was die Schnüre erzählten, als Schattenspiel, an der Wand hinter ihm: Links von seiner Schulter krächzte der Schatten in eckigen Buchstaben: »Wo ist der Propagandist? Er soll über den Krieg schreiben.« Rechts von seiner Schulter sagten die Buchstaben: »Aber etwas Schönes, bitte!«
Die Geschichte hingegen behauptete, dass dies ein nicht vertretbarer Gedanke sei, es keine Propaganda gebe, dass es empörend sei, was die Zeitungen des Goldenen Reiches über die Union berichteten. Im Brustton der Entrüstung würden die »ehrlichen Figuren« stets über die Feinde siegen. Die Krebse in den Muscheln gegen die Krebse in den Puppenköpfen. Gegen die Niedertracht! Der böse Wolf, den man an den Schnüren des Puppenspiels in die Unionsarena gebracht hatte. Solche Spielereien konnten seine PunktNulls mittlerweile ganz eigenständig. Eines Tages würde ihm einer von ihnen das Wasser reichen können. Nur selten kommentierte jemand online seine Darbietungen mit Meldungen wie: »Das ist alles, was Ihnen zu diesem Verbrechen einfällt? Selten einen so schweinischen Vergleich gesehen.« Zumeist aber applaudierte man ihm in den Netzen, und er hielt Ausschau nach jenen Kommentaren, die erkennen ließen, wie sinnlos doch Kommentare waren. Er hielt Ausschau nach jenen, die verstanden, dass sie hier keine Krieger waren, keine Krieger der guten Sache. Soligie hatte sich nach Karl-Friedrichs Tod oder eher, nachdem sie ihn nicht mehr für Karl-Friedrich hielt, diesen albernen Schaukämpfen zugewandt. Hatte entschieden, zur Welt beizutragen. Sie wähnte sich im Krieg gegen falsche und unmoralische Meinungen, die Kostüme, die sie für den Äther herbeizauberte, hielt sie für wichtige Statements der Gleichheit, und so steckte sie Trashalong zum Beispiel immer wieder in Drachenschuppen, um die Dragonkinbewegung zu unterstützen. Die beiden, dachte Frank, wollten sich doch nur selbst vergewissern, dass sie ihre Legende bekamen. Als wüssten sie nicht, dass sie sterblich waren.
Frank schloss die Programme, lehnte sich auf seinem Barhocker zurück. Er hatte ein Universum erschaffen wollen und war doch degradiert worden zu einem albernen Trickster, der hinnehmen musste, dass Soligie die Welt nicht verstehen wollte – er seufzte. Vielleicht würde sie es verstehen, wenn sie etwas hätte, um es zu liebkosen, etwas, das System und Systemfehler gleichermaßen war. Er musste nur die richtigen Teile finden: ein Teil Frank, ein Teil Soligie und ein Teil Magie. War denn nicht auch Soligie nur die Summe ihrer Teile? Fleisch und Därme, Muskeln und Sehnen, Gekröse, Schleim und Blut? Ebenso wie Karl-Friedrich? Er würde ihr ein Kind bauen, ein ideales Kind, das nicht scheitern konnte am Leben, um das sie niemals trauern musste.
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