7Christus hat eine Kirche gehabt, ehe der Papst, das Konzil zu Trident, Luther und Calvin aufgekommen sind. Nun muss diese Kirche ebenfalls ihre Kennzeichen, Regeln und Formen gehabt haben – die heiligen Schriften der Apostel und Propheten waren ihre Grundlage schon damals. Entweder sind ihnen nun die mancherlei Streitigkeiten der Theologen, die vielerlei Meinungen und Glaubensartikel bekannt oder unbekannt gewesen, so erweise man es, dass damals eben solche Begriffe, Unterscheidungen, Erklärungen usw. gebräuchlich gewesen und als nötig zu Seligkeit erfordert wurden. Sind sie aber unbekannt gewesen, warum macht man das zum Losungszeichen der wahren Kirche, davon doch die erste Kirche nichts gewusst? Warum bleibt man nicht bei den ersten Regeln, Kennzeichen und Requisiten? Ist etwa die Kirche damals unvollkommener gewesen als heute? Haben nicht die Apostel alle Irrtümer und Ketzereien auch vorhergesehen?
8Gleichwie einen nichts zu einer Kirche oder Religion locken, bringen und darin behalten soll als die Hoffnung, die Erwartung und der Genuss geistlicher und ewiger Güter und Glückseligkeiten, so kann und soll die Kirche ihre Glieder mit keinem anderen Zwang und Band in ihrem Gehorsam behalten, als mit Verheißungen und wirklicher Darreichung dergleichen Pfründen oder mit Androhung deren Verlusts, kann auch die ungehorsamen und strafbaren Glieder mit keiner anderen Strafe belegen als nur mit Entziehung der in und von der Kirche entweder wirklich habenden oder zu hoffen habenden geistlichen und leiblichen Gütern, Pfründen, Rechten und Vorteilen. Positive geistliche Strafen anzutun hat die Kirche mit anderen sonderbaren Gaben, Kräften und Mächten des Geistes verloren. Denn ansonsten freilich die Apostel und ersten Christen den Satan als ihren Profosen gebrauchten durch den sie die Ungehorsamen zum Verderben des Fleisches strafen und zurechtbringen konnten, aber heutigen Tages ist nichts mehr übrig als bitten, strafen, drohen, ermahnen, raten usw.
9Welche man ansonsten den Kirchenbann nennt, mit dem es jedoch jetzt ein ganz anderes Ansehen und eine andere Beschaffenheit hat als vormals.
10Wo hat Gott einen zum Richter hierin gesetzt und seinen Aussprüchen die anderen unterworfen? Er produziere sein Dekret und Vollmacht? Paulus aber sagt: Warum soll ich meine Freiheit (zu glauben und Gott zu dienen nach meinem Gewissen) urteilen, richten und beherrschen lassen von eines anderen Gewissen 1 Kor 10,28. Ein jeder sei darin seiner Meinung gewiss und lasse den anderen mit der seinen zufrieden!
11Dominium fundari in gratia. Der Verstand ist: Dass nur allein der wahren Kirche, oder die es sich zu sein einbildet, und deren Gliedern hinfolglich alle weltliche Macht und Herrschaft auf Erden von Rechts wegen zustehe und gebühre. Wer nun kein Glied dieser Kirche sei, oder vom Klerus nicht dafür erkannt und erklärt werde, der sei nicht de jure, sondern de facto Obrigkeit und beantspruche nur diese der Kirchen gehörige Macht und Würde, daher sollte und dürfe ihn die Kirche nicht länger über sich oder auch nur neben sich dulden, als nur so lange sie nicht anders könnte. Bei ersehener Gelegenheit aber und gefundenen Mitteln und Wegen könnte man eine solche Obrigkeit gar wohl aus dem Sattel heben oder sich wenigstens ihrer Botmäßigkeit entziehen. Welche schlimme und verfluchte Maxime so eine Pestilenz aller Staaten, ja auch der Kirche selbst ist, als dadurch die Hand der Kirche gegen jedermann und jedermanns Hand gegen die Kirche erregt wird, die die römisch-katholische bisher profitiert und praktiziert wie beim Baronio zu lesen und die Historien lehren. Liegt ihnen also ob, sich diesfalls zu reinigen oder dieser schlimmen Maxime, was sie verdient zu entgelten, bis sie solche ablehnen.
12Es ist auch diesen Herren, die sich als Diener Christi aus-geben, schon längst von Christus ihrem Meister in der Parabel vom Unkraut geboten worden ihren Religionseifer also zu mäßigen, dass sie die Ketzer nicht mit Gewalt sollen auszurotten suchen, sondern vielmehr Weizen und Unkraut miteinander wachsen zu lassen bis zur Ernte.
13Im Lateinischen steht astus, soll vielleicht estus heißen. Ist beides wahr, denn Betrug und Heftigkeit ist insgeheim in dem Herrn Levi beisammen: Zumal die Herren Geistlichen ihr Interesse, ihre Autorität, den Nutzen, die Ehre unter den Eifer für göttliche Wahrheit, Reinheit und Ordnung der Kirche meisterlich zu verbergen und zu suchen wissen.
14Diejenigen, die da glauben die Wahrheit zu erkennen und zu haben, müssen allerdings wohl von ihren Pflichten und deren Ordnung unterrichtet werden, nämlich dass sie 1. sich über diese Erkenntnis als eine unverdiente Gnade Gottes sollen freuen und Ihn dafür preisen, 2. dass sie selbige wohl sollen anwenden und praktizieren, dass sie in sich und bei sich selbst viel Frucht und Nutzen schaffen möge, 3. dass sie dadurch mehr in der Heilung und Gottseligkeit sollen wachsen und zunehmen, 4. dass sie dabei der Liebe, dem Frieden, der Gerechtigkeit gegen den Nächsten sollen nachjagen und endlich 5. suchen sollen, ihn auch zu gewinnen und also die Wahrheit fortzupflanzen oder wenigstens bei sich unverfälscht zu erhalten.
15Ursache: Ein Mensch hält sich alsdenn für selig und glückselig, wenn alle seine Begierden vergnügt sind und er besitzt, hat und genießt, was er will, sucht und wünscht! Wie kann er denn das als seine Seligkeit ansehen, was ihm gegen all sein Wollen, sein Suchen und sein Begehren entweder von Gott oder den Menschen aufgezwungen würde? Wie kann er das für ein Wohl achten, worüber man ihm weh tut? Machen also die in der Tat aus der höchsten Wohltat Gottes eine Strafe, aus der Seligkeit eine Unseligkeit, welche die Menschen zur vermeinten wahren Kirche und zum Himmel zwingen wollen. Denn ein Glied der wahren Kirche und Bürger des Himmels zu sein, ist eine große Ehre und Wohltat. Die Natur aber eines Guts und einer Wohltat ist, dass sie nicht können noch wollen aufgezwungen und aufgenötigt, sondern selbst verlangt und gesucht sein. So lange ein Mensch die ewigen, göttlichen und himmlischen Dinge nicht ernstlich und zwar mit freiwilliger Verlassung, Verleugnung und Geringachtung der irdischen, zeitlichen und fleischlichen sucht, verlangt und groß achtet, so lange kann ihn Gott damit nicht selig machen.
16Die Gesetze und obrigkeitliche Macht sollen dem Menschen nicht alle Freiheit und Verfügung über sich und das Seine nehmen, sondern nur den Missbrauch und Exzess dieser Freiheit, dadurch anderen die ihrige kränken, beschneiden und dämpfen. Wo aber der Mensch überall von innen und außen und nach allen Umständen dadurch gefangen, gefesselt und gebunden sein soll, da dürfte es nicht lange dauern, das allzu schwere Joch würde bald abgeschüttelt und zerbrochen werden. Wird also dadurch potestas legislatoria missbraucht und in Gefahr der Prostitution gesetzt. Gesetze sollen jederzeit praktikabel und den Nutzen der Bürger und des ganzen Staats verträgliche und dienliche Dinge in sich fassen, nicht aber impraktikable, die man weder ausführen noch sattsam bestrafen kann, und darunter nichts als das Vergnügen und Interesse des Regenten versteht.
17So wollte es der hochmütige und herrsüchtige Klerus in allen Sekten gerne haben! Die Obrigkeiten sollen blindlings ihre Sklaven, Büttel und Vollstrecker sein. Sie wollen an Gottes statt oder in Gottes und der Kirche Namen setzen, ordnen, beschließen (da man denn leicht denken kann, dass sie sich und ihre Hoheit, Vorteile und Interessen nicht vergessen werden haben), die Obrigkeit aber soll nicht nur selbst den Hals unter ihre Füße beugen, sondern auch ihre schweren Hände den Untertanen auf den Nacken drücken, und sie also den Pfaffen zu Füßen werfen. Und das soll noch eine große Ehre und Würde für die Obrigkeiten sein, wofür sie dem Klerus noch Dank sagen und eine Verbeugung vor ihr machen sollen, wollen sie anders den Ruhm eifriger Beschützer der Kirche und der Wahrheit Gottes von ihnen haben und hoch und höchstselig von ihnen gepriesen werden. Aber der Klerus muss erst sein Recht und seine Vollmacht ausweisen und dokumentieren, dass, was er redet, als vom Himmel geredet müsse angenommen werden, ehe man sich von ihm den Zaum der Blindheit und das Gebiss des Aberglaubens soll ins Maul legen lassen.
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