Bis hierher von der Ketzerei, welches Wort im allgemeinen Gebrauch nur von Lehrpunkten gebraucht und verstanden wird. Nun müssen wir von dem Schisma oder der Spaltung eine Untersuchung anstellen, so ein Laster, welches der Ketzerei nahe verwandt ist. Denn beide Wörter scheinen mir zu bedeuten eine mutwillige und frevlerische Absonderung von der Kirchengemeinde und Gemeinschaft um unnötiger Dinge willen. Doch da es einmal Brauch und Gewohnheit, welche den Wörtern ihre eigene Deutung geben, gekommen ist, dass Ketzerei von den Irrtümern in Glaubenspunkten, Schisma und Trennung aber von dem Gottesdienst oder der Kirchenordnung verstanden wird, so müssen wir diesen Unterschied auch hier beobachten.
Ist demnach aus den oben angeführten Ursachen ein Schisma nichts anderes als eine Absonderung und Trennung von der Kirchengemeinschaft wegen eines in dem Gottesdienst oder der Kirchenordnung unnötigen Dinges, das man anderen auf-legen oder im Fall des Unterlassens, sie nicht für Glieder der Kirche erkennen will. Nichts kann und darf einem Christen weder im Gottesdienst noch in der Kirchenzucht und Ordnung zur Gemeinschaft und Gliedschaft der Kirche (dass ich so reden mag) notwendig sein, als was der Gesetzgeber Christus selbst erfordert und befohlen oder die Apostel aus Eingebung des Heiligen Geistes. 34Mit einem Wort: Wer nicht leugnet, was mit ebenso viel klaren Worten in göttlichen Zeugnissen befindlich noch auch eine Absonderung macht wegen eines Dings, das in der Heiligen Schrift nicht ausdrücklich enthalten und erfordert wird, der ist weder ein Ketzer noch Schismatiker, obwohl er bei allen Sekten und Sektierern übel angesehen ist und von den meisten, wenn nicht gar von allen, als ein Mensch ohne einzige christliche Religion ausgeschrien wird.
Man könnte dieses besser und weitläufiger ausführen. Allein einem Verständigen ist an diesen genug!
1Zweierlei Betrug muss freilich verhindert werden, 1. dass die gesuchte Erhaltung des Staates und der obrigkeitliche Macht dem Reich Gottes und seiner Wahrheit nicht hinderlich und schädlich werde, 2. dass der vorgewandte Nutzen der Kirche und die Beförderung des Reiches Gottes dem Staat und der obrigkeitlichen Rechte nicht zum Ruin gereichen, wie im Papsttum geschehen. Der Staat soll nicht seinen Vorteil und Nutzen mit Schaden und Kränkung der Kirche noch diese ihr Aufnehmen und Interesse mit Schwächung und Ruin des Staates machen.
2Merkt es, Ihr Fürsten und Obrigkeiten: Suchen, erhalten, befördern sollt Ihr durch Eure Macht und Regierung Eurer Untertanen Leib, Leben, Geld, Ruhe, nicht aber ruinieren, aussaugen, plagen um Euren Hochmut und Eure Wollust zu vergnügen. Ihr seid um der Untertanen willen Fürsten, nicht jene um Euren Willen Untertanen.
3Möchte hier jemand einwenden, dass sich zwar die Obrigkeit sich um die Seelen und deren Seligkeit nicht groß zu bekümmern und zu bemühen habe, aber gleichwohl sei sie verbunden um Gott, seine Ehre, Dienst und Wahrheit zu eifern, denn sie sei custos utriusque tabulae, könne sie also die strafen und fortschaffen, die irrig und verkleinernd von Gott, dessen Geheimnissen und Wegen reden und lehren, auch ihm keine Verehrung und öffentlichen Dienst leisten. Antworte ich: 1. Wo ist der Obrigkeit dieser Eifer um Gott, seine Wahrheit und Dienst anbefohlen worden? Hat er nicht selbst Macht und Eifer genug seine Ehre zu retten? Müssen ihm die armen Menschen helfen und seine Wahrheit und Ehre in Schutz nehmen? 2. Auf diese Weise müsste Gott allezeit der Obrigkeit und zwar aller Orte den rechten und wahren Begriff und die Erkenntnis göttlicher Dinge verliehen haben. Welches aber ganz absurd ist, daher auch dort Pilatus weit verständiger handelte als unsere von den Pfaffen bezauberten Regenten, denn als Christus bei ihm als ein Übeltäter verklagt worden war, dieser aber anzeigte, dass man ihn nur um der Wahrheit willen verfolgte, antwortete Pilatus: „Was ist Wahrheit?“ Das ist: Was geht mich als weltlicher Richter die Wahrheit an, und ist hier nicht der Ort von Wahrheit in Religionshändeln zu traktieren. Dergleichen ist auch in Artikel 18/14, 15 des römischen Gouverneurs in Achaia, des verständigen Gallus zu lesen, der den Juden, als sie Paulus bei ihm als einen Ketzer verklagten, antwortete: „So eine Missetat würde ich euch, soweit es billig ist, vertragen. Nun es aber eine Streitfrage betrifft von einer Sache und Lehre eures Gesetzes, so seht ihr selbst zu (verfahrt mit einer Kirchensache nicht auf eine bürgerliche, sondern der Kirche gebührende Weise), denn über diese Dinge geden-ke ich nicht Richter zu sein (Es ist meines Amtes nicht, mag mir nicht der Verantwortung mehr machen).“
4Was nicht aus dem Glauben geht, das ist Sünde, folglich kann und soll niemand Gott anders dienen als nach dem Zeugnis seines Gewissens, welches jedoch der Mensch wohl untersuchen und prüfen soll, nämlich nach der gesunden Vernunft, so er noch in der Natur steht und nach dem Licht des Geistes und der Worte Gottes, so er unter der Gnade steht, damit nicht Inkonsequenz, Tradition, Aberglauben, Gewohnheit, sich für ein Gewissen halte und ausgehe.
5Es muss wohl erwähnt und erwogen werden, dass die obrigkeitlichen Personen in dreierlei Zuständen und Pflichten betrachtet werden können: 1. als Menschen, die gleicher Art und Natur mit den übrigen sind, gleichmäßigen natürlichen und göttlichen allgemeinen Gesetzen unterworfen. 2. Als Christen, wo sie es anders sind und sein wollen, da sie als Glieder Christi des Geistes und der Art Christi teilhaftig sind, und als treue Untertanen in dem geistlichen Reich dieses Königs durch Gehorsam des Glaubens sich erzeigen. 3. Als Obrigkeiten oder als zur Macht und Herrschaft über andere in dem Naturreich von Gott erhabene Personen. Dieses letzte nun, oder der obrigkeitliche Stand und die Herrschaft macht und verbindet sie nicht, dass sie die ihnen als Menschen und Christen obliegenden Pflichten hintansetzten sollten und dagegen handeln müssen oder dürfen. Als Menschen haben sie dann auch in ihrer Regierung die Gesetze und Pflichten der Gerechtigkeit und Billigkeit zu beobachten, als Christen die Gesetze und Pflichten der Liebe, der Sanftmut und der ganzen Evangelisten, als Obrigkeiten sind sie Gebieter, Wächter und Rächer in und über solchen Dingen, die das Naturreich angehen. Was sie also in Religions-und Kirchendingen tun als Glieder Christi und der Kirche mit Liebe, Weisheit und Sanftmut, ist ganz ein anderes, als was sie tun in Qualität einer Obrigkeit mit Befehlen, Zwang und Strafen. Ein Antichrist wird die Obrigkeit alsdenn, wenn sie in dem Reich Christi etwas tut als Obrigkeit, was sie doch nur tun sollte als ein Christ, wenn sie etwas tun will als Haupt, das sie doch nur tun sollte als Glied.
6Muss demnach bei solcher gewaltsamen Prozedur in religiösen Dingen eines notwendigen Schaden leiden und zugrunde gehen, entweder das Reich Gottes, gut Gewissen und Seligkeit bei den Untertanen oder die Autorität und der Respekt der Obrigkeit, nebst der Wohlfahrt ihres Staates. Denn dringt sie mit ihren Gesetzen, Gewalt und Strafen bei den Untertanen durch und diese folgen aus Furcht, so werden sie die verwerflichsten Heuchler. Geben sie aber nicht nach, so kommt es zum Bruch und die Obrigkeit verliert ihre Macht und Herrschaft über sie und allen Gehorsam, Furcht und Respekt bei ihnen. Warum will sich nun die Obrigkeit solcher Gefahr aussetzen? Ja warum will sie da und darin Furcht und Gehorsam haben, wo Gott keinen dulden will? Warum will sie da gefürchtet und gefolgt sein, wo sie Gott nicht will gefürchtet noch ihr gefolgt wissen? Weil ja Christus ausdrücklich sagt, dass man in Dingen, die Gott und das Gewissen angehen, weiter keinen Meister als nur ihn allein erkennen sollte und dass man hierin, diejenigen, mit ihrer Macht und ihren Strafen gar nicht fürchten sollte, die nur den Leib martern, plagen und töten, weiter aber nichts tun könnten. Und Nebukadnezar spricht es dort recht, dass die drei Männer im Feuerofen seinen Geboten nicht gehorsam gewesen. (Dan 3)
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