18Ja auch in der deutschen Historie, zum Beispiel beim Kryptokalvinismus in Sachsen, item bei Verbindung der lutherischen mit der reformierten Religion Kurfürst Johann Sigmunds in Brandenburg anno 1614.
19Und dieses, wie bisher ausgeführt, um dreierlei Ursachen willen. 1. Von wegen der Natur des Menschen und seines Gemüts, der da eine freie und von keinem anderen Menschen abhängige Kreatur ist, und also die Herrschaft und Verfügung, so viel ihn selbst angeht, über sich selbst hat. 2. Von wegen der Beschaffenheit einer Religion, die ja nicht in Heuchelei und falschen Schein, sondern in Wahrheit und Wesen besteht, nicht bloß auf der Zunge, sondern im Herzen sitzen muss, anders sie dem Menschen nichts hilft, noch gilt. 3. Von wegen der Beschaffenheit der Seligkeit, die eine Pfründe, Gnade und Wohltat Gottes ist, mithin wider Willen nicht kann aufgezwungen werden, ohne sie zur Strafe und Plage zu machen.
20Hier wird gehandelt von Mitteldingen und obrigkeitlicher Macht darüber. Muss man also wissen, dass Mitteldinge in der Religion, solche Dinge genannt werden, die Gott nicht nach allen Umständen ausdrücklich gesetzt und befohlen noch zur Seligkeit als nötig erfordert, diese dennoch aber als nötige und erbauliche Umstände des äußerlichen Gottesdienstes zu determinieren sind. Von diesen wird nun gefragt, wer sie setzen und einführen solle, ob die Obrigkeit oder die Kirche oder die, welchen es die Kirche aufgetragen? Ferner auf welche Art und Weise sollen diese Dinge eingeführt und beobachtet werden? Ob durch obrigkeitliche Autorität, Gesetze, Zwang und Strafen oder durch zuwege gebrachte allgemeine Genehmigung, freiwillige Annahme und Bequemung aller Glieder? Da wird nun aus der Natur der kirchlichen Sozietät und aus der Beschaffenheit der Religionsdinge klar, dass nur die Kirche selbst oder die durch sie hierzu einstimmig erwählt und bevollmächtigt wurden, und zwar auf besagte unzwingende Weise, dergleichen Gesetze und Ordnungen machen können und müssen. Halten sich nun die Obrigkeiten oder der Klerus für solche von der Kirche Bevollmächtigte, so lasst sie ihr Beglaubigungsschreiben aufweiweisen. Oder soll es tacita concessio ecclesiae sein, müssen sie wenigstens nicht anders damit verfahren, als die Kirche darin verfahren darf. Nämlich nicht mit Gewalt und Zwang ihre Glieder daran zu binden, sondern sie nur zu bewegen suchen, solche Satzungen und Ordnungen für gut zu befinden und solche freiwillig anzunehmen und mitzumachen, denen es auch hernach immer frei stehen muss, bei gefundenen Fehlern oder Verfall selbige wieder fahren zu lassen.
21Wie mit den Jagden, Fischfängen, Bergwerken, Speisen, Kleidern und anderen Dingen dieses Lebens geschieht, die die Obrigkeit und dieser oder jener Ursache willen so und so ordnen und einschränken kann, nachdem es das Beste ihres Landes erfordert.
22Darum verwirft Gott sooft allen selbst erwählten scheinheiligen Gottesdienst und alle scheinheilige Verehrung, so nur geschieht nach Menschen Gebot, Anweisung und Lehre. Und werden dergleichen Menschensatzungen und erfindungen ein Sauerteig genannt, der alle göttliche Wahrheit und Lauterkeit verdirbt.
23Doch ist es dem Evangelium und der Freiheit des Neuen Bundes gemäßer die Heiligkeit und Gottesdienstlichkeit nicht in vielen solchen äußerlichen Satzungen und Gebräuchen zu setzen, weil dergleichen Dinge dem Verfall und Missbrauch durch Aberglauben, Abgötterei, Heuchelei, Gewohnheit, Zwang usw. allzu sehr unterworfen sind, hingegen dem Christentum eine schlechte Zierde und Nutzen schaffen, wie wir denn dergleichen bei den Aposteln und ersteren Gemeinden nicht finden, zu einer Anzeige, dass vieles Scheinwesen, eigene Erfindungen und menschliche Zusätze usw. beim Christentum nichts taugen.
24Sünde strafen, richten und vernichten ist ein Werk Gottes und seines Geistes. Denn Sünde sitzt, eigentlich zu reden, im Herzen, da hinein langt die Obrigkeit mit ihrer Macht und Strafe nicht. Und so wenig sie damit die Tugend ins Herz pflanzen kann, so wenig kann sie auch dadurch die Laster ausrotten. Wo aber diese Sünde also ausbrechen und wirken wollte, dass dadurch alle Zucht und Ordnung der Natur, alle Gerechtigkeit und Ehrbarkeit, mithin alle Pfeiler der äußerlichen Glückseligkeit der Menschen über den Haufen geworfen werden würden, da ist das Amt der Obrigkeit, diese grobe und anderen schädlichen Ausbrüche der Sünde durch Gesetze und Strafen so viel als möglich zu dämpfen und zurückzuhalten. Aber um diese Sünde hat sich die Obrigkeit nicht anzunehmen, die 1. rein im Inneren wendig stecken und also deren Ausübung im Herzen zu verhüten aller menschlichen Gewalt unmöglich ist. 2. Deren äußerliche Unterbleibung weder dem Menschen an seiner Seele noch dem Staat an zeitlichen Vorteilen etwas hilft, hingegen 3. deren äußerliche Begehung und Ausübung anderen an ihren zeitlichen Dingen nichts schadet.
25Weder andere noch der Mensch selbst kann die so geschaffene Art und Natur seines Geistes ändern, so wenig als er seinen von Natur habenden Geschmack ändern kann. Nun ist der Geist von Natur aus ein freies unabhängiges sich selbst bestimmendes Wesen, ist also zwang-und gesetzfrei für Menschen, wie man ansonsten zu sagen pflegt: Gedanken sind zollfrei. Das heißt: stehen nicht unter menschlichen Gesetzen, Gerichten und Strafen. Warum sagt man nun nicht auch: Begriffe und Meinungen von dieser oder jener Wahrheit sind zollfrei. Soll ein böser und schädlicher Gedanke des Willens mehr Recht und Freiheit bei den Mensche finden, als ein falscher und irriger Begriff des Verstandes? Soll ich eher Böses als falsch denken dürfen? Hat die Obrigkeit mehr Macht über den Verstand als über den Willen des Menschen?
26Die Sitten, Aufführungen und Handlungen des Menschen gehören zur Religion und für Gott und das Gewissen nach dem inneren, das ist nach dem guten oder bösen Grund, der rechtmäßigen oder schlimmen Absicht usw. Hierin hat die Obrigkeit nichts zu sagen noch zu richten. Nach dem äußerlichen aber, das ist nach der Art und Manier, nach den Umständen der Zeit, des Ortes usw. gehören sie insofern unter weltliche Gerichte, insofern sie gerecht oder ungerecht, nützlich oder schädlich anderen per se erfunden werden.
27Wo das Gewissen anders ein richtiges Gewissen und nicht eine Inkonsequenz, Aberglauben und Hartnäckigkeit ist, und wo auf der anderen Seite das Gesetz und die Obrigkeit in ihren gesetzten Schranken und Rechten verbleiben, ist der Fall wohl indelebilis. Denn das Gewissensgesetz (insofern es von Gott eingedrückt ist und auf einen göttlichen Ausdruck und Ordnung sich gründet) kann dem obrigkeitlichen Gesetz (insofern es von Gott erlaubt, rechtmäßig und notwendig ist) nichts entgegen sein. Wo also hierzwischen ein Gegensatz und Streit sich ereignet, da muss entweder ein Fehler im Gewissen oder in dem Gesetz stecken, daher der Mensch jenes, die Obrigkeit dieses zu prüfen und zu untersuchen hat.
28Worin und worüber die Obrigkeit kein Recht und keine Macht hat zu befehlen, da haben auch die Untertanen keine Verpflichtung zu folgen. Und wo kein Gesetz statt-findet, da findet auch keine Übertretung und folglich keine Strafe statt.
29Dass nämlich, wo kein Teil unrecht haben will, ein jeder vermeintliches Recht mit Gewalt verfechtet, da kommt es von der Zunge und Feder zu den Fäusten und Waffen, da denn der Ausgang lehrt, welcher Teil vor der Welt recht behält. So muss das Glück den Ausspruch tun.
30Zwar sind die Ketzerbücher und Streitschriften der einen Sekte gegen die andere voll solcher Beschuldigungen. Allein der Klerus muss freilich einen solchen Gestank von den Ketzern machen, damit man ihren eigenen Unflat nicht rieche.
31Eine solche Religion wäre mehr eine Nicht-Religion als Religion. Denn eine Religion besteht ja darin zu lehren, wie die Menschen besser und glückseliger für sich und miteinander zeitlich und ewig werden können.
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