Der katholische Adel der östlichen Grafschaften, die Flotte und der Geheime Staatsrat schließen sich Maria zuerst an. In London trägt man ganz offen in beiden Lagern einen tödlichen Haß gegen den Intriganten, den Mörder Somersets zur Schau. Sein gewaltsamer Staatsstreich erregt nur Abscheu und Verachtung. Man bezeichnet Northumberland sogar als den Mörder des jungen Königs. Er soll ihm Gift gegeben haben. Es sind zwar haltlose Gerüchte, aber sie verstärken die Schar seiner Feinde. Alle fallen schließlich von ihm ab. Seine Freunde, seine Söldner, alle. Er wird schwach und entmutigt und ist schließlich einer der ersten, die auf dem Markt von Cambridge Maria mit dem Rufe huldigen: »God save the Queen Mary.« Es nützt ihm nichts mehr. Seine eigenen Leute bemächtigen sich seiner, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Er ist verraten. Graf Arundel nimmt auf Befehl Marias John Dudley, Graf von Warwick, Herzog von Northumberland gefangen und bringt ihn in die Kerker des Tower. Kaum vier Wochen später büßt der Usurpator seinen Ehrgeiz auf dem Schafott. Sein Sohn, der spätere, sehr einflußreiche Günstling Elisabeths, der schöne Robert Dudley, Graf Leicester, wird im Tower mit unmenschlicher Härte von Maria vier Jahre lang festgehalten.
Im Triumph zieht Maria Tudor in London ein. Northumberlands gemeines Verhalten kommt ihr bei der Bevölkerung zugute. Sogar die religiösen Feindschaften scheinen vorläufig zu ruhen. Einstimmig jubeln Katholiken und Protestanten der rechtmäßigen Königin zu, die so kühn sich ihres Thrones bemächtigt, wie es auch ein Mann nicht besser hätte tun können. Auswärtige anwesende Gesandte und eingeborene Augenzeugen dieses seltsamen Schauspiels einer so plötzlichen Änderung der Volksmeinung staunen über diesen unerwarteten Triumph. In einer Chronik der Zeit schreibt ein Engländer: »In meinem ganzen Leben habe ich nichts ähnliches gesehen, und niemals hat auch etwas ähnliches stattgefunden an Triumph. Nicht zu beschreiben die vielen Hüte, die in die Luft geworfen wurden. Graf Pembroke warf seinen Hut jubelnd in die Höhe. Er war bis an den Rand mit Goldmünzen angefüllt. Mit meinen eigenen Augen sah ich die Leute aus lauter Freude das Geld mit vollen Händen aus den Fenstern unter die Menge werfen. Es brannten ungezählte Freudenfeuer. Die Kanonen donnerten, das Volk schrie, die Glocken läuteten, daß keiner sein eigenes Wort verstehen konnte, nicht zu reden von den vielen Banketten und Jubelgesängen in den Straßen und auf den Plätzen Londons.« Sogar der französische Gesandte Antoine de Noailles konnte sich nicht genug über die plötzliche Veränderung wundern, die mit den Menschen vorgegangen war. Er schrieb dieses Werk dem alleinigen Gott zu, der in einem großen Volk das Gefühl für seine Königin erweckt, um ihr zu dienen. »Und nicht nur, daß man Maria zujubelte«, schreibt er, »sondern man brachte ihr auch das wenige Geld, das man besaß, das Silberzeug und die Ringe. Und niemand wollte von ihr irgendwelchen Sold oder Geschenke für seine Dienste annehmen.« Maria kann wohl zufrieden sein mit diesem Erfolg. Niemand denkt mehr an die zarte, ephemere Erscheinung Jane Greys auf dem englischen Thron.
Die Ärmste kam vorläufig, gleich ihrem Beschützer und Verderber Northumberland in den Tower. Der eigene Vater, der ihre Thronbesteigung, um dem Usurpator zu dienen, am eifrigsten befürwortet hatte, riß sie buchstäblich von ihrem Thron. Denn Jane saß gerade, herrlich geschmückt, beim festlichen Mahle unter dem Thronhimmel, als der Herzog von Suffolk in maßloser Aufregung hereinstürzt, den Vorhang des Thrones herunterreißt und ihr zuruft: »Es gebührt Ihnen nicht, von diesem Thron Gebrauch zu machen. Maria Tudor ist von den Räten zur Königin proklamiert!« Jane ist wie versteinert. Sie bleibt indes vollkommen ruhig. Ist sie nicht gewöhnt, von ihrer Familie wie eine Schachfigur hin und hergeschoben zu werden? Die Brutalität des Vaters erstaunt sie gar nicht. Sie kennt trotz ihrer Jugend das menschliche Herz und seinen Egoismus. Sie ahnt: der Vater will seinen Fehler durch diese Geste in den Augen der Königin Mary ungeschehen machen, um dem Tod oder einer harten Strafe zu entgehen. Er behandelt sie, als habe sie den Thron usurpiert. Die kaum siebzehnjährige Königin ist um eine bittere Erfahrung reicher. Sie erhebt sich und schreitet die wenigen Stufen hinab, die von ihrem erhöhten Sitz in den Saal führen. Zu dem inzwischen um sie versammelten Hof sagt sie einfach: »Ich habe den Thron bereitwillig angenommen. Ich entledige mich jetzt ebenso bereitwillig seiner, um die Rechte der Königin Maria anzuerkennen. Es ist sowieso alles ohne meinen Willen geschehen.«
Dann verläßt sie die Prunkgemächer ohne Bedauern über die verlorene Macht und den Glanz, der sie ein paar kurze Tage umgeben hat. Und hinter ihr schließen sich die Kerkertüren. Erst viele Monate später, im Februar 1554, öffnen sie sich wieder für sie, aber nur um ihr den Weg zum Schafott freizugeben. Vergebens hat Maria Tudor in dieser Zeit versucht, Jane Grey zum Katholizismus zu bekehren. Lange widerstand die Königin dem Begehren ihrer Anhänger, sie zum Tode zu verurteilen. Janes Bekehrung hätte ihr Haupt vor dem Beil gerettet. Sie bleibt fest bei ihrem Glauben und stirbt so edel und vornehm, wie sie gelebt hat. Ihr Gatte teilt ihr Los. Den Vater begnadigt Maria. Aber er vergilt ihr die Gnade mit einem zweiten Verrat. Und so ereilt auch ihn der Tod auf dem Blutgerüst.
Siebentes Kapitel. Am Hofe der Spinne
Inhaltsverzeichnis
Maria Tudor ist Königin. Fast ohne Schwierigkeit ist sie auf den Thron ihres Vaters gelangt. Was Heinrich VIII. verhindern wollte: eine Frau auf dem englischen Königsthron, ihr ist es durch eigene Kraft gelungen, diesen Plan zu durchkreuzen.
Elisabeth verhält sich bei allem abwartend, äußerlich scheinbar mit der Entwicklung der Dinge zufrieden. Sie gratuliert ihrer Schwester zu dem Mißlingen des Staatsstreiches Warwicks, obwohl, wäre er geglückt, die neue Religion, der auch sie angehört, die Macht in Händen behalten, ja vergrößert hätte. Elisabeth aber liegt weniger an der Macht des Protestantismus als an ihrer eigenen Zukunft, an dem englischen Thron, der mit Jane Grey für immer für sie verloren gewesen wäre. Ihrer Schwester Maria hingegen, wenn sie kinderlos starb – und es war kaum anzunehmen, daß die bis jetzt noch jungfräuliche siebenunddreißigjährige Königin in einer späteren Ehe Kinder bekam – mußte Elisabeth auf dem Thron Englands folgen. Daher war ihr die katholische Schwester lieber als die protestantische Kusine Jane.
Elisabeth zog an der Seite Marias im Triumph in London ein. Fünfhundert in den grün-weißen Farben der Königin gekleidete Kavaliere, eine Menge schöner Frauen umringen sie und ziehen mit ihr zum Tower. Hier muß die neue Königin, nach altem Brauch, bis zur Beendung der Trauerfeierlichkeiten ihres Vorgängers, einen kurzen Aufenthalt nehmen. Denn Eduards Beisetzung hat wegen der Ereignisse noch nicht stattfinden können. Beide Schwestern reiten jede auf einem herrlichen Zelter. Maria hatte Elisabeth und ihre Damen sehr herzlich empfangen. Der Triumph, den ihr das englische Volk bereitet, stimmt sie überaus glücklich und mild. In ihrem Glück bemerkt sie die sieghafte Jugend ihrer zwanzigjährigen Schwester kaum, der ein guter Teil des Jubels der Londoner gilt. Fast scheint Mylady Elisabeth mit ihrer herrlichen schlanken Gestalt, dem flammenden Goldhaar, den großen blauen Augen, der unerhört königlichen Haltung und den wunderschönen schmalen Händen die Königin zu sein, während Maria, den Vierzig nahe, klein, verblüht, vergrämt und durch jahrelange Unterdrückung zermürbt, neben ihr einherreitet. Wenn auch der Erfolg auf die bleichen Wangen rote Flecken zaubert, sie kann in keiner Weise mit der Erscheinung Elisabeths konkurrieren. Da aber der Tag ihr, ihr ganz allein gehört, der Tag, an dem sie sich die englische Krone erobert hat, denkt Maria nicht daran, welchen Eindruck Elisabeth machen könnte. Das Volk jubelt ihr, seiner Königin Mary zu. Nur Elisabeth fühlt mit Stolz und Genugtuung, daß die Augen vieler Tausenden auf sie gerichtet sind und daß die Hochrufe nicht alle nur Maria gelten.
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