Sechstes Kapitel. Der Tod des jungen Königs
Inhaltsverzeichnis
Wieder werfen furchtbare Ereignisse ihre Schatten auf Elisabeths Leben voraus. Zunächst muß Somerset, der Protektor Eduards und Mörder ihres ersten Verehrers nun doch einem Stärkeren weichen. Der Haß der Großen des Reichs gegen ihn wird immer heftiger, seine Lage äußerst gefährlich durch die ungeheure Geldnot, die der Krieg mit Frankreich und Schottland herbeigeführt hat. Der Aufstand der katholischen Landbevölkerung erschüttert seine Stellung, obwohl es ihm gelingt, ihn zu unterdrücken. Er kann seine Erfolge nicht ausnützen. Sein Sturz ist unvermeidlich. John Dudley, Graf von Warwick, späterer Herzog von Northumberland, bringt ihn zu Fall. Wie Somerset einst in Gemeinschaft mit dem Oberkammerherrn Warwick den Lordadmiral Seymour kaltblütig aus dem Wege geräumt hat, weil er ihnen unbequem war, so wird der Protektor jetzt von seinem Rivalen, demselben Warwick, der längst nach der höchsten Stelle im Staate trachtet, vernichtet. Somersets Rolle ist ausgespielt. Sein Einfluß auf den jungen König hat keine Wirkung mehr. John Dudley hat sich in die Gunst Eduards eingeschlichen. Ende 1549 wird Somerset verhaftet, seines Amtes enthoben und in den Tower gebracht. Später zwar öffnen sich noch einmal die Pforten des Staatsrats für ihn. Doch er hat keine entscheidende Stimme mehr. Warwick ist der Gebieter. Da Somerset versucht, sich wieder an die Spitze zu setzen und den anderen zu stürzen, wird er 1551 aufs neue verhaftet. Schließlich ereilt den einstigen Protektor, der lange Zeit der mächtigste Mann in England war, sein Geschick, am 22. Januar 1552. Sein Haupt, fällt drei Jahre nach dem Tode seines Bruders Seymour. Der königliche Jüngling hat – nach dem Willen seiner Berater – seinen ergebensten Staatsdiener genau so kaltblütig geopfert, wie ehemals den Mann, der dem Herzen seiner Schwester Elisabeth nahestand, und von dem er manchen Dienst, manche Gefälligkeit entgegengenommen hatte.
Für Elisabeth ist Somersets Schicksal vielleicht eher eine Genugtuung, denn sie sieht darin ein Gottesgericht, das den Bösen ereilt, der sie einst beinahe selbst dem Henker ausgeliefert hätte. Jedenfalls scheint sie sein Sturz und sein späterer Tod wenig berührt zu haben. Man behauptet sogar, Somerset habe, als er seine Sache für verloren betrachten mußte, sich in seiner Verzweiflung an sie gewandt, damit sie sich beim König und seinen Räten für ihn einsetze. Sie aber habe sich hinter ihre gewöhnliche Taktik verschanzt und geantwortet, sie sei noch zu jung und ohne jeglichen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte ihres Bruders. Dokumentarisch verbürgt ist ihr Verhalten in dieser Angelegenheit nicht. Aber nach allem, was wir bis jetzt von Elisabeths geschicktem Ausweichen in sie kompromittierenden oder für sie unbequemen Dingen kennen, ist es wohl möglich, daß sie Somerset eine solche Antwort gegeben hat. An der Handlungsweise ihres königlichen Bruders irgendetwas auszusetzen oder Unkorrektes zu finden, stand ihr nicht zu und wäre ihr auch gar nicht eingefallen. Er war der König. Was er tat, dafür waren nur er, seine Räte und seine Politik verantwortlich. Sie kümmerte sich nicht darum. Schwerlich hätte sie auch etwas für Somerset bei dem jungen Herrscher erreicht. Er stand selbst in der Gewalt anderer und hatte keinen eigenen Willen.
Nach dem Sturz des Protektors führen dem Namen nach sechs Regentschaftsmitglieder das Staatsruder. Eigentlich ist aber Warwick der alleinige Herrscher. Unter ihm ist die Regierung Eduards VI. eine Gewaltherrschaft des Landadels, doch der Protestantismus gewinnt mehr und mehr an Kraft. Warwick wendet sich nicht nur gegen den Katholizismus, sondern geht mit aller Strenge gegen die vielen Dissidentensekten vor. Es brennen von neuem die Scheiterhaufen für die Ketzer, die Cranmer, Erzbischof von Canterbury in den Tod schickt.
Obwohl Warwick vor allem daraufhin arbeitet, die völlige Durchführung der Reformation in England zu sichern und dadurch auch Elisabeths Interessen zu fördern scheint, erwächst ihr gerade durch ihn die größte Gefahr, ohne daß sie sie freilich vorläufig auch nur ahnen kann.
Ihre Schwester Maria aber kommt durch die strengen gesetzlichen Verbote der Regierung gegen die katholische Religion gleich zu Anfang der neuen Regentschaft in arge Bedrängnis. Der Regentschaftsrat versucht um jeden Preis das Papsttum zu stürzen. Der hohen katholischen Geistlichkeit fordert man den Eid ab, sich der neuen vorgeschriebenen Liturgie zu fügen. Es darf weder eine Messe gelesen noch angehört werden. Die katholische Kurie weigert sich, teils aus Gewissensgründen, teils aus Widerstand überhaupt. Bonner, Bischof von London, und Gardiner, Bischof von Winchester, zwei heftige Gegner des Protestantismus, werden ihrer Ämter enthoben und durch Reformierte ersetzt.
Auch Maria Tudor weigert sich. Sie kümmert sich nicht um die Vorschriften der Regierung. Sie will um alles in der Welt nicht den wichtigsten Teil ihres Religionsbekenntnisses aufgeben. Nach wie vor läßt sie in ihren Gemächern von ihrem Hofgeistlichen die Messe lesen. Zu ihrem persönlichen Schutz erbittet sie sogar die mächtige Protektion Kaiser Karls V., ihres Vetters, was ihn beinahe in einen Krieg mit England verwickelt hätte. Eine lange Untersuchung des widersetzlichen Verhaltens der katholischen Prinzessin hält das ganze Land in Aufregung. Sie führt schließlich zu einer milden Beurteilung der Schwester des Königs. Die Regierung will sich keine weitgehenden Ungelegenheiten dadurch bereiten, daß sie Maria bestraft. Karl V., der Bekämpfer der Protestanten in Deutschland, ist ein zu mächtiger Gegner. Man kann ihn nicht herausfordern. Die Gefahr der Feindseligkeiten des katholischen Spaniens ist indes damit nicht beseitigt. Man beschließt, König Eduard zu einem Bündnis mit Dänemark zu bewegen, was dem Protestantismus nur förderlich sein und England gegen den Katholizismus stärken kann. Christian III. ist ein sehr aufgeklärter Herrscher. Er hat sich durch die in seinem Reiche eingeführte Reformation die Achtung aller Protestanten erworben. Um ein solches Bündnis noch enger und fester zu gestalten, veranlaßt man Eduard außerdem, seine Schwester Elisabeth dem Kopenhagener Hofe zur Ehe mit dem dänischen Kronprinzen anzutragen.
Elisabeth denkt nicht daran, sich mit einem ausländischen Prinzen zu vermählen. Obwohl sie sich sonst so untertänig gegen ihren königlichen Bruder benimmt, geht sie in dieser Angelegenheit nicht im geringsten weder auf seine Wünsche noch auf seine Politik ein. Sie lehnt diese Heirat glattweg ab, und dadurch zerschlagen sich die Unterhandlungen. Auch diesmal liegt ihrer Weigerung ein nach Höherem strebender Ehrgeiz zugrunde. Sie weiß genau: wenn sie einmal durch eine Ehe England verlassen hat, kann sie schwerlich auf die Erbfolge des englischen Thrones Anspruch machen. Die englische Krone gegen eine andere, geringere, einzutauschen, durch eine Verbindung mit einem Mann, der ihr fremd ist, entspricht weder ihren Zukunftsträumen noch ihrem Charakter.
Inzwischen ist auch Eduard so weit, daß man für ihn ans Heiraten denken kann. Für ihn suchen seine Räte allerdings eine mächtigere Verbindung als für Elisabeth. Eduard bietet seine eigene Hand der Schwester des Königs von Frankreich an. Er ist ein zarter junger Mann, fast noch ein Kind, das bereits die Keime der Schwindsucht in sich trägt. Da er aber dem englischen Thron einen Erben hinterlassen soll, werden die Vorbereitungen zu dieser Heirat nichtsdestoweniger seit langem getroffen. Als der König sein 15. Jahr erreicht und Warwick Heinrich II. soeben (1550) Boulogne zurückgegeben hat – auch eine offene Oppositionshandlung gegen Somersets Politik – trifft eine glänzende französische Gesandtschaft in London ein, die unter anderem auch die Mitgift der französischen Prinzessin festsetzen soll. Man gibt den vornehmen Pariser Gästen am Hofe des zukünftigen Bräutigams die erlesensten Feste und Empfänge. Es ist offenbar, Eduards Räte haben es darauf abgesehen, den allerbesten Eindruck auf die Franzosen zu machen. Da verbreitet sich plötzlich eine entsetzliche Epidemie, eine todbringende Seuche, deren Charakter man nicht deutlich erkennt. Sie fordert vor allem unter der männlichen Jugend ihre Opfer. Binnen vierundzwanzig Stunden erliegen die Erkrankten dem furchtbaren Fieber. Da die geheimnisvolle Krankheit auch in der Umgebung des Königs ihre Opfer fordert, werden alle Festlichkeiten plötzlich abgebrochen. Die fremden Gäste reisen Hals über Kopf ab, und der junge Herrscher flieht vor der mörderischen Seuche aus London nach seinem Schloß Hampton Court. Er bleibt glücklicherweise verschont. Später ist von der Heirat mit der französischen Prinzessin nicht mehr die Rede.
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