Ein Jahr darauf, 1551, macht Warwick sich selbst zum Herzog von Northumberland. Heinrich VIII. hatte den Titel durch die Ächtung Thomas Percys vor fünfzehn Jahre gelöscht. Warwick läßt ihn wieder auferstehen. Der junge Eduard ist mehr als je in seinem Bann verstrickt. Seit einiger Zeit sind die verheerenden Spuren der Tuberkulose deutlich an ihm zu sehen. Er kann sich nicht mehr an Turnieren und Jagd, nur selten noch an Hoffesten, beteiligen. Sein abgemagerter Körper bedarf der größten Schonung. Unverkennbar geht der junge Herrscher mit Riesenschritten seinem Ende zu.
John Dudley, Herzog von Northumberland, sieht diesem Ereignis mit Schrecken entgegen. Unter Maria, der Katholischen, die Eduards Nachfolgerin wird, hat er nichts zu hoffen, im Gegenteil, alles zu fürchten. Er hat alles getan, sie sich zu seiner erbittertsten Feindin zu machen. Seine Härte gegen die Ausübung ihres Glaubens, so manche habsüchtige Handlung während seiner despotischen Regierung zum Nachteil der Familienmitglieder des Hofes würden gerächt werden, käme Maria zur Regierung. Der neugebackene Herzog von Northumberland hat also kein Interesse, ihre Thronbesteigung zu wünschen. Es gibt für ihn nur einen Ausweg: Marias Erbfolge anzufechten, mit anderen Worten, sie davon auszuschließen. Die englischen Staatsmänner haben ja von Heinrich VIII. selbst gelernt, wie man das macht. Zunächst beredet Northumberland seinen jungen Gebieter Eduard, um des Evangeliums willen, wie er vorgibt, alles zu tun, daß die Katholikin nicht seinen Thron erbe. Er soll Maria für illegitim erklären. Er sei es seinem Lande schuldig, das er so glorreich der Reformation zugeführt habe. Es dürfe keinesfalls wieder dem Katholizismus verfallen. Marias Illegitimität sei leicht zu beweisen, da die Bill, die Heinrich VIII. diesbezüglich erlassen, nicht zurückgezogen worden sei, wenn er auch in seinem Testament die Tochter für thronberechtigt anerkannt habe. Marias uneheliche Geburt konnte aber nur berechtigt erscheinen und bestätigt werden, wenn gleichzeitig auch Elisabeths Legitimität und Thronansprüche für nichtig erklärt werden. Für Northumberland war das kein Hindernis. Im Gegenteil! Er verfolgte schon lange den Plan, seine eigene Schwiegertochter, die wunderhübsche, außerordentlich gebildete und kluge Jane Grey zur Königin von England zu machen. Aber nicht, wie es Seymour einmal geplant hatte, als des Königs Gemahlin, sondern als seine Nachfolgerin. Northumberlands Sohn Guilford soll mit ihr die Krone tragen. Jane ist die Enkelin einer jüngeren Schwester Heinrichs VIII. Er selbst bestimmte in seinem Testament, daß im Fall seine beiden Töchter Maria und Elisabeth stürben, Franziska von Dorset und Eleonore von Cumberland, die Töchter seiner Schwester Maria, der Königin von Frankreich, den englischen Thron erbten. Franziska gebar dem Marquis de Dorset zwei Töchter. Die älteste davon, Jane Grey, rangiert also unmittelbar nach Maria und Elisabeth in der Thronfolge. Ihrem Vater, Henry Grey, Marquis de Dorset, macht Northumberland noch schnell zum Herzog von Suffolk, denn er braucht ihn bald für seine Zwecke.
Der kranke junge König, der sein 16. Lebensjahr nahezu erreicht hat, ist kaum noch fähig, die Tragweite zu ermessen, die die Unterzeichnung der von seinem Minister verlangten Enterbungsurkunde seiner Schwestern, dazu die seiner Lieblingsschwester Elisabeth, umfaßt. Er kann sich auch mit ihnen nicht aussprechen. Sie dürfen sich dem Schwerkranken nicht mehr nähern. Elisabeth besonders leidet schwer darunter. Der König zögert lange. Erst in letzter Stunde gelingt es Northumberland, daß Eduard sein Testament mit der Enterbungsklausel unterzeichnet und der siebzehnjährigen Jane das englische Reich überläßt. Durch Stimmulanzmittel hat der Usurpator die Todesstunde des armen Kranken um einige Tage hinauszuschieben verstanden, bis er alles zur Ausführung und zum Gelingen seines Planes geordnet hat. Weder Maria noch Elisabeth werden von der langen Agonie ihres Bruders in Kenntnis gesetzt. Erst als er am 6. Juli 1553 in Greenwich sein Leben ausgehaucht hat, erhalten sie die Aufforderung, nach London zu kommen. Der junge König ist einsam gestorben. Elisabeth durfte ihm nicht, wie sie es gewünscht hätte, ein letztes Lebewohl sagen und ihm die Augen zudrücken. Zum zweitenmal ist sie vom Throne ihres Vaters verstoßen.
Northumberland liegt vor allem daran, die katholische Maria in seine Gewalt zu bekommen und auch Elisabeth möglichst vom Hofe fernzuhalten. Zum mindesten beabsichtigt er, die Prinzessinnen so lange in der Hauptstadt festzuhalten, dabei, wenn es sein müßte, Gewaltmittel zu gebrauchen, bis er Jane Grey zur Königin proklamiert hat.
Sowohl Maria als auch Elisabeth werden jedoch rechtzeitig gewarnt, in welcher Gefahr sie schweben. Maria befindet sich bereits auf dem Wege nach Greenwich. Da erhält sie von Sir Nicolas Throckmorton die dringende Aufforderung umzukehren. Throckmorton ist zwar überzeugter Protestant, dennoch Maria sehr ergeben. Sie flieht nach ihrem Schloß Kenninghall in Norfolk. Dort versammelt sie alles um sich, was zu ihrer Partei gehört. Sie hat sofort erkannt, daß ihr Thron gefährdet ist. Rasches Handeln allein kann sie retten. Elisabeth hat ohne Zweifel ebenfalls von Freundeshand einen Wink bekommen. Wahrscheinlich von Cecil, der ihr bereits damals mit seinem Rat als Freund zur Seite stand. Er war zu jener Zeit Staatssekretär, ein kluger, sehr vorsichtiger Mann von 33 Jahren. Ein überzeugter Protestant. Er gehörte zu dem engeren Kreise Elisabeths. Jedenfalls hatte sie, klug, vorsichtig und abwartend, wie immer, Hatfield noch gar nicht verlassen.
Northumberland hat guten Grund, den Tod des Königs noch einige Tage vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Erst am 10. Juli gibt er ihn gleichzeitig mit der Thronbesteigung Jane Greys dem englischen Volk bekannt. Elisabeth ist inzwischen genauer von allen Intrigen ihres Feindes unterrichtet worden. Es fällt ihr nicht ein, das Anrecht auf die englische Krone so leichten Kaufs sich entgehen zu lassen. Warwicks Anerbieten, sie mit Ländereien und Geld für die entgangene Erbfolge zu entschädigen, schlägt sie in völlig kühler und sachlicher Betrachtung aus. Ihre Antwort ist nicht nur geschickt, sondern eines erfahrenen Diplomaten würdig.
»Ich habe«, sagt sie, »so lange Maria lebt, nichts zu fordern, nichts zu beanspruchen. Erst muß meine Schwester ihren Teil bekommen.«
Und dann verschafft sie sich eilig tausend berittene Mann, an deren Spitze sie der Schwester auf der Straße nach London entgegenzieht.
Die siebzehnjährige Jane Grey ist an dem ganzen Staatsstreich vollkommen unschuldig. Sie hat bisher teils wegen ihrer großen Jugend, teils aus innerem Empfinden, jeder Politik ferngestanden. Sie beschäftigte sich ernstlich mit wissenschaftlichen Studien und lebte still und friedlich mit ihrem Gatten Guilford Dudley, am Hofe. Sie war eine große Bewunderin und Anhängerin der jüngeren Schwester des verstorbenen Königs, fast eine Freundin. Sicher hätte sie nie aus eigenem Ermessen daran gedacht, ihre verehrte Mylady Elisabeth oder zunächst Maria vom Throne zu verdrängen. Nur widerstrebend hat sie sich von ihrem Vater, dem Herzog von Suffolk, und von ihrem Schwiegervater überreden lassen, die englische Krone aus Northumberlands Händen zu empfangen. Um keinen Preis aber geht sie darauf ein, auch Lord Guilford, seinen Sohn, zum König krönen zu lassen. Darin hat sich der Usurpator arg verrechnet, denn Jane entfacht einen heftigen Streit in der eigenen Familie. Das englische Volk nimmt kaum Anteil an der Usurpierung der Krone zu Gunsten der Schwiegertochter Northumberlands. Es verhält sich schweigend.
Inzwischen aber hat Maria, die rechtmäßige Thronfolgerin Eduards, alles zu ihrer Erhebung vorbereitet. Binnen wenigen Tagen hat sie in Norfolk und Suffolk starke Streitkräfte zusammengezogen. Schon zu Lebzeiten ihres Bruders streckte sie ihre Fühler aus. Sie sicherte sich, wie gesagt, im voraus den Rat und die Stütze Karls V. Allerdings versagt er dann beinahe in der wirklichen Gefahr. Maria weiß sich dennoch durchzusetzen. Sogar der perfide Northumberland unterwirft sich ihr, als er sieht, daß das Glück auf ihrer Seite ist.
Читать дальше