Trotz dieser furchtbaren anklagenden Gerüchte denkt «La Palatine» sofort an eine Wiederverheiratung «Monsieurs» mit ihrer jungen Nichte, der Kurprinzessin Liselotte von der Pfalz, und bedauert es unendlich, gerade in diesem Augenblick nicht in Paris anwesend zu sein.
Aber auch fern vom französischen Hofe gibt die kluge Diplomatin das Spiel nicht auf. Was sie vorläufig nicht durch ihren persönlichen Einfluss auf den Herzog von Orléans vermag, versucht sie durch sehr geschickte Briefe. Mit ihrem Schwager Karl Ludwig und der Kurfürstin Sophie steht sie von diesem Augenblick an in beständigem Briefaustausch. Ihr scheint es wie eine «Fügung des Himmels», dass Monsieur gerade in diesem Augenblick Witwer geworden ist, als die Pfalz den mächtigen Schutz Frankreichs am meisten und dringendsten zu bedürfen und zu suchen scheint. Aber die Verhandlungen nehmen doch immerhin einige Zeit in Anspruch, ehe etwas Bestimmtes in dieser Angelegenheit entschieden werden kann.
Nachdem man noch einige andere Partien für Philipp von Orléans in Betracht gezogen hat, kommt man schliesslich der pfälzischen Heirat immer näher. Anna von Gonzaga betreibt die Sache so energisch, dass es ihr schliesslich gelingt, alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Jetzt erst tritt Karl Ludwig dem Plane auch seinerseits ernstlich näher. Es bereitet ihm dabei das grösste Vergnügen, zu beobachten, mit welch scharfsinniger Gewandtheit seine Schwägerin diese Angelegenheit handhabt. Anna entwickelt eine so grosse Geschicklichkeit in der Intrige, dass sie den ganzen Plan, der Liselotte als Herzogin von Orléans nach Frankreich und zum Katholizismus führt, bis ins einzelne ganz allein entwirft. Und zwar geht sie dabei mit so grosser Vorsicht zuwege, dass der Kurfürst von der Pfalz weder in den Augen des Kaisers und Reiches noch vor seinen evangelischen Untertanen blossgestellt wird. Sie ist es auch, die Karl Ludwig den Vorschlag machte, sie wolle Liselotte als Braut in Strassburg in Empfang nehmen.
Dem Kurfürsten war im Grunde seines philosophischen Herzens der Glaubenswechsel seiner Tochter nur eine äussere Form, und nur der Oeffentlichkeit wegen nahm er Anstoss daran. Er persönlich ist überzeugt, dass jeder auf seine Weise und gleichviel in welcher Religion selig werden könne. Das aber durfte er nicht öffentlich bekennen. Immerhin will er nicht, dass Liselotte zu dem Glaubenswechsel gezwungen werde, zumal sie selbst erklärt, es sei kein Beweis wahrer Frömmigkeit, einen Glauben anzunehmen, den man gar nicht kenne und nur «um einen Mann zu haben». Er beauftragt daher seinen Sekretär, den französischen Gelehrten Urban Chevreau, seine Tochter im geheimen und fern vom Hofe im katholischen Glauben zu unterrichten und sie auf die neue Lehre vorzubereiten. Chevreau entledigt sich seines Amtes glänzend. Es bedarf nur weniger Tage und Unterrichtsstunden, um der schnell auffassenden jungen Prinzessin die Grundzüge der katholischen Lehre beizubringen. Nun steht der Heirat keinerlei Hindernis mehr entgegen. Anna von Gonzaga kann das Werk vollenden, das sie begonnen hat.
Liselotte war bis jetzt noch nicht über ihre Meinung hinsichtlich ihres zukünftigen Gatten befragt worden. Prinzessinnen haben keine Meinung in solchen Angelegenheiten. Man kümmerte sich recht wenig um die Gefühle, die sie dem Manne entgegenbrachte, der ein ganzes Leben mit ihr verbringen sollte. Sie kannte den Herzog von Orléans nicht, hatte ihn nie in ihrem Leben gesehen, und das, was sie in ihren Kreisen von ihm erzählen hörte, war gerade nicht dazu angetan, sie besonders glücklich zu stimmen. Zudem war er ein ausländischer Prinz, dem diese deutscheste aller Prinzessinnen angetraut werden sollte. Liselotte wurzelt mit ihrem Herzen so tief in ihrer Heimat, dass der Gedanke, ihr schönes, geliebtes Deutschland auf immer verlassen zu müssen, sie unendlich traurig stimmt. Aber der Gehorsam gegen den Vater und die Tante Sophie entscheiden alles. «Es ist wohl wahr», schreibt Liselotte später, «dass ich nur aus reinem Gehorsam gegen Ihro Liebden, meinen Herrn Vater und meinen Onkel und meine Tante von Hannover nach Frankreich gekommen bin, denn es war durchaus nicht meine Neigung ...» Und in einem anderen Brief: «Papa hatte mich auf dem Hals, war bang, ich möchte ein alt Jüngferchen werden, hat mich also fortgeschafft, so geschwind er gekonnt.»
In der Tat schien es Karl Ludwig sehr eilig zu haben, seine Tochter nach Frankreich zu bringen, sobald alles im reinen war und er wegen des Uebertrittes zum Katholizismus keine Gewissensbisse mehr zu haben brauchte. In Strassburg sollte der Handel besiegelt werden. Pfalzgräfin Anna erwartete ihn dort in Begleitung ihres Jesuitenpaters Jourdan, um Liselotte aus seinen Händen in Empfang zu nehmen und sie dann weiter bis Paris zu geleiten. Ganz inkognito sollte die Reise geschehen und die «Welt erst dann von allem unterrichtet werden, wenn es vollendete Tatsache war. Eilig wird für die junge Prinzessin eine kleine Ausstattung von Wäsche, sechs Nachthemden, sechs Taghemden und den nötigsten Kleidern hergerichtet. Für den Hochzeitstag hat man für sie ein weisses Atlaskleid gewählt. Später wurde diese ärmliche Ausstattung der Pfälzerin gewissermassen zum Spott am französischen Hofe, und Karl Ludwig war gezwungen, sie noch nachträglich zu vervollkommnen, um seine Tochter in Paris nicht ganz und gar lächerlich zu machen. Denn man sprach bereits öffentlich davon, dass «Madame» nicht einmal das Nötigste mitbekommen hätte, um die Wäsche zu wechseln.
In Begleitung der Tante Sophie von Hannover und der Jungfer Colb reist Liselotte mit ihrem Vater nach Strassburg. Der Abschied vom alten lieben Heidelberg ist bitter. Niemals hat Liselotte den Tag vergessen, da sie mit den Ihrigen schluchzend die Hofkutsche bestieg, und der Vater und die Tante Sophie das Lied anstimmten: «Es ist bestimmt in Gottes Rat, dass man vom Liebsten, was man hat, muss scheiden.» Wehmütig schaut sie auf der Fahrt in die herrliche Pfälzer Landschaft hinaus, die sie einst von demselben Volke verwüstet wiedersehen sollte, zu dem sie jetzt reist. Alles, was Liselotte Schönes in der Heimat erlebt hat, kommt ihr ins Gedächtnis, und immer wieder drängt sich ihr der Gedanke auf: es wird nie wieder so schön werden, wie es bis jetzt war!
Endlich am 28. Oktober langte man in Strassburg an, wo die «Princesse Palatine» alles aufs beste zum Empfang der Braut vorbereitet hat. Pater Jourdan findet an der jungen Konvertitin nichts mehr auszusetzen; denn Chevreau hat seine Aufgabe so gut gelöst, dass dem Jesuiten «nichts mehr zu sagen übrigbleibt».
Anna von Gonzaga hat sogar den Heiratskontrakt fix und fertig mitgebracht. Er braucht nur unterschrieben zu werden. Die Frage der Mitgift erledigt sich ebenso leicht und so schnell wie die des Glaubenswechsels. Karl Ludwig muss, freilich nicht ohne tiefe Scham zu empfinden, erklären, er könne seiner Tochter vorläufig kein Heiratsgut mitgeben, denn die Verhältnisse seines Landes seien dermassen zerrüttet und seine Untertanen vom Reiche aus mit allen möglichen Lasten bedrängt, dass er unmöglich von ihnen auch noch fordern könne, die Mitgift für die Erbprinzessin aufzubringen. Bei dieser Gelegenheit bringt der französische Hof seinen Reichtum ziemlich taktlos in den Vordergrund. Er erwidert huldvollst, man besitze selbst Mittel genug und dringe nicht auf die Auszahlung der Mitgift, die der Kurfürst einmal in besseren Zeiten begleichen könne. Im übrigen war der Heiratskontrakt für die pfälzische Erbprinzessin so ungünstig wie möglich, und Liselotte selbst begreift später nicht, als sie zur Kenntnis dieser Dinge gelangt, wie ihr Vater sie unter solchen Bedingungen dem Herzog von Orléans zur Frau hatte geben können. Nur dringende politische Gründe mussten für ihn damals massgebend gewesen sein.
Freilich, für die Pfälzerin, die mit 64 000 Franken barem Gelde und etwa für 10 000 Franken an Schmuck, Kleidern, Wäsche und Toilettegegenständen nach Frankreich kommt, ist der Herzog von Orléans eine glänzende Partie. Ausser dem Palais- Royal und Saint-Cloud besitzt er noch viele andere schöne Schlösser. Seine Apanage beläuft sich auf eine Million Franken, aber ausserdem bezieht er vom König eine Rente von 560 000 Franken und einen weiteren Zuschuss von jährlich 100 000 Franken. Diesen, für die damaligen Zeiten ansehnlichen Summen werden bald darauf noch 200 000 Franken hinzugefügt, so dass eine Jahresrente von nahezu zwei Millionen herauskommt. Für Liselotte, die an ihres Vaters Hofe niemals von derartigen Summen hatte reden hören, ist das geradezu phantastisch. Monsieur schenkte seiner zukünftigen Gemahlin einen Brautschatz, der an Edelsteinen, Ringen, Geschmeide usw. einen Wert von 150 000 Franken darstellte.
Читать дальше