Aber selbst die Erkenntnis dieser Dinge kommt ihr erst in viel späterer Zeit. Vorläufig sieht sie nur Gutes und empfängt nur Gutes. Der König erfüllt ihr jeden Wunsch und sucht immer neue Gelegenheiten, um ihr gefällig zu sein. Zur «Unterhaltung des Hauses der Frau Herzogin von Orléans» hat er am Tage ihres Einzuges im Palais-Royal seinem Bruder 250 000 Franken jährlich bewilligt, die aus dem königlichen Schatz entnommen werden sollen. Und als Hochzeitsgeschenk überreichte er Liselotte drei Kassetten mit 30 000 Pistolen «für ihre kleinen Bedürfnisse». Die Königin aber schenkt ihr eine Diamantenrose im Werte von 40 000 Talern. Solche Geschenke sind für die einfache Liselotte geradezu verblüffend.
Von Tag zu Tag befestigt sich die Freundschaft zwischen Ludwig XIV. und seiner jungen Schwägerin. Immer mehr fühlt sich der König zu diesem frischen Naturkind hingezogen, das keine Verstellung, kein Falsch kannte, das sich gibt, wie es ist, ohne Künstelei und ohne Berechnung. Und doch ist es nicht zu verkennen, dass die Macht und der Glanz des grossen Königs, in dem sich viele Schmeichler sonnten, auch ihre Wirkung auf die einfache Liselotte nicht verfehlten. Sie schaut zu ihm auf wie zu einem Gott und zeigt ihre wahrhafte Verehrung für den grossen Mann so unverhohlen, dass man anfängt, in der Hofgesellschaft darüber zu lächeln und Witze zu reissen. Am liebsten hätte sie jede Sekunde ihres Lebens mit ihm geteilt. Nichts macht ihr grösseres Vergnügen, als wenn sie den König in Wind und Wetter auf seinen Jagden begleiten darf. Nie hat Ludwig unter den Damen seines Hofes eine unermüdlichere Reiterin gefunden als die Herzogin von Orléans. Und doch lernte Liselotte erst in Frankreich reiten. Aber für sie bedurfte es keines besseren Lehrmeisters als gerade des Königs selbst. Mit ihm scheut sie keine Gefahr, keine Anstrengungen, keine Strapazen. Von morgens bis abends kann sie an seiner Seite im Sattel sitzen, ohne die geringste Müdigkeit zu spüren. Sie fürchtet weder für ihre Toilette noch für ihre Schönheit. Auch ein gelegentlicher Sturz vom Pferde bringt sie nicht aus der Fassung. Um so mehr aber den König. Bleich und geängstigt um ihr Leben, eilt er, wenn Liselotte strauchelt oder stürzt, im rasenden Galopp herbei, um ihr selbst die erste Hilfe zuteil werden zu lassen. Wenn er sie dann aber trotz allem in voller Frische aufspringen sieht und sie sich lachend den Schmutz von den Kleidern schüttelt, um im nächsten Augenblick wieder frisch wie ein Jäger aufs Pferd zu steigen, da kann Ludwig sich nicht genug freuen über die urwüchsige gesunde Kraft, die bei den Damen seines Hofes nicht zu finden war.
Meist ist Liselotte bei den Jagdausflügen so gekleidet, dass sie eher einem männlichen als einem weiblichen Wesen ähnlich sieht. Am wenigsten Eindruck macht auf sie die Mode am französischen Hofe. Die Jagdkleider, die die Damen tragen, sind Prunkgewänder, aber keine praktischen Sportanzüge, in denen man springen, laufen und reiten kann, wie man Lust hat. «So jung als ich gewesen, hatte ich doch nie die Fantasie, so unsere ehrliche Teutsche haben, die französischen Moden zu folgen, begreifen können, denn mich deucht, dass nichts raisonnableres war, als dass sich ein jeder kleiden mögte, wie es ihm am bequemsten und gemächlichsten ist.» Und trotz allen Respektes vor ihrem grossen Freund, dem König, besass sie für die Hofcouren doch nur ein einziges Hofkleid. Putzen wollte sie sich nie. An die Schminke, die fast Befehl war, konnte sie sich nicht gewöhnen. Heiss und rot wie ein Krebs, den Hut schief auf dem Kopfe und das Haar verwirrt, kommt sie oft von der Jagd heim.
Ihre Ehe mit dem Herzog bedrückt sie anfangs sehr wenig. Mit Illusionen von Liebe und Treue ist Liselotte ja nicht nach Frankreich gekommen. So kann sie auch in dieser Hinsicht keine Enttäuschung erleben. Sie weiss, dass ihr Gemahl sie nicht aus Liebe oder Neigung geheiratet hat und auch mit der Zeit keine grosse Liebe oder Leidenschaft für sie empfinden wird. Sie weiss, dass Prinzessinnen-Ehen meist nur klug berechnete politische Pakte sind, und dass sie selbst von der Natur nichts mitbekommen hat, was einen Mann bezaubern kann. In ihren Briefen an den Geheimrat von Harling ist sie so offen, dass sie sogar den Herzog von Orléans in der ersten Zeit ihrer Vereinigung wegen seiner sichtbaren Kälte entschuldigt. Um Liebe oder auch nur Leidenschaft in einem Manne zu erwecken, dazu haben ihr, wie sie behauptet, alle weiblichen Reize des Gesichtes und auch des Körpers gefehlt. «Bin gar ein hässlich Schätzchen», schreibt sie einmal an die Tante Sophie; «bin eine wüste, hässliche Figur, habe aber das Glück, gar nicht danach zu fragen; denn ich begehre nicht, dass jemand verliebt vor mir sein solle.» – Aber was tut's? Ob sie nun hübsch oder hässlich ist, ihren guten Humor hat sie immer. Sie nimmt das Leben, wie es sich ihr bietet.
Ebenso wie die Kindespflicht ihren Eltern gegenüber ist ihr die Pflicht gegen den Gatten Hauptbedingung. Die Ehe ist etwas Heiliges für sie, an dem man nicht rütteln darf. Und da sie nun Katholikin um ihres Mannes willen wurde, ist sie es auch in ihren Pflichten, ohne dass sie jedoch ihre schönen protestantischen Sprüche, Lieder und Lehren ganz vergisst. Tante Sophie und Ernst August höhnen sie oft in ihren Briefen, dass sie so gut katholisch geworden sei, aber Liselotte lässt sich nicht beirren und antwortet prompt: «Dass Euer Liebden und Onkel über mich lachen, dass ich so gut katholisch bin und so viel vom Sacrament der Ehe halte, so schlägt mir aber solches Sacrament gut an, um zu wünschen, dass es ewig währen möge und man kein Mittel finden möge, selbiges zu scheiden. Denn wer mich von Monsieur scheiden wollte, täte mir keinen Gefallen ...»
Also muss sie damals nicht so überaus unglücklich gewesen sein, wie es fast alle Biographien bis jetzt dargestellt haben. Da der Herzog von Orléans nun einmal ihr Gatte ist, liebt sie ihn auf ihre Weise. Ja, manchmal sogar beweist sie, die trotz allem ein sehr weiches, liebebedürftiges Herz hat, ihm ihre Zuneigung so zärtlich, dass Monsieur, dem im Gegenteil alle Beweise weiblicher Gunst lästig sind, ihr sagen muss, sie möge ihm weniger zeigen, wie lieb sie ihn habe. «Monsieur seelig», schrieb sie später nach seinem Tod, «war so importuniert, dass ich J. L. so lieb hatte und gern bei ihm sein wollte, dass er mich um Gotteswillen bat, ihn weniger zu lieben, dass es ihm gar zu importun wäre.» Weit mehr als seine Kälte betrübt Liselotte, dass er kaum lesen und schreiben kann, während sie selbst so viel schreibt und liest und nie genug bekommt. Immerhin tröstet sie sich damit, dass ja auch der grosse König, Ludwig XIV., ihr Idol, nicht besonders in diesen Dingen bewandert ist. Was übrigens die Herzogin von Orléans anfangs am meisten in Frankreich kritisiert, sind nicht die Ausschweifungen ihres Gatten, auch nicht die Sitten im allgemeinen am Hofe Ludwigs XIV. Damals begreift sie noch vieles nicht, worüber ihr später die Augen geöffnet werden, und wovon sie als reifere Frau in ihren Briefen so überaus genau unterrichtet ist. Die Beschwerden der jungen Liselotte beschränken sich im Anfang ihres Aufenthaltes in Paris hauptsächlich auf rein materielle Dinge, wie zum Beispiel das Essen. Die raffinierte französische Küche mit ihren tausenderlei Hors-d'œuvres, Entremets, Ragouts, Pastetchen, Saucen und Konfitüren sagt ihrem pfälzischen Gaumen nicht zu. Sie liebt derbere, kompaktere Kost, wovon man ihrer Meinung nach, «etwas hat». Ein Gericht Sauerkraut mit Pfälzer Würstchen, ein recht saftiger Schinken, ein Speck- oder Krautsalat, eine kräftige Biersuppe waren ihr tausendmal lieber als alle raffinierten Speisen, mit denen die Tafel Ludwigs täglich so reich besetzt war. «Ich habe mein teutsches Maul noch so auf die teutschen Speisen verleckert», schrieb sie an Frau von Harling, «dass ich kein einziges französisches Ragout leiden noch essen kann. Ich esse nur Rindfleisch, Kalbsbraten und Hammelschlegel, gebratenes Huhn, selten Feldhühner und nie Fasanen.» Und schliesslich setzt sie es durch, dass auch auf der Tafel des Königs ihre deutschen Gerichte erscheinen, die nach ihren eigenen Angaben von den Hofköchen zubereitet werden. Da Ludwig kein Kostverächter und ein starker Esser war, machte es ihm Vergnügen, auch die fremden Speisen, die ihm seine Schwägerin aus der Heimat vorsetzte, kennenzulernen. Aber kein Koch macht es Liselotte in dieser Beziehung recht. Die französischen Köche können eben doch nicht so gut kochen, wie zum Beispiel die in Heidelberg, meint sie. Am schlimmsten von allem erscheinen ihr die furchtbaren Getränke, die in Frankreich serviert werden, wie Schokolade, Kaffee, Tee! Von all diesem hatte sie bisher in Heidelberg keine Ahnung gehabt, und als man ihr in Paris diese Getränke vorsetzt, findet sie sie geradezu schauderhaft. Schokolade ist ihr viel zu weichlich, vom Kaffee behauptet sie, er röche wie stinkender Atem. Und da sie immer schnell mit drastisch vergleichenden Bildern zur Hand war, meint sie, der Erzbischof von Paris habe diesen Geruch aus dem Munde gehabt. Es sei ihr immer schlecht geworden, wenn er mit ihr gesprochen habe. Dasselbe geschehe ihr auch bei dem blossen Geruch des Kaffees. Den Tee aber verglich sie mit Heu und Mist.
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