Von allen diesen geschäftlichen Dingen weiss nun allerdings die junge Prinzenbraut auf ihrer Fahrt nach Strassburg nichts. Ihre Gedanken nehmen einen ganz anderen Flug und beschäftigen sich mehr mit ihrer glücklichen Vergangenheit als mit der ungewissen Zukunft. In Metz soll die Prokuratrauung mit dem Marschall Du Plessis-Praslin stattfinden, und da man sich in Strassburg nicht lange aufhält, hat Liselotte auch nicht viel Zeit, über alles nachzudenken. Es kommt der Abschied von den Ihrigen und damit von allem, was sie Liebes auf Erden besitzt. Ihr Schmerz ist herzzerreissend, als sie zum letzten Male ihre liebe Tante Sophie und ihren Vater umarmt.
In Metz findet dann die Hauptsache statt: die Glaubensabschwörung und die Trauung. Liselotte ist gefasst. Sie betrachtet die ganze Zeremonie auf ihre Weise. «Mir las man nur etwas vor», schreibt sie später darüber, «wozu ich nur ja oder nein sagen musste, welches ich auch nach meinem Sinn getan und ein paarmal nein gesagt, wo man wollte, dass ich ja sagen sollte, es ging aber durch, musste in mich selber darüber lachen.» Gegen der Eltern Verdammung, weil sie Ketzer waren, protestiert sie indes energisch, und man bekommt darüber kein Wort aus ihr heraus. «Ohne Herzklopfen können solche Spektaklen nicht vorgehen», fügt sie noch lakonisch hinzu.
Als die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber sind, schreibt Anna von Gonzaga mit grosser Genugtuung an ihren Schwager Karl Ludwig: «Man hat Liselotte dieselben Ehren zuteil werden lassen, wie sie sonst nur dem Könige selbst zukommen ... Sie hat sich auch in jeder Weise so gut benommen, dass ich nicht daran zweifle, sie wird sich bald das Herz ihres Herrn Gemahls erobern und die Achtung des Königs erringen. Und dazu werde ich mit allen Kräften beitragen; denn das gerade soll ja diese grosse Heirat für Ihre Zwecke und Ihr Haus nützlich machen.»
Und während Liselotte wehmütig und mit Zweifel im Herzen die Strasse nach Paris zieht, verkünden in Heidelberg die Glocken, Trompeten und Pauken die glückliche Vermählung der jungen Kurprinzessin mit dem Herzog Philipp von Orléans als etwas ganz Besonderes für die bedrängte Pfalz.
In Metz hat Liselotte ihre deutsche Umgebung verabschiedet, und der französische Hofstaat erwartet sie. Es ist eine kleine auserlesene Pariser Gesellschaft, die Ludwig XIV. für seine neue Schwägerin mit Sorgfalt gewählt hat. Die Damen sind nach französischer Mode gekleidet, mit einer Eleganz ohnegleichen, ganz anders als die Damen in Deutschland. Liselotte kommt sich wunderlich genug unter ihnen vor, trotzdem man sie bereits nach französischem Muster herausstaffiert hat.
In dieser neuen Umgebung tritt sie nun die Reise nach Châlons an, wo sie Monsieur, ihr Gemahl, erwartet. Nun ist sie «Madame Royale», Herzogin von Orléans! Eine Welt voll Glanz, Reichtum und Pracht harrt ihrer. Aber Liselottes Herz ist schwer. Sie hat nur Tränen auf dem Weg zu ihrem Gatten, während Philipp sich einzig und allein auf den Eindruck freut, den seine prächtigen und zahlreichen Hochzeitskleider, seine Diamanten, Perlen, Federn und Bänder auf die junge deutsche Prinzessin machen werden, die mit sechs Hemden in ihrem Reisegepäck ihm entgegenfährt.
Philipp von Orléans steht in seinem 31. Lebensjahr, als er sich mit der 19jährigen Liselotte von der Pfalz vermählt. Er ist ein kleiner, dicker, untersetzter Herr, der hohe Stöckelschuhe trägt, um grösser zu erscheinen. Stundenlang kann er vor dem Spiegel stehen, wenn er sich ankleidet; denn er ist eitler und putzsüchtiger wie eine Frau. Wenn er dann parfümiert, geschminkt, über und über mit Edelsteinen behangen, mit bunten Bändern und Federn geschmückt, durch die Prunkgemächer seiner Schlösser schreitet, kommt er wie ein Pfau daher, und in seinen wirklich schönen Augen liest man deutlich die Frage: Bin ich nicht der Schönste im ganzen Land? Wie eine Frau ist Philipp von Orléans unglücklich, wenn ihn jemand in einem unvorteilhaften Morgenrock überrascht oder ungeschminkt und ungeschmückt zu Gesicht bekommt. Und so stolz ist er wegen seiner Schönheit, so eingenommen von sich, dass er sogar über seine erste Gemahlin, die junge und reizende Henriette von England, den Sieg davonzutragen wünschte. Als man ihm nämlich ihr Bild zum erstenmal zeigte, stellte er mit grosser Genugtuung fest, die zukünftige Herzogin von Orléans sei nicht schöner wie er selbst. Das höchste Vergnügen aber bereitet es ihm, wenn er sich bei irgendeiner Gelegenheit als Frau verkleiden und im tiefen Décolleté seinen blendend weissen Hals zeigen kann. Die Unterhaltung gewinnt erst dann für ihn Interesse, wenn sie Putz, Tand und Klatsch zum Gegenstand hat. Jagd, Reiten oder sonstige körperliche Uebungen vermeidet er, um seinem Teint nicht zu schaden, den er mehr pflegt wie eine Kurtisane. Wenn er nicht unbedingt dazu gezwungen ist, besteigt er kein Pferd und greift nie zum Degen. Nur einmal in seinem Leben zeigte sich Philipp als Mann. Das war, als ihn der König mit in den Devolutionskrieg nahm. Und zum nicht geringen Erstaunen des ganzen Hofes und der ganzen Welt, zeichnete sich Philipp, der verweichlichte und verwöhnte Dandy, als junger Held aus, der sogar eine Zeitlang den Ruhm des grossen Königs verdunkelte. Aber diese seltsame Anwandlung von Mannesmut und Mannestugend hielt nicht lange bei ihm an. Als er wieder in das schwelgerische Hofleben zurückkehrt, verfällt er von neuem in die alte Eitelkeit, Genußsucht und weibischen Gewohnheiten. Im Gegensatz zu seinem Bruder, Ludwig XIV., dem es, trotz seiner Vorliebe für Eleganz, Pracht und Vergnügen, ein Bedürfnis war, zu arbeiten und nicht müssig durchs Leben zu gehen, liebte der Herzog von Orléans nichts weniger als die Arbeit. Er war faul und träge. Nur das Spiel flösst ihm Interesse ein. Selbst die Lektüre eines Buches ist ihm zuwider. Dennoch ist er ein angenehmer leichter Plauderer über Nichtigkeiten. Das Schlimmste aber ist, dass er durch den Einfluss einiger seiner gefährlichsten Günstlinge ins Laster geriet und immer mehr darin versank.
Das also war der Mann, dem die einfache, unverdorbene Liselotte angetraut wurde! Man kann sich nichts Ungleicheres denken als diese beiden Menschen. Dass beide mit Spannung auf den Augenblick warteten, welchen Eindruck sie gegenseitig aufeinander machen würden, ist leicht vorzustellen. Auch die übrige Pariser Hofgesellschaft war äusserst begierig auf das junge, deutsche Gänschen, das nun den so sieghaft behaupteten Platz der gefeierten Henriette von England einnehmen sollte. Man hatte so viel von Liselottes derber Wesensart gehört, dass man sich die ungeheuerlichste Vorstellung von ihrer Person machte.
Aber siehe da, Liselottes erstes Auftreten mitten unter der verfeinerten französischen Hofgesellschaft ist durchaus nicht lächerlich! Sie gefällt mit ihrer unverfälschten, natürlichen Munterkeit und biederen Offenheit. Ihre Tränen sind versiegt, und ihr frisches Lachen wirkt wohltuend auf alle. Man findet sie hübscher, als man sie sich gedacht hat. Sie ist weder befangen noch linkisch in ihrem Wesen. Sogar Monsieur ist angenehm enttäuscht, als er seine zweite Frau zum erstenmal zu Gesicht bekommt. Man findet auch, dass sie sehr gut Französisch spricht und reizend tanzt. Kurz, der erste Eindruck, den sie hervorruft, ist günstig! Ja, es scheint, als sollte sogar die reizende verstorbene Herzogin von Orléans von der neuen Gattin in den Schatten gestellt werden.
Am 21. November, gleich nach Liselottes Ankunft in Châlons, beginnen die Hochzeitsfeierlichkeiten. Die Zeitgenossen finden nicht Worte genug in ihren Beschreibungen, wie prächtig alles gewesen sei. Aber die junge Pfälzerin lässt sich durch all den Glanz, der da vor ihren Augen so plötzlich entfaltet wird, durchaus nicht blenden. Wohl ist es ein neues Schauspiel, das gewiss nicht ohne Reiz für sie bleibt, aber sie nimmt alles mit so vollkommener Natürlichkeit hin, als wäre sie in diesem Reichtum aufgewachsen und an all die Pracht und Verschwendung seit langem gewöhnt.
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