Das Wohnzimmer leuchtete rot, und Wu-Lin wurde in meinen Armen immer schwerer, während ich mich mit ihr im Kreis drehte.
Hier werdet ihr glücklich werden .
Ich unterdrückte ein Stöhnen. Flüsterte jedes Mal Entschuldigung , wenn ich auf ihr langes Brautkleid stieg. Sie war jetzt wirklich schwer, und ihre Arme ganz steif, als ob sie keine Lust hätte, mich zu umarmen.
Mutter kam zu uns auf die Tanzfläche. Sie spitzte die Lippen und blies Seifenblasen auf uns. Sie zerplatzten jedes Mal, wenn sie auf etwas trafen.
Ich mochte es vorher lieber. Als wir normale Sachen anhatten und draußen im Garten spielten.
Jetzt war Wu-Lin so still und kalt, und ich wusste nicht, was ich zu ihr sagen sollte. Ich wusste nicht, wie ich mit ihr tanzen sollte.
Ich hatte nie zuvor mit meinem Schwesterchen getanzt.
Es klopft an der Tür. Drei schnelle Schläge, gefolgt von drei langsamen. Das Schwesterklopfen.
Ich decke Steen zu und gehe hinaus, um zu öffnen.
Es hat aufgehört zu nieseln. Klara drückt mich und gibt mir einen Beutel Koteletts, die so frisch sind, dass noch Blut an ihnen ist. Sie hat rote Wangen und loses Haar, das im Wind weht. Über der Schulter trägt sie ihre braune Tierarzttasche.
„Na“, sagt sie. „Etwas Neues bei ihm?“
„Leider nicht.“
Sie schlüpft in der Diele aus den Schuhen, hängt die Jacke auf und nimmt mir die Koteletts aus der Hand. Legt sie in den Kühlschrank.
„Du riechst nach Schweinestall“, sage ich. „Kommst du gerade von Mutter und Vater?“
„Da war eine Sau, die ferkeln sollte. Und jemand muss sie ja besuchen.“
Ich ignoriere ihren vorwurfsvollen Blick und gehe zum Schlafzimmer. „Ich habe ihm heute Morgen etwas Ei und Speck eingeflößt und knapp 200 Milliliter Wasser im Laufe des Vormittags. Aber ich finde, dass er immer blasser wird.“
Klara geht hinein und legt ihm eine Hand auf die Stirn.
„Tag, Steen.“ Sie öffnet die Metallscharniere der Tasche mit einem Klick. „Wie geht es dir heute?“
„Ungefähr so, wie ich aussehe.“
Sie zieht ein Vergrößerungsglas heraus und betrachtet ihn dadurch. Seine Augen, seine Zunge.
„Und dir ist seit letztem Mal nichts eingefallen?“, fragt sie. „Dass du mit dem Fahrrad gestürzt bist oder dir irgendwie den Rücken angeschlagen hast?“
„Nein.“
„Ein Verkehrsunfall? Ein Arbeitsunfall irgendeiner Art?“
„Als ITler?“
„Und du bist dir ganz sicher, dass es keine Anzeichen für ein Blutgerinnsel oder so etwas gab?“
„Müssen wir jedes Mal wieder dieselben Fragen durchgehen?“
„Ich finde es nur so erfrischend mit einem Patienten, der tatsächlich antworten kann.“
Sie blinzelt ihm zu und steckt sich das Stethoskop in die Ohren. Lauscht seinem Atem und seinem Herzen. Sie hebt seine Arme und Beine hoch, und ich stecke zwei Finger zwischen die Lamellen der Jalousie und blicke hinaus in den Garten hinter dem Haus.
Vor weniger als zwei Wochen ging er draußen im Gras umher. Er trug Sandalen und hatte die Sonnenbrille auf der Stirn und winkte mir durch das Fenster zu. Ich denke an unsere zwei Autos. Ob ich das eine verkaufen sollte. Wie trifft man eine derartige Entscheidung?
„Spürst du das hier?“, fragt Klara hinter mir.
„Auch nicht.“ In Steens Stimme liegt etwas Entschuldigendes, und mir fällt es immer schwerer, das anzusehen. Die Tierärztin, die meinen gelähmten Mann untersucht.
Ich ziehe die Luft durch die Nase ein. Habe Lust, das Fenster zu öffnen. Dieser eigenartige Geruch. Es ist, als sickere er aus den Poren meiner Haut und setze sich ins Mauerwerk. Mein Urin, mein Atem, das gesamte Gebäude. Als dringe er aus den Mauern und aus dem Keller hoch.
Ich denke an all die Dinge, die Klara für uns hinuntergetragen hat. Stapel von Pappkartons und Spielzeug, mit dem niemals gespielt wurde. Vielleicht sollte ich sie bitten, auch die neuen Kartons im Vorgarten hinunterzutragen. Klara zieht sich die Gummihandschuhe aus, drückt sich Desinfektionsmittel in die Hände und verreibt es sich zwischen den Fingern. Ihre Hände ähneln denen von Vater. Stark und breit.
„Das muss ich euch lassen“, sagt sie. „Du siehst verblüffend gut aus, Steen. Wärst du ein Hund oder ein Schwein, hätten deine Muskeln schon zu schwinden begonnen.“
„Danke für das Kompliment.“ Steen schenkt ihr ein leichtes, flaches Lächeln, und sie tätschelt ihm die Wange. Schüttelt die Bettdecke auf und deckt ihn zu.
„Warst du noch gar nicht im Bad?“ Sie blickt auf meinen Morgenmantel.
„Ich wollte zuerst Steen herrichten.“
Sie kommt her und nimmt meinen Arm. Drückt ihn.
„Du hast wieder abgenommen.“
„Nicht sehr viel.“
Sie bürstet mir etwas von der Schulter. Sieht an mir herab.
„Weißt du, warum man ihn Morgenmantel nennt, Schwesterherz? Weil man ihn am Morgen anhat, nicht den ganzen Tag.“
„Zum Glück kann man ihn ja auch Bademantel nennen.“
„Setzt aber voraus, dass du auch tatsächlich ins Bad gehst.“
„Okay. Wir könnten es auch bleiben lassen, über meine Kleidung zu sprechen.“
Sie breitet die Arme aus. Macht einen aufmunternden Zischlaut, wie wenn sie ein widerspenstiges Pferd zurück in den Pferch scheuchen soll.
„Komm, wir gehen raus und machen was zu essen. Was meinst du, Steen? Ich habe die selbst gemachte Leberpastete vom Schwiegervater dabei. Die mit Speck.“
„Nein danke.“
„Mit euch ist das Ausgehen wirklich billig. Na, eine Scheibe Brot müsst ihr aber essen.“
Sie tätschelt mir den Rücken als Zeichen, dass ich vorausgehen soll.
„Riecht mein Atem eigenartig?“, frage ich, als wir die Schlafzimmertür hinter uns geschlossen haben.
Sie kommt mit ihrer Nase ganz nah an meinen Mund. Schnüffelt ein paarmal.
„Er riecht nach Lakritze“, sagt sie.
„Er riecht nicht faulig?“
„Jetzt hör schon auf damit.“
„Ich möchte bloß gern sicher sein.“
„Ich hab doch gesagt, dass das in deinem Kopf passiert.“
„Und das sagst du nicht einfach so?“
„Komm jetzt mit und lass uns was essen. Wie ich dich kenne, hast du nichts gegessen, seit ich gestern hier war. Du musst einen Bärenhunger haben.“
Sie folgt mir hinaus in die Küche mit den gebrauchten Gummihandschuhen zwischen zwei Fingern. Der Mülleimer quillt schon fast über, also macht sie einen Knoten in den Beutel und setzt einen neuen ein.
„Bist du sicher, dass ich dir für deine Hilfe nicht etwas bezahlen darf?“, sage ich. „Was bekommst du pro Stunde als Tierärztin?“
Sie stellt den vollen Müllbeutel zur Küchentür. Dreht den Wasserhahn auf und beginnt, sich die Hände zu waschen.
„Wenn ich ehrlich sein soll“, sagt sie, „fühle ich mich nicht mehr wohl mit dem hier.“
„Dem hier?“
„Ich bin ja keine richtige Ärztin.“
„Ich vertraue dir.“
Sie dreht den Wasserhahn zu und trocknet sich die Finger an einem Geschirrtuch. Steht kurz da und schaut in die Luft.
„Ich vertraue dir“, sage ich erneut. „Und ich möchte dir deine Zeit gern bezahlen.“
Klara nimmt die Bratpfanne vom Gasherd und schabt die steif gewordenen Eier mit Speck in den Mülleimer. Öffnet den Kühlschrank und beginnt, den Imbiss herauszunehmen, den sie selbst eingekauft und hineingelegt hat. Hering in Curry. Italienischer Salat. Senfgurken.
„Er liegt jetzt seit zwölf Tagen so da“, sagt sie. „Zwölf Tage. Und du bist seitdem nicht aus dem Haus gegangen.“
„Ich war doch gestern im Krankenhaus. Und ich gehe oft zum Friedhof, wenn Steen Mittagsschlaf macht.“
„Du weißt, was ich meine. All deine Zeit verbringst du mit Windeln wechseln und Kleidung waschen und Füttern. Das ist nicht gut für dich.“
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