Sie erzählt mir von meinem Lieblingsfisch Zdenda. Davon, dass er ein bisschen blöd ist, nur sagt sie das mit anderen Worten, und davon, dass sie sich Sorgen um ihn macht.
»Denk nicht, dass das Zdeněks Idee war … Es war eigentlich meine. Ob das nicht irgendwie mit mir oder unserer Familie zu tun haben könnte. Ob das nicht etwas Genetisches ist, was ich auf ihn übertragen habe …«
»Die Gene vom Hühnerdreck werden aber nicht gerade ein Musterbeispiel sein.«
»Zdeněks Gene sind vielleicht kein Musterbeispiel, aber offensichtlich weniger schlecht als unsere.«
»Da geht es aber nicht nur um die Gene, oder?«
»Was meinst du?«
»Erziehung zum Beispiel.« Klick-klick.
»Na, entschuldige, willst du mir damit sagen, dass ich meine Kinder falsch erziehe?«
Ich halte mein Lachen nicht zurück. Ich denke, der Satz geht so weiter: Du, wo du selbst keine Kinder hast? Ich denke, der Satz geht weiter mit irgendwelchem Quatsch über Verantwortung und Reife.
»Entschuldige, aber erziehst du deine Kinder etwa im Alleingang?«, frage ich sie.
»Was willst du mir damit sagen?«
»Ich sage, wenn du deine Kinder« (ja, deine Kinder, Dana, es sind deine Kinder, nicht meine, ich weiß, eigentlich weiß ich nichts – was weiß ich denn schon) »nicht gemeinsam mit einem despotischen Idioten aufziehen würdest, der dir einreden will, dass du und dein Sohn verrückt seid, dann müsstest du dich nicht fürchten, ob mit Zdenda alles in Ordnung ist.«
»Hör auf, mit diesem Feuerzeug zu spielen! Mir dir kann man darüber ja überhaupt nicht reden.«
»Dann rede halt nicht mit mir darüber.«
Beide verstummen wir für eine Weile. Diesmal ist sie von irgendeinem Grünzeug aus Stoff fasziniert, das zur Dekoration in der Mitte des Tisches steht. Ich mache nichts, aber nach einer halben Minute stelle ich fest, dass die Innenseiten meiner Wangen zerkaut sind.
»Dann sprich doch mit jemandem über ihn. Es gibt jede Menge Psychologen, Erziehungsberater …«, sage ich nach einer Weile.
»Ja, das hab ich schon.«
»Und?«
»Na, das war kein Kinderpsychologe … nur ein Bekannter, mit dem ich darüber gesprochen habe.«
»Du kennst einen Psychologen?«, frage ich verwundert.
»Ja, ein bisschen. Er ist kein Psychologe mehr.« Ich habe den leichten Verdacht, dass sie meinem Blick ausweicht und offensichtlich will sie mir nicht wirklich sagen, worum es geht. Es ist, als würde sie mir beschreiben, dass sie an einer sehr heiklen Stelle einen Pickel entdeckt hat.
»Aha«, sage ich, aber es klingt immer noch wie eine Frage.
»Das ist egal. Denk auf keinen Fall, dass mit Zdenda irgendwas nicht in Ordnung ist. Vielleicht ist er einfach etwas langsamer. Aber dieser Bekannte hat mir auch gesagt, dass ich mit einem Experten sprechen soll.«
»Du hast dir einen Experten gesucht, damit er dir sagt, dass du dir einen Experten suchst? Und weiß der Hühnerdreck von deinen Terminen mit dem Herrn Ex-Psychologen?«
»Du, das sind keine Termine. Ich bin nur manchmal mit ihm in Kontakt.«
»Also weiß er nichts davon.«
»Was denkst du denn. Ich kann mit ihm nicht wirklich über Zdenda sprechen.«
»Das kann ich mir vorstellen«, schnaube ich verächtlich. »Und auch nicht darüber, dass du dich mit einem fremden Typen triffst.«
»Das kommentiere ich jetzt nicht. Und was Zdeněk betrifft – du kennst nur seine dunklen Seiten«, sagt sie zu dem Grünzeug auf dem Tisch. »Da ist es schwierig, mit dir über ihn zu reden, du wirst immer nur das in ihm sehen.«
»Klar.«
»Er hat es auch nicht leicht mit mir. Wir sind alle verschieden. Die Ehe ist harte Arbeit.«
»Klar.«
»Wenn du keine Kompromisse machst, hält es niemand mit dir aus.«
Ein Kompromiss bedeutet, dass eine Angelegenheit nur vermeintlich gelöst wird. Nur zum Schein. Aber bum, aus, bussi, baba, keine der beteiligten Seiten ist am Ende mit dem Ergebnis zufrieden, dafür können sie sich auf die Schulter klopfen, wie erwachsen sie das gelöst haben. Denn ein Kompromiss ist etwas Erwachsenes, und die Ehe ist harte Arbeit. Gestatten, ich muss kotzen.
»Da fällt mir ein, du errätst nicht, wen ich getroffen habe.«
Jemanden, der es mit mir nicht aushielt, vermutlich.
Und nach ein paar Sekunden werde ich erfahren, dass ich richtig liege. Wenn meine Schwester den Bogen von einem Thema zum anderen spannt, dann macht sie das mit einer solchen olympischen Präzision, dass man dabei eine auf die Fresse bekommt. Sie gibt sich bei der ganzen Sache auch noch als naives Mädchen, so als gäbe es gar keinen Bogen, so als würde nichts gespannt werden. Und ich schenke ihr ein Lächeln, das schönste, das ich schaffe. So spanne ich den Bogen.
»Jakub«, sagt sie und schaut mich irgendwie überdreht an. Was machst du? Wie schaust du denn drein? Was hast du mir dazu zu sagen? Wie schnell fasst du dir auf den Mund?
»Diesen Fußballspieler?«, frage ich.
»Welchen …? Was? Nein, Anna, welchen wohl, Jakub.«
Jakub, der es mit mir offensichtlich nicht aushielt.
Ein unsicheres Lächeln und hochgezogene Augenbrauen als Ausdruck fehlenden Verständnisses. Ich bin schon fast raus aus dem gespannten Bogen. Wie lange wird sie das noch aushalten? Wie lange wird sie noch in dieser Scheiße herumstochern? Wie lange noch? Keine Spur von Schadenfreude. Und kein Funken Böswilligkeit. Nur dieser naive, spielerische Ton und ein gieriger Ausdruck.
»Deinen Jakub natürlich«, sagt sie und kuschelt ganz besonders intensiv mit dem ersten Wort.
»Hm.« Fast muss ich mir auf die Stirn klopfen. Ich nehme einen Schluck, dann zucke ich mit den Schultern.
»Er hat gut ausgesehen, er war …«
»Warum erzählst du mir das?« Lächle! Der Bogen hinter dir fängt langsam Feuer, und dein Nacken auch.
»Ich habe gedacht, es würde dich interessieren.«
Versuch doch mal zu fragen, ob es mich interessiert, was du sagst.
»Aha.« Ich nicke, lege die Hand hinter meinen Hals und kratze mich. »Na, nicht wirklich. Wir haben nichts mehr miteinander zu tun. Hoffentlich geht es ihm so, wie er es sich wünscht.«
»Komisch«, sagt sie. Ja, auch dieses Spiel kennen wir bereits. Lass das Wort fallen und warte, bis es jemand hochhebt, von allen Seiten draufpustet und es dir zurückgibt. Dieses Spiel langweilt mich von allen am meisten. Wenn sie eine Hälfte sagt und wartet, dass ich nach der zweiten frage. Also lasse ich ihr Wort liegen, und sehe mich die Hose runterlassen, mich hinhocken und daraufpinkeln, mit einem unaufhaltsamen Strahl, der sich anhört wie das beruhigende Plätschern eines Bächleins im Wald.
»Das ist wirklich komisch«, sagt sie noch einmal. Sie nimmt das Wort selbst und wirft es nochmal zu Boden, diesmal von weiter oben. Platsch. Ich spüre die Ader an meiner Schläfe pulsieren.
»Dass du das einfach so hinnehmen kannst«, fügt sie hinzu, als würde sie mir eine Antwort auf die Frage »Und was ist komisch, Dana?« geben. Dieses Grünzeug ist wirklich ziemlich interessant, wie ich jetzt selbst feststelle.
»Dass es Geschichte ist. Und fertig.«
»Naja … ja, das kann ich. Ist ja auch so, oder nicht?«
»Aber er war ein Mensch in deinem Leben. Ein ziemlich wichtiger.«
»Woher weißt du, wer mir wichtig ist?«, pruste ich lachend heraus, denn dieses Mal finde ich Dana wirklich lustig. Erneut, dieses Mal geduldiger, beginne ich mit dem Feuerzeug zu spielen.
»Ich vermute, wenn du mit jemandem so lange zusammen bist, hat das wohl seinen Grund.«
»Da bist du eine gute Hellseherin. Du könntest Geld dafür verlangen.«
»Schon wieder geht’s los.«
»Vor dem Eingang hab ich eine Alte gesehen, die geschmuggeltes Parfum verkauft, du kannst dich neben sie stellen und deine Hellseherei anbieten, du brauchst ja nicht einmal die Hand der Leute dafür.«
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