Lucie Tourmalin
Nur ein Märchen?
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Inhaltsverzeichnis
Titel Lucie Tourmalin Nur ein Märchen? Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
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Sonntag
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Dienstag
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Freitag
Samstag
Epilog
Wenige Worte zum Schluss
Impressum neobooks
Impressum
1. Auflage, Oktober 2013
© 2013 Lucie Tourmalin
Autor: Lucie Tourmalin, Osburger Weg 8b, 54317 Herl
Mail: lucietourmalin@gmail.com
ISBN: 1491076585 (Taschenbuch)
ISBN-13: 978-1491076583 (Taschenbuch)
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Autors ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Lucie Tourmalin
Nur ein Märchen?
Roman
Als kleines Mädchen wusste ich genau, wie meine Zukunft aussehen würde. Ich war schon immer ein ziemlich durchsetzungsfähiges Kind gewesen und zweifelte nicht im Geringsten daran, dass alles, was ich wollte, auch geschehen würde. Gut und Böse waren einfach voneinander zu trennen, das Leben schien leicht planbar zu sein.
Der Plan von Hilda Imster, acht Jahre, sah so aus: Ich bin eigentlich eine verwunschene Prinzessin – klar, welches Mädchen ist das nicht. Eines Tages werde ich erfahren, dass mir ein großes Schloss gehört, mit Pony und Prinz und Burgfräuleins und allem, was sonst noch an Ausstattung dazugehört. Daran gab es nicht den geringsten Zweifel, diese Punkte waren für mich wie in Stein gemeißelt und nicht verhandelbar.
Vermutlich würde ich sogar ein Einhorn besitzen, und sehr wahrscheinlich würde meine beste Freundin eine Hexe sein – oder eine Meerjungfrau, da war ich durchaus flexibel und kompromissbereit. Auch mit einer Elfe hätte ich leben können. Soll jetzt bloß keiner behaupten, Einzelkinder wären starrköpfig und kleinkariert.
Und so wartete ich Tag für Tag darauf, dass endlich die ersehnte Nachricht käme, die mich offiziell zur Prinzessin erklären würde. Am liebsten wäre mir gewesen, ein ebenfalls verwunschener Prinz hätte mir diese Nachricht überbracht, aber auch hier hätte ich mit mir reden lassen. Eine Flaschenpost wäre auch super gewesen. Oder ein sprechender Hund. Doch die Nachricht blieb aus.
Auch der Prinz ließ sich nicht blicken, und das Schloss mit Pony und Hofstaat rückte in immer weitere Ferne, die Grenzen zwischen Gut und Böse ließen sich nicht mehr ganz so klar definieren, wie ich es mir anfangs vorgestellt hatte.
Also machte ich einen neuen Plan. Plan B, von Hilda Imster, 16 Jahre: Ich werde am Ende des Schuljahres versetzt, lerne – wahrscheinlich im Sommerzeltlager – den umwerfendsten Jungen der Welt kennen, der sehr wahrscheinlich Rockstar oder Schauspieler oder beides ist. Durch ihn bekomme ich zuerst eine kleine Nebenrolle in seinem neusten Musikvideo und werde dann über Nacht zum gefeierten Superstar.
Doch auch dieser Plan ging nicht auf, zumindest der für mich wichtigste Teil. Ich schaffte zwar die Versetzung, aber der Typ, den ich im Zeltlager kennen lernte, war weder Rockstar noch Schauspieler, und besonders umwerfend war er – rückblickend betrachtet – auch nicht.
Irgendwann vergaß ich Plan A und später auch Plan B, irgendwann erkannte ich, dass der vermeintliche Prinz sich meist als Frosch entpuppt – und nicht umgekehrt. Irgendwann glaubte ich nicht mehr an die große Liebe, den versunkenen Schatz, die magischen Geschöpfe, die wunderbaren Zufälle, das immer siegende Gute und das leicht erkennbare Böse. Alles nur ein Märchen – oder nicht
„Ach Hilda, Darling, komm schon. Wir werden eine Menge Spaß haben, wir gehen shoppen, wir werden lecker essen und ein wunderschönes Hotel haben. Das Wetter soll wirklich great sein. Wir spazieren am Rhein, wir essen mittags Eis und abends Pizza. Ich führe dich jeden Abend schön aus, du kannst deine ganzen schicken Klamotten und Schuhe mitnehmen und damit so richtig angeben. Come on. Lass mich nicht noch mehr betteln. Wenn du mich sehen könntest, dann wüsstest du, dass ich auf dem Boden knie!“ George, der seit Minuten heftig auf mich einredet, macht plötzlich eine erwartungsvolle Pause.
Ich wette, er drückt den Hörer jetzt ganz fest ans Ohr, um bloß nicht zu verpassen, was ich sage.
„George, ich weiß nicht. Ich hab‘ noch unheimlich viel zu tun…“, entgegne ich zögernd. Und das ist nicht einmal eine faule Ausrede, weil ich keine Lust habe, ihn zu begleiten. Nein, ich habe wirklich viel zu tun.
George holt tief Luft. Ich kann ihn förmlich vor mir sehen, wie er in seiner luxuriös eingerichteten Designerwohnung sitzt, ein ernstes Gesicht aufsetzt und zum entscheidenden Schlag ausholt.
„Hilda“, beginnt er in genau dem Tonfall, den ich erwartet habe. „Honey, niemand arbeitet so hart wie du. Niemand hat diese kleine Auszeit mehr verdient als du. Please, I want you to come with me.“
Gegen meinen Willen muss ich lachen, kann die Fassade der Teilnahmslosigkeit nicht mehr aufrechterhalten. George, der, obwohl er aus London stammt, ein perfektes Deutsch spricht, gefällt sich sehr darin, ständig englische Wörter in seine Sätze einzubauen. Er findet das charmant – charming – und wenn er besonders charmant sein will, dann lässt er eben auch mal ganze Sätze in seiner Muttersprache in die Unterhaltung einfließen.
„Na gut“, seufze ich ergeben, „was soll’s. Ich rufe gleich Tina an und kläre mit ihr, ob ich die nächste Woche frei machen kann. Überstunden habe ich genug. Und dann komme ich mit dir nach Worms.“
Worms. Wie das schon klingt. Gibt es nicht ein Computerspiel, das auch so heißt? Worms. Das klingt richtig nach Langeweile, nach Trostlosigkeit. Eine ganze Woche, was soll ich denn da? Aber vielleicht hat George Recht und ein bisschen Abstand wird mir guttun. Die Frage ist nur: Abstand – wovon?
„You’re great!“, jubelt George und unterbricht meine Gedanken. Na wenigstens einer, der sich freut. Wir vereinbaren, uns später noch bei mir zu treffen, und legen auf.
Agnes, meine Chefin, erscheint plötzlich wie aus dem Nichts neben mir – sie ist gut darin – und sieht mich stirnrunzelnd an – auch das kann sie gut.
„Was hatten wir über private Telefonate während der Arbeitszeit vereinbart?“, fragt sie mich mit vorwurfsvoller und gezierter Stimme. Schon allein diese Frage! Was hatten wir doch gleich vereinbart?
So eine dumme Kuh. Sie könnte auch einfach sagen, dass ich nicht telefonieren soll, das ist nämlich die Vereinbarung. Oder vielmehr die Anordnung. Der Befehl.
Ich senke scheinbar zerknirscht den Kopf und murmle: „Tut mir leid, kommt nicht wieder vor.“
Agnes schüttelt den Kopf wie ein Pferd, das eine lästige Fliege verscheuchen will.
„So, jetzt pack dein Handy weg und hilf Sonja mit den Salaten.“ Sie benutzt ihre Ich-bin-hier-nur-von-Kleinkindern-umgeben-Stimme und klingt, wie eigentlich fast immer, ungeheuer herablassend. Ich stopfe mein Handy in die Schürzentasche und gehe zur Salatbar, nicht ohne insgeheim eine wahre Kanonade an Schimpfwörtern auf sie abzufeuern.
Während ich die Salate zubereite – einen kleinen italienischen Salat, zweimal großer Salat mit Hähnchenbruststreifen und einmal Tomate-Mozzarella – denke ich über meinen Job nach. Oder besser gesagt, meine beiden Jobs. Und weil Studieren auch irgendwie als Arbeit zählt – man gibt schließlich als Berufsbezeichnung „Student“ an – sind es eigentlich drei Jobs. Und ich kann gar nicht sagen, welcher der drei Jobs mich mehr nervt. Vermutlich immer gerade der, mit dem ich mich im Moment beschäftige. Bin ich an der Uni, finde ich das am nervigsten, bin ich in Tinas Laden, denke ich, das sei der schlimmste meiner Jobs, und bin ich hier – das Schema sollte jedem klar sein.
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