Geschichten von A bis Z
Anthologie
der
Autorengemeinschaft
›Aussagekräftig‹
Impressum
Ausgaben:
eBook und Taschenbuch
Copyright 2022 Autorengemeinschaft Aussagekräftig
Gemälde fürs Cover: Ute Voss
Covergestaltung: Irene Repp http://daylinart.webnode.com/
Bildrechte:© Ute Voss, © kaidash - 123rf.com
Lektorat: Elsa Rieger und Enya Kummer
Korrektorat: Enya Kummer
Buchsatz: Elsa Rieger
Druck und Bindung: meinbestseller.de
Printsaugabe: ISBN: 9789403653662
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Vorwort Wenn aus Buchstaben Worte, aus Worten Sätze, aus Sätzen Geschichten entstehen. 23 Autoren haben sich aufgemacht, um jedem Buchstaben im Alphabet eine Geschichte zu widmen. Die Künstlerin Ute Voss hat uns dankenswerter Weise ein Gemälde für das Cover zur Verfügung gestellt. https://ute-voss.wixsite.com/meinewebsite Wir wünschen viel Vergnügen mit Geschichten von A bis Z, die Autorengemeinschaft ›Aussagekräftig‹ im Frühjahr 2022
Am Ende ein Anfang
Helena Baum
Ährengold
Elsa Rieger
Bedeutende Schließung
Anja Brand
Camping – Carpe Diem
Anja Brand
Dämmerstunden
Enya Kummer
Entschuldigung
Manuela Kusterer
Flaschenpost
Beate Kranz
Gut gewürzt muss es sein
Edda Kedzior
Hoffenster
Sigrid Wohlgemuth
Im Puzzle ihres Lebens
Viktoria Klein
Je r e m i a d e
Carola Meisner-Isbach
Kamar und das Fest der glühenden Bäume
Harrison Shepard
Liebe bis in den Tod
Rita Hajak
Mondscheinkönigin Minna
Marion Peters
Naradinja
Celine van der Hoofd
Orellie und der Wolf
Anita E. Dobes
Ödnis
Beate Kranz
Prophezeiung für Aparajita und
Marlies Hanelt
Quarzschimmer
Gabriele Matthey
Ramm ta da damm
Celine van der Hoofd
Schlangentöter
Gisela Witte
Ts o t s i
Ina Broich
Untergang
Rita Hajak
Überfälle
Dagmar Dusil
Vor der Dämmerung
Andrea Köster
Waldwesen
Susanne Grimmelmann
Xenija von St. Petersburg
Gabriele Matthey
Yeah, yeah, yeah
Elsa Rieger
Zauberhafte Jahreszeiten
Beatrix Ramona Benmoussa-Strouhal
Die Biografien der Beteiligten
Wenn aus Buchstaben Worte, aus Worten Sätze, aus Sätzen Geschichten entstehen.
23 Autoren haben sich aufgemacht, um jedem Buchstaben im Alphabet eine Geschichte zu widmen.
Die Künstlerin Ute Voss hat uns dankenswerter Weise ein Gemälde für das Cover zur Verfügung gestellt. https://ute-voss.wixsite.com/meinewebsite
Wir wünschen viel Vergnügen mit Geschichten von A bis Z,
die Autorengemeinschaft ›Aussagekräftig‹
im Frühjahr 2022
Am Ende ein Anfang
Helena Baum
Seit Monaten redet sie kein Wort mit mir. In dem großen Haus weichen wir uns aus, beobachten und belauern uns. Gehen in dem weiten Flur aneinander vorbei wie Fremde auf einem Bahnsteig. Warten darauf, dass irgendetwas passiert. Ich wäre verstockt wie mein Vater. Schlecht wie mein Vater. Genauso verdorben und nutzlos wie er. Ich solle ihr aus den Augen gehen. Verschwinden. Mir würde man das Schlechte sofort ansehen. Immer. Es wäre für jeden sichtbar. Mütter können unendlich grausam sein. Seit ich denken kann, höre ich diese Sätze und habe keine Ahnung, wer er ist. Mein Vater, der Unbekannte. Mein Vater, der schlechte Mensch. Der Mann, der sie kurz nach meiner Geburt verlassen hat. Durch und durch ein Versager.
Wenn ich richtig wütend bin, knalle ich meiner Mutter ihre Fehlentscheidungen wie faustgroße Steine an den Kopf. Einen nach dem anderen. »Wieso warst du mit ihm im Bett, wenn er so ein Versager war? Was stimmte mit dir nicht? Und überhaupt: Wieso hast du mich zur Welt gebracht und behalten?«
In der Regel macht es das nur schlimmer. Sie nennt mich die undankbarste Tochter der Welt. Aus den zunächst faustgroßen einzelnen Steinen formiert sich blitzschnell eine bedrohliche Steinlawine, die uns den Weg zueinander noch deutlicher versperrt.
Ich hasse sie und sehne mich gleichzeitig nach ihrer Liebe. Würde so gern einfach zu ihr gehen, wie ich es bei meinem Bruder sehe. Den Arm um sie legen und sie zum Lachen bringen. Doch die Hindernisse sind zu groß, die Abwehr zu stark. Das Konstrukt unserer Zuneigung zu instabil.
Ich hoffe auf morgen, denn morgen werde ich achtzehn Jahre alt. Vielleicht schenkt sie mir ein versöhnendes Wort, eine Geste der Verbundenheit, einen weicheren Blick. Manchmal haben wir es geschafft, uns über das Steingeröll hinweg wieder anzunähern. Meistens gab es äußere Anlässe. Besuch, Feierlichkeiten, Urlaube. Meine Volljährigkeit wäre ein guter Anlass. Mit großer Hoffnung und kneifenden Magenschmerzen lege ich mich spätabends ins Bett. Wälze mich von einer Seite auf die andere, überlege, wie lange ich noch zu Hause leben will. Wo sollte ich hin? Mit dem wenigen Lehrlingsgeld? Das reicht alles hinten und vorn nicht. Irgendwann bringt mir der Schlaf das Vergessen.
Am nächsten Morgen wache ich in meiner liebsten Schlafposition auf, der Embryonalstellung, und entrolle mich langsam. Ein freundlicher August-Sommertag blinzelt mich an. Im Zimmer tanzen die ersten Sonnenstrahlen ihr Ballett und locken mich aus den Federn. Im Flur höre ich Geräusche. Ein Flüstern und Zischen. Mein Stiefvater? Mein Bruder? Meine Mutter? Oder alle?
Es poltert. Etwas ist auf den Boden gefallen und ich freue mich so sehr, dass es anscheinend doch eine Geburtstagsüberraschung für mich geben wird. Für mich, das schlechte Mädchen. Die böse Tochter. Die von dem anderen Mann. Das wird ein guter Tag.
Schnell stehe ich auf, ziehe die Vorhänge weit auseinander und flute das Zimmer mit dem Morgenlicht. Komm, pralles Leben, komm ruhig herein. Komm zu mir, ab heute bin ich volljährig und kann machen, was ich will. Verträge unterschreiben, mein Leben in die Hand nehmen, das Ruder herumreißen, sogar heiraten. Ein neues Freiheitsgefühl keimt in mir und ich gebe mich meinen Träumereien hin.
Die Zimmertür wird aufgerissen. Ich drehe mich um und zeige meiner Mutter ein breites Lächeln als Zeichen meines Beitrages zur Versöhnung. Ich stutze.
Sie hat eine Reisetasche in der Hand, öffnet meinen Kleiderschrank, ohne mich eines Blickes zu würdigen, und packt wahllos Klamotten in die Tasche. »So, mein Frollein. Jetzt bist du achtzehn und kannst machen, was du willst. Hau ab hier! Verschwinde!« Sie schmeißt mir die Tasche vor die Füße. Ihr Blick ist eiskalt und das Blut in meinen Adern gefriert. »Worauf wartest du? Du findest doch alles hier schrecklich. Jetzt kannst du gehen.« Sie geht in den Flur. Wartet.
Wo ist mein Stiefvater, wo mein Bruder? Das können sie nicht zulassen! Wo soll ich denn hin? Ich schaue mich um, suche nach ihnen wie nach einer rettenden Schwimmweste. Es ist niemand da. Ich werde ertrinken.
Mein Herz rast viel zu schnell und ich brauche alle Kraft, um nicht ohnmächtig zu werden. Mein Atmen ist auf ein Minimum beschränkt. Worte habe ich keine. Nicht mal Satzanfänge. Alles ist eingefroren. Standby-Modus. Soll ich wirklich gehen? Was mache ich nur?
»Ich warte!«, sagt sie genervt und ich sehe ihr an, dass sie es ernst meint. Am liebsten würde sie mich aus der Tür schieben.
Also nehme ich die Tasche, packe noch ein paar persönliche Dinge dazu und begebe mich so langsam wie möglich in den Flur. Ich kann nicht glauben, was gerade passiert. In Zeitlupe ziehe ich meine Straßenschuhe an. Noch langsamer lege ich die Hand auf die Türklinke. Kann immer noch nicht glauben, was gerade passiert. Vielleicht sagt sie gleich: »April, April. Komm her!« Und öffnet die Arme für mich.
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