1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 »Steigt nur ein!« sagte Bob. »Ich zahle inzwischen.«
Die Zigeunerin kam die Treppe herab; der weite metallisch glänzende Rock aus jadegrünem Alpaka schwang um ihre Beine. Sie richtete sich zu voller Höhe auf: eine hochgewachsene, siegesbewußt blickende Frau mit einem dunklen Wolfsgesicht. Das blaßrote, mit roten Rosen gemusterte Kaschmirtuch um ihren Kopf war zur Seite geglitten und ließ ihr krauses schwarzes Haar sehen. So stand sie im Dämmerlicht und betrachtete die jungen Leute mit kühnem anmaßendem Blick.
Bob steckte ihr zwei halbe Kronen in die Hand.
»Ein klein bißchen mehr, für Glück, für Glück Ihrer jungen Dame«, schmeichelte sie – es klang wie schmeichelndes Wolfswinseln. »Noch ein klein bißchen Silber, zu bringen Glück.«
»Sie haben schon einen Schilling für Glück gekriegt, das langt«, sagte Bob gelassen, während sie zum Wagen gingen.
»Noch ein klein bißchen Silber! Nur ein klein bißchen, für Ihr Glück in Liebe!«
Yvette, mit einer der plötzlichen weitausschwingenden erregenden Bewegungen ihrer langen Schenkel, schwang sich in dem Augenblick herum, als sie in den Wagen stieg; sie ging, den langen Arm ausgestreckt, auf die Zigeunerin zu und steckte ihr etwas in die Hand. Dann kam sie zurück und stieg ein – gebückt, da sie so groß war.
Der Anlasser sirrte einmal, zweimal leidenschaftlich, dann sprang der Motor an. Leo schaltete das Licht ein, und sogleich versank der Steinbruch mit den Zigeunern hinter ihnen in der Schwärze der Nacht.
»Gute Nacht!« rief Yvettes Stimme, als der Wagen anfuhr. Ihre Stimme übertönte als einzige das Geräusch des Motors, lustig und herausfordernd keck in ihrer Achtlosigkeit. Die Scheinwerfer beglänzten mit scharfem Licht die zu Tal führende Steinstraße.
»Yvette, jetzt mußt du uns aber mal erzählen, was sie dir gesagt hat«, rief Lucille, unbekümmert darum, daß Yvette durch ihr Schweigen den Wunsch ausdrückte, nicht gefragt zu werden.
»Oh, nichts – jedenfalls gar nichts Aufregendes«, sagte Yvette mit unechtem Eifer. »Bloß den üblichen alten Quatsch: von einem dunklen Mann, der Glück bedeutet, und von einem hübschen Manne, der Unglück bedeutet; und von einem Todesfall in der Familie, und wenn damit Großmuttchen gemeint ist, dann wäre es ja schließlich nicht so furchtbar schlimm; und ich soll mit dreiundzwanzig Jahren heiraten und einen Haufen Geld kriegen und furchtbar viel Liebe und zwei Kinder. Klingt alles riesig nett, aber ich finde, es ist doch ein bißchen zu viel des Guten, nicht?«
»– und warum hast du ihr noch mehr Geld gegeben?«
»Na, weil es mir eben Spaß machte. Man muß ein bißchen großzügig sein gegen solche Leute – –«
Inhaltsverzeichnis
Es gab einen furchtbaren Krach unten im Pfarrhaus, als die Geschichte mit Yvette und der ›Fensterstiftung‹ herauskam. Nach dem Kriege hatte Tante Cissie ihr ganzes Herz an den Plan gehängt, in der Kirche ein farbiges Glasfenster zum Andenken der Gefallenen aus dem Kirchspiel zu schaffen. Da aber die Gefallenen in der Mehrzahl Nonkonformisten gewesen waren, kam bei der Sache nichts weiter heraus als ein häßlicher kleiner Gedenkstein vor der wesleyischen Kapelle.
Tante Cissie ließ sich dadurch nicht entmutigen. Sie stickte, sie veranstaltete Wohltätigkeitsfeste, sie brachte es fertig, daß die Mädchen Liebhaberaufführungen veranstalteten – alles für ihr geliebtes Fenster. Yvette, der die Betätigung und das Sichzeigenkönnen bei der Sache ganz gut gefiel, übernahm die Aufführung des Schwankes ›Maria im Spiegel‹ und sammelte die Beträge ein, die bei der Abrechnung an die ›Fensterstiftung‹ zu zahlen waren. Jede der Schwestern hatte eine Geldbüchse, in der die Summen für die Fensterstiftung zu sein hatten.
Als Tante Cissie zu wissen meinte, daß die vereinigten Summen nun ungefähr genügen müßten, forderte sie plötzlich Yvettes Büchse an. Sie enthielt fünfzehn Schillinge. Es gab einen Augenblick grasgrünen Entsetzens.
»Und wo ist der ganze Rest?«
»Oh –!« sagte Yvette leichthin. »Das hab ich mir geliehen. Es war übrigens gar nicht so furchtbar viel.«
»Und die drei Pfund dreizehn für ›Maria im Spiegel‹?« fragte Tante Cissie mit einem Gesicht, als sähe sie in den gähnenden Schlund der Hölle.
»Die auch. Ich sage ja: geliehen. Ich kann es ja zurückzahlen, nicht?«
Arme Tante Cissie! Das grüne Krebsgeschwür des Hasses barst in ihr, und es gab einen ungewöhnlich widerwärtigen Auftritt. Hinterher zitterte Yvette vor Furcht und nervösem Abscheu.
Sogar der Pfarrer nahm den Fall einigermaßen ernst.
»Wenn du Geld brauchtest – weshalb hast du es mir dann nicht gesagt?« fragte er kalt. »Hab ich dir je einen vernünftigen Wunsch abgeschlagen?«
»Oh – ich dachte, es wäre nicht so wichtig«, stotterte Yvette.
»Und was hast du mit dem Gelde gemacht?«
»Ausgegeben, glaub ich«, sagte Yvette mit weit offenen Augen. Sie sah zerstreut aus, ihr Gesicht war blaß.
»Ausgegeben – wofür?«
»Ich kann mich nicht so genau erinnern – Strümpfe – und so was. Etwas hab ich auch verschenkt.«
Arme Yvette! Schon mußte sie es erleben, daß ihre hochmütige Miene und Art sich gegen sie selbst kehrte. Der Pfarrer war ärgerlich: sein Gesicht hatte einen mürrischen bissigen Ausdruck – etwas wie Hohn lag darin. Er begann zu fürchten, daß bei seiner Tochter jetzt einige von den bösen und verderbten Eigenschaften der entschwundenen Cynthia zum Vorschein kommen würden.
»Das macht dir wohl Spaß, die Großartige zu spielen – mit dem Geld anderer Leute, was?« sagte er höhnisch; und es war ein kalter, häßlicher Hohn, der bewies, daß der Pfarrer keine Spur von Glauben hatte in seinem Herzen. Es war die Niedrigkeit eines leeren Herzens, in dem nichts von der Wärme des Glaubens zu spüren ist, nichts von Stolz auf die eigene lebendige Kraft. Er glaubte nicht an Yvette – keinen Augenblick glaubte er an sie.
Yvette wurde blaß und war mit einem Male sehr ferngerückt. Ihr Stolz, die zarte, kostbare Flamme, die Alle in ihr zu löschen trachteten, wich zurück, als hätte ein kalter Wind sie weit hinweggeführt, ja, als hätte er sie ausgelöscht; ihr Gesicht, das nun bleich und still war wie eine Schneeblume, wie das weiße Schneeglöckchen, das er sich erfunden hatte, schien nun ganz ohne Leben; nur diese völlige, seltsame Abgeschiedenheit war darin.
»Er hat keinen Glauben an mich!« dachte sie in ihrer Seele. »Ich bedeute ihm nichts, gar nichts. Ich bin weiter nichts als ein schändliches Geschöpf. Alles ist schändlich, alles, alles!«
Wäre er jetzt erregt, ja in flammender Wut gewesen, so wäre sie vielleicht zusammengebrochen, vielleicht auch selbst in Wut geraten; aber sie hätte sich nicht so erniedrigt gefühlt wie durch diesen Unglauben, wie durch die Erkenntnis, daß er in einem solchen Augenblick nur Hohn für sie hatte.
Das Schweigen ängstigte ihn ein wenig; man kam ins Denken, und das war unheimlich. Er brauchte wenigstens den Anschein von Liebe und Glauben und lebendiger Freudigkeit; nie hätte er gewagt, dem gemästeten Drachen seines eigenen Unglaubens, der sich in seinem Herzen regte, ins Auge zu sehen.
»Was hast du zu deiner Entschuldigung zu sagen?« fragte er.
Sie aber sah ihn nur an, mit ihrem wie erstorbenen schneeblumenblassen Gesicht, das ihn ängstigte und mit einem machtlosen Schuldbewußtsein quälte. Auch jene Andere, ›sie, die einst Cynthia war‹, hatte ihn mit dieser starren schneeblassen Angst angesehen, Angst vor seinem erniedrigenden Unglauben, vor dem Wurm, der in seinem Herzen wohnte. Ja, er wußte , daß in seinem Herzen nichts weiter wohnte als dieser gemästete scheußliche Wurm. Und immer ängstigte ihn der Gedanke, daß auch ein Anderer es merken möchte. Deshalb richtete sich sein angstvoller Haß gegen Jeden, der es erkannte und davor zurückwich.
Читать дальше