»Schon wieder eine Festfahne!« sagte der Pfarrer heiter.
»Schon wieder eine Festfahne!« wiederholte sie friedfertig und schlenderte nach oben, ihr Alltagskleid über dem Arm. Sie wollte Lucille trösten und sie fragen, wie das blaue Kleid jetzt saß.
Auf dem ersten Treppenabsatz blieb sie, wie sie es fast immer tat, stehen, um durch das Fenster zur Landstraße und zur Brücke hinüberzusehen. Es ging ihr wie Tennysons Lady von Shalott – ihr war immer zumute, als müßte Jemand am Ufer daherkommen und ›trali-trala‹ singen – oder etwas ähnlich Gescheites.
Inhaltsverzeichnis
Es war kurz vor der Teestunde. Zur Seite des kurzen Fahrweges, der vom Hause zum Heckentor führte, waren die Schneeglöckchen schon heraus, und auf der nassen Grasfläche, die sich zum Fluß hin senkte, arbeitete der Gärtner an den runden, feuchten Blumenbeeten. Am Heckentor vorüber führte die weißliche schlammige Fahrstraße, um dann fast unmittelbar auf die steinerne Brücke zu münden und jenseits des Flusses in einem Bogen zu dem enggedrängten, steinernen, rauchigen Hochlandsdorfe hinanzuklettern: es hockte auf steiler Höhe über den düsteren Steinbrüchen, auf die Yvette durch das schmale Tal hinabsah, und deren schlanke Schornsteine hoch und gerade aufragten.
Das Pfarrhaus lag auf dem einen Ufer der Papple in dem ziemlich engen Tal, das Dorf auf dem anderen Ufer des raschfließenden Stromes, über dem Tal und ein Stück weiter flußabwärts. Hinter dem Pfarrhause stieg der Hügel steil an, und die Landstraße verschwand in einem Gehölz düsterer kahlstämmiger Lärchen. Unmittelbar gegenüber dem Pfarrhause, auf dem anderen Ufer, stieg die Böschung schroff und buschig an zu den kahlen Wiesen am Hügelhang; noch weiter bergaufwärts stand Wald, da und dort unterbrochen von grauem Felsgestein.
Von dieser Ecke des Hauses konnte Yvette freilich nur die Landstraße sehen, die einen Bogen um die Mauer mit der Lorbeerhecke beschrieb, dann zur Brücke hinabführte und jenseits um die Bergschulter herum, hinter den Steinmauern der abschüssigen Felder, den ersten harten Häuserklumpen des Dorfes Papplewick erreichte.
Immer verweilte Yvette zögernd am Fenster auf dem Treppenabsatz, immer meinte sie, irgend etwas müßte doch einmal auf der Straße von Papplewick her zu Tal kommen. Oft kam ein Karrenwagen oder ein Auto oder eine Lore mit Steinen oder ein Arbeiter oder jemand von den Dienstboten. Niemals aber kam Einer am Flusse daher, der ›trali-trala‹ sang. Die Trali-trala-Tage waren, so schien es, dahin.
Diesmal aber war es anders; diesmal kam, um die Biegung der weißgrauen Landstraße, zwischen den Grasstreifen und den niedrigen Steinmauern, ein guter Rotschimmel wacker und munter herabgeschritten; der Lenker des leichten Karrenwagens, den er zog, war ein Mann mit einer Kappe auf dem Kopfe. Der Mann hielt sich mit lässigen Körperbewegungen auf dem schwankenden Karren im Gleichgewicht, indessen das Pferd im stummen düsteren Dämmerlicht des Nachmittags zu Tal schritt. Hinten aus dem Karren ragten lange Staubbesen aus Ried und Federn hervor und nickten auf ihren Rohrstielen.
Yvette stand dicht am Fenster; sie ließ die Vorhänge hinter sich zusammenfallen und umklammerte ihre nackten Oberarme mit den Händen.
Am Fuße des Abhanges, vor der Brücke, schlug das Pferd einen munteren Trab an. Der Karren ratterte über die Steinbrücke, die Besen wedelten und wehten durcheinander, der Karrenlenker, mit lässig schwingenden Bewegungen des Oberkörpers, saß wie schlafend. Es war ein Bild, wie man es wohl im Traum erblickt.
Als indessen der Wagen von der Brücke kam und an der Mauer des Pfarrhauses dahinfuhr, sah der Mann auf zu dem düsteren Steingebäude, das am Fuße des Hügels stand, als hätte es sich von der Straße dahin zurückgezogen. Yvettes um die Arme geklammerte Hände machten eine rasche Bewegung. Und ebenso rasch wurde, als er sie unter dem Mützenschirm hinweg erspäht hatte, sein tiefdunkles Räubergesicht wach und belebt.
Vor dem weißen Gittertor hielt er, immer noch zu Yvettes Fenster hinaufspähend, mit plötzlichem Ruck an; indessen Yvette, die immer noch ihre kalten, rotgefrorenen Oberarme fest umklammert hatte, immer noch gedankenverloren starr auf ihn herabsah.
Er gab mit einem raschen Ruck des Kopfes ein Zeichen und lenkte sein Pferd sorgsam von der Straße auf den Rasen. Dann schlug er, mit einer flinken und geschmeidigen Bewegung, das Segeltuchverdeck des Karrenwagens zurück, holte verschiedene Gegenstände hervor, nahm zwei oder drei von den Ried- oder Truthahnfederbesen heraus, bedeckte den Wagen wieder und wandte sich dem Hause zu. Er sah zu Yvette hinauf, als er die weiße Pforte öffnete.
Sie nickte ihm zu; dann rannte sie hastig ins Badezimmer, um ihr Kleid anzuziehen. Hoffentlich, dachte sie, habe ich so undeutlich genickt, daß er nicht genau weiß, ob ich genickt habe oder nicht. Und schon hörte sie, wie draußen Rover, der närrische alte Köter, sein tiefes heiseres Heulen ausstieß, und wie der dumme junge Trixie mit spitzem Gekläff dazwischenfuhr.
Yvette und das Hausmädchen kamen im gleichen Augenblick vor der Wohnzimmertür an.
»Ist das der Mann, der Besen verkaufen will?« fragte Yvette. »Dann lassen Sie nur.« Und sie öffnete die Tür. »Tante Cissie, draußen ist ein Mann, der Besen verkaufen will. Soll ich hingehen?«
»Was für ein Mann denn?« fragte Tante Cissie, die mit dem Pfarrer und der Mater beim Tee saß: denn die Schwestern waren diesmal vom Teetisch verbannt.
»Ein Mann mit einem Wagen«, sagte Yvette.
»Ein Zigeuner«, sagte das Hausmädchen.
Natürlich stand Tante Cissie sofort auf. Den Zigeuner mußte sie sich ansehen.
Er stand vor der Hintertür, am Fuße des steilen dunklen lärchenbestandenen Hügels. Die langen Staubwedel hielt er mit zierlicher Bewegung in der einen Hand, aus der anderen hingen etliche Gegenstände aus blankem Kupfer und Messing herab: eine Pfanne, ein Leuchter, Teller aus gehämmertem Kupfer. Der Mann sah sauber und gutgehalten, fast etwas stutzerhaft aus mit seiner dunkelgrünen Kappe und seinem zweireihigen grüngewürfelten Rock. Sein Auftreten aber war gedämpft und sehr gelassen: bei alledem war ein Hauch von Herablassung und Zurückhaltung darin.
»Heute etwas gefällig, meine Dame?« sagte er und sah Tante Cissie mit seinen schwarzen verschlagenen forschenden Augen an; seiner Stimme aber gab er einen sehr ruhigen, fast zärtlichen Klang.
Tante Cissie sah, wie hübsch er war; sie sah den biegsamen Bogen seiner Lippen unter dem schmalen schwarzen Schnurrbart; und schon war sie halb gewonnen. Hätte der Mann in seinem Benehmen auch nur die leiseste Spur von Gewaltsamkeit oder Zudringlichkeit gezeigt, so hätte sie ihm verächtlich die Tür vor der Nase zugeschlagen. Aber er brachte es fertig, in seine männliche Haltung eine so sachte und geschickte Andeutung von Unterwürfigkeit zu legen, daß sie zu zögern begann.
»Der Leuchter ist entzückend!« sagte Yvette. »Haben Sie den selbst gemacht?«
Und sie sah zu ihm auf, mit ihren unbefangenen, kindhaften Augen, die ebenso doppeldeutig zu blicken vermochten wie die seinen.
»Ja, meine Dame.« Eine Sekunde lang erwiderte er ihren Blick, und sie sah in seinen Augen wieder den Ausdruck unverhüllten Verlangens, der wie ein Zauber auf sie wirkte und ihr den Willen raubte. Ihr zartes Gesicht sah aus, als sänke sie in Schlaf.
»Er ist furchtbar hübsch«, murmelte sie geistesabwesend. Tante Cissie begann um den Leuchter zu feilschen; es war eine kurze, dicke Kupferröhre, die sich aus einer zweiteiligen Schale erhob. Mit geduldiger Zurückhaltung ging der Mann auf Tante Cissies Fragen ein; für Yvette, die nachdenklich am Türrahmen lehnte und zusah, hatte er keinen Blick.
»Wie gehts Ihrer Frau?« fragte sie plötzlich, als Tante Cissie ins Haus gegangen war, um den Leuchter dem Pfarrer zu zeigen und ihn zu fragen, ob das Stück den geforderten Preis wert war.
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