„Ermanne Dich, Ottfried! Du darfst Dich von dem Schlage nicht so ganz niederwerfen lassen, Du mußt Besinnung behalten!“
Rhaneck ließ die Hand sinken, mit welcher er das Gesicht verdeckte.
„Warum ließ ich mich auch überreden, ihn allein zurückzulassen! Er wollte durchaus noch bleiben, und doch widerstrebte er anfangs der ganzen Fahrt in’s Gebirge. Ich mußte schließlich befehlen und zwang ihn dazu – zwang ihn zu seinem Verderben!“
Der Prälat machte eine ungeduldige Bewegung. „Du quälst Dich mit selbstgeschaffenen Schreckbildern! Konntest Du ahnen, was bevorstand? Nur was wir wollten, fällt auf uns mit der Last seiner Verantwortung, nicht was der tückische Zufall aus unseren Plänen und Absichten macht.“
Es war eine eigenthümliche Heftigkeit in diesen Worten, fast als wolle der Sprechende damit eine Last von der eignen Seele wälzen. Der Graf sprang plötzlich auf.
„Laß mich! Den Verlust meines Kindes würde ich ertragen, aber – Du ahnst nicht, was es ist, das mich bei diesem Unglück dem Wahnsinn nahe bringt!“
Der Prälat sah ihn befremdet an, er verstand die Worte nicht, aber er begriff die Nothwendigkeit, den Bruder von solchen Gedanken abzulenken.
„Hast Du Benedict gesprochen?“ fragte er. „Wie ich höre, war er ja der Erste, der den Gestürzten entdeckte und die Bewohner von N. zur Hülfe aufrief.“
Es vergingen einige Secunden, ohne daß der Graf antwortete; endlich wandte er ihm das Antlitz wieder zu, in dem die tiefste Seelenqual zuckte.
„Ich sah ihn nur einige Minuten – er war todtenbleich, verstört, und wich mir scheu aus, wie ein Verbrecher – vergebens wartete ich in Todesangst auf einen Blick, auf ein Wort der Theilnahme aus seinem Munde, er blieb stumm und hob das Auge nicht vom Boden. Warum konnte es dem meinen nicht begegnen?“
„Du träumst!“ fiel ihm der Prälat erblassend in’s Wort. „Was konnte Benedict mit Deinem Sohne haben? Sie kannten sich ja kaum!“
„Sie haßten sich!“ sagte Rhaneck dumpf, „schon seit Monden. Schon einmal habe ich Ottfried die geladene Büchse und Bruno das Messer aus der Hand gerissen. Dort freilich brauchte es keine Waffe zwischen ihnen, Bruno ist der Stärkere – o mein Gott!“
Er hielt inne, überwältigt von der Vorstellung, auch der Bruder war bleich geworden, als habe sich plötzlich ein Abgrund vor ihm aufgethan.
„Unmöglich! Das wäre noch entsetzlicher!“
„ Noch entsetzlicher? Als was?“
„Nichts, nichts!“ Dem Prälaten wollte die Stimme doch nicht mehr gehorchen, wenn er auch die Züge noch beherrschte. „Ich muß Licht in die Sache bringen! Benedict trifft heute wieder im Stifte ein, ich finde ihn vermuthlich schon bei meiner Rückkehr. Mir, seinem Abte, kann er die Beichte nicht verweigern.“
Der Graf sah auf, und mitten durch all seine Gebrochenheit und all sein Entsetzen flammte wieder ein Hauch der alten Angst und Zärtlichkeit. „Schone ihn!“ bat er tonlos, „und schone mich mit der Enthüllung. Ich stehe an der Grenze meiner Kraft.“
Erschüttert legte der Prälat die Hand auf seine Schulter. „Was in dieser unglückseligen Sache jetzt noch zu tragen ist, Ottfried, das will ich Dir abnehmen, verlaß Dich darauf. Und jetzt suche Dich zu fassen und geh zur Gräfin hinüber. Was auch zwischen Euch stand und Euch einander entfremdet hat jahrelang, heute ist Dein Platz an ihrer Seite, Du darfst sie nicht so ganz allein lassen.“
Halb willenlos folgte Rhaneck, er stand auf und ging zu seiner Gemahlin, wenige Minuten darauf kehrte auch der Prälat nach Hause zurück. –
Es war Abend geworden, auch im Stifte herrschte jene Unruhe, welche ein ungewöhnliches Ereigniß hervorzurufen pflegt. Der Abt stand dem Rhaneck’schen Hause zu nahe, als daß das Unglück desselben nicht auch in seiner Umgebung Aufregung und Theilnahme hätte wachrufen sollen. Schon gestern hatte man den Pfarrer Clemens, der die Nachricht brachte, umringt und mit Fragen bestürmt, er konnte freilich nicht allzuviel berichten und war auch nach wenigen Stunden in Begleitung des Grafen wieder nach N. zurückgekehrt. Heute aber traf Benedict ein, und nun galt es seiner Verschlossenheit alle die Details zu entreißen, die er am besten geben konnte.
Aber die Herren Paters irrten sämmtlich, wenn sie von dieser Seite auf irgend eine Mittheilung hofften. Der junge Priester hatte kaum den Fuß auf die Schwelle des Klosters gesetzt, als er auch schon den Prälaten zu sprechen verlangte, der sich noch in Rhaneck befand. Vergebens war alles Drängen und Forschen, stumm und finster wich er jeder Frage aus, erklärte, in den Gemächern des Abtes auf dessen Rückkehr warten zu wollen, und zog sich, ohne irgend Jemandem Rede zu stehen, auch wirklich dahin zurück. Gleich darauf fuhr der Prälat vor, auch seine erste Frage war nach Benedict, zu dem er sich sofort begab. Seine Gnaden hatten darauf, wie der Kammerdiener erzählte, Befehl gegeben, sie unter keiner Bedingung zu stören, eigenhändig hatte er die beiden Thüren des Vorgemachs abgeschlossen, das zum Arbeitszimmer führte, und befand sich nun bereits über eine Stunde dort allein mit dem jungen Mönche.
Die von der Decke niederhängende, reichvergoldete Lampe warf ihr volles Licht auf die Beiden. Das Gesicht des Prälaten war wieder „wie aus Eisen gegossen“, aber es lag eine fahle Blässe darauf. Dennoch beherrschte er Blick und Stimme mit der alten Energie; erschüttert konnte diese eherne Natur wohl werden; sie zu brechen, dazu gehörten noch andere Schläge, als die, welche sie bis jetzt getroffen.
Ihm gegenüber stand Benedict, auch sein Antlitz war todtenbleich, aber es hatte doch jetzt wieder einen Schein von Ruhe, und die Brust athmete freier, als sei die Felsenlast, welche sie bisher gedrückt, von ihr gesunken. Unbeweglich, die tiefen dunklen Augen auf seinen Abt gerichtet, wartete er auf dessen Spruch.
„Ihre Beichte ist vollständig, Pater Benedict, Sie gaben mehr, als ich verlangte! Jetzt gilt es, das Beichtgeheimniß zu wahren. Hat außer mir Niemand die Wahrheit erfahren oder eine Andeutung darüber empfangen? Auch Pfarrer Clemens nicht?“
„Niemand!“
„Sie thaten Recht, sich mir allein anzuvertrauen. Was auch geschehen ist, die Ehre des Klosters muß gewahrt werden, um jeden Preis. Sie werden auch fernerhin schweigen gegen Jeden.“
Der junge Priester wich mit dem Ausdruck des Entsetzens zurück. „Schweigen? Ich soll die Last, die ich eben von mir gewälzt, wieder aufnehmen und mit mir herumtragen mein Lebenlang? Niemals!“
„Sie werden thun, was die Nothwendigkeit gebietet!“ sagte der Prälat unbewegt. „Mein Neffe“ – hier wurde ihm doch die Stimme treulos, sie bebte hörbar und die Hand, die er auf die Lehne des Sessels stützte, zitterte krampfhaft – „mein Neffe ist nun einmal das Opfer geworden, und keine Reue und Buße hebt ihn wieder aus seinem Grabe ober giebt ihn seinen Eltern zurück. Jetzt gilt es nur noch unser Stift zu retten vor der Schande, daß die weltliche Gerechtigkeit hier eindringt und den Schuldigen aus den geweihten Mauern reißt, um ihn den Gerichten zu überantworten. Solch ein Schauspiel ist in jetziger Zeit gleichbedeutend mit unserer Vernichtung; ich werde den Orden vor diesem Schlage zu schützen wissen, sobald ich nur Ihres Schweigens gewiß bin.“
„Hochwürdigster!“ Benedict richtete sich leidenschaftlich auf, „wenn Sie es vermögen, das auf Ihr Gewissen zu nehmen, ich kann es nicht. Fordern Sie von mir, was menschlich ist, aber nicht diese ewige Lüge!“
„Ich fordere von Ihnen, was jeder Obere von einem Mönche heischen darf, unbedingten Gehorsam. Finden Sie sich mit Ihrem Gewissen ab, wie Sie können, wir haben hier höhere Rücksichten zu nehmen. Als Ihr Abt befehle ich Ihnen zu schweigen, Sie werden gehorchen, Benedict!“
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