Elisabeth Bürstenbinder - Am Altar

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"Der Herbstmorgen war grau und trübe. Der Nebel lagerte noch feucht und dicht auf der Erde, er hing in schweren Tropfen an den dunklen Tannenzweigen und deckte als leichter weißer Reif den Boden der kleinen Waldlichtung, die inmitten der umfangreichen S.'schen Forsten lag. Am Rande der Lichtung stand ein junger Bursche von vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahren in der groben Uniform, wie sie die Leute des königlichen Försters gewöhnlich trugen, eine gedrungene kräftige Gestalt, die Jagdtasche an der Seite, das Gewehr auf der Schulter. Er schien augenblicklich jedoch keine Jagdzwecke zu verfolgen, sondern stand ruhig an einen Baum gelehnt und blickte mit gleichgültiger Miene in den Wald hinaus, als ein fernes Geräusch seine Aufmerksamkeit erregte.."
Der Roman «Am Altar» von Elisabeth Bürstenbinder (1838-1918) erschien erstmals als Fortsetzungsroman in der Literaturzeitschrift «Die Gartenlaube» von 1872.

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Inhaltsverzeichnis

Titelseite Elisabeth Bürstenbinder Am Altar Roman Die Paginierung folgt dem Erstabdruck des Romans in der Literaturzeitschrift »Die Gartenlaube« von 1872.

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Elisabeth Bürstenbinder

Am Altar

Roman

Die Paginierung folgt dem Erstabdruck des Romans in der Literaturzeitschrift »Die Gartenlaube« von 1872.

1

Der Herbstmorgen war grau und trübe. Der Nebel lagerte noch feucht und dicht auf der Erde, er hing in schweren Tropfen an den dunklen Tannenzweigen und deckte als leichter weißer Reif den Boden der kleinen Waldlichtung, die inmitten der umfangreichen S.’schen Forsten lag. Am Rande der Lichtung stand ein junger Bursche von vielleicht sechszehn oder siebzehn Jahren in der groben Uniform, wie sie die Leute des königlichen Försters gewöhnlich trugen, eine gedrungene kräftige Gestalt, die Jagdtasche an der Seite, das Gewehr auf der Schulter. Er schien augenblicklich jedoch keine Jagdzwecke zu verfolgen, sondern stand ruhig an einen Baum gelehnt und blickte mit gleichgültiger Miene in den Wald hinaus, als ein fernes Geräusch seine Aufmerksamkeit erregte. Es klang wie der Galopp von Pferden, der immer näher kam und in einiger Entfernung von der Wiese plötzlich aufhörte; statt dessen vernahm man Fußtritte, gedämpfte Stimmen wurden laut, Sporen klirrten; gleich darauf rauschten die Gebüsche und mehrere Offiziere traten auf den freien Platz.

„Wir sind die Ersten, scheint es!“ sagte der eine von ihnen, ein schöner hochgewachsener Mann in der Uniform eines Cavallerierittmeisters, indem er flüchtig den Ort musterte.

Einer seiner Begleiter zog die Uhr. „Erst drei Viertel auf Acht! Wir sind zu scharf geritten; vor Acht werden sie schwerlich hier sein. Ihr hättet übrigens keinen schlechtern Morgen wählen können; der verdammte Nebel hindert ja überall!“

Der Rittmeister zuckte leicht die Achseln. „Bah! Auf unsere Distance sieht man klar genug. Wer von Euch hat die Pistolen?“

„Halt!“ rief plötzlich einer der jüngeren Officiere. „Wir sind nicht allein! Wer steht dort?“ Er wies auf den jungen Jäger am andern Ende der Wiese, der die Ankommenden mit einem raschen scharfen Blick gemustert hatte, aber, ohne sich weiter um sie zu kümmern, stehen geblieben war.

„Irgend ein Jägerbursche,“ sagte der Rittmeister gleichgültig hinübersehend. „Indessen, er scheint hier Posto gefaßt zu haben. Saalfeld, sieh zu, daß Du den Menschen wegbringst; er könnte uns stören.“

Der Angeredete folgte der Weisung, indem er über die Wiese schritt und die Unterhandlung mit dem Betreffenden einzuleiten begann; diese schien aber nicht das gewünschte Resultat zu haben, denn nach Verlauf von fünf Minuten kehrte der Lieutenant aufgeregt und hochroth im ganzen Gesicht zu seinen Cameraden zurück.

„Nun? Was giebt es?“ trat ihm der Rittmeister entgegen.

„Der Mensch will nicht fort!“ rief Saalfeld heftig. „Er ist widerspenstig und unverschämt im höchsten Grade; wir werden ihn zwingen müssen!“

„Damit er Lärm macht, uns seine Cameraden oder gar den Förster auf den Hals hetzt und dadurch vielleicht das ganze Recontre in Frage stellt, nicht wahr? Mit Zwang ist hier nichts auszurichten; Du wirst den Burschen mit Deiner brüsken Manier gereizt und uns wieder unnöthige Schwierigkeiten bereitet haben. Ich werde selbst mit ihm sprechen.“ Damit schritt der Rittmeister, von den übrigen Officieren gefolgt, auf den Jäger zu und redete ihn leutselig an.

„Hast Du hier an dem Orte irgend etwas zu thun, mein Junge?“

„Nein!“ lautete die sehr lakonische Antwort.

„Oder wartest Du vielleicht auf den Förster oder auf sonst Jemand?“

„Nein!“

„Nun, dann wirst Du uns wohl auch ohne Schwierigkeit den Platz räumen. Wir beabsichtigen hier Schußwaffen zu probiren und wünschen dabei ungestört zu sein. Hier ist ein Trinkgeld für Deine Gefälligkeit; geh jetzt und laß uns allein!“

Die Worte wurden mit ruhiger, freundlicher Herablassung, aber doch in einem Tone gesprochen, der keinen Widerspruch zuließ, und die ganze Art und Weise hatte etwas so Imponirendes, daß das Gehorchen sich von selbst zu verstehen schien; aber ob der Jägerbursche nun zu Denen gehörte, die sich nicht imponiren ließen, oder ob die brüske Art des Lieutenant Saalfeld, der im Tone des Befehls seine Entfernung verlangt, ihn in der That gereizt hatte, – er kümmerte sich durchaus nicht um den dargebotenen Thaler, sondern entgegnete trocken:

„Danke, Herr Officier! Ich bleibe hier!“

„Aber ich sage Dir doch, daß wir hier Schießübungen vornehmen wollen!“ In der Stimme des Rittmeisters verrieth sich bereits einige Ungeduld.

„Meinetwegen!“ war die kaltblütige Antwort. „Mich hindert das nicht.“

„Aber uns!“ rief der Officier, nun auch gereizt werdend. „Wir wünschen überhaupt keinen Zuschauer, Du hörst es ja!“

Der junge Jäger lehnte sich ruhig wieder an seinen Baum. „Ja, das höre ich. Ich bleibe aber nun einmal hier. Wenn also durchaus Einer von uns gehen muß, so –“

„Unverschämter Bursche!“ brauste Lieutenant Saalfeld auf und legte die Hand an seinen Degen. Der junge Mensch trat einen Schritt zurück, sah ihn von oben bis unten an, nahm dann langsam sein Gewehr von der Schulter und untersuchte den Hahn desselben. So ruhig und kaltblütig diese Bewegung auch ausgeführt wurde, den Officieren trat doch das Herausfordernde derselben vor Augen; sie nahmen eine drohende Haltung an, und der Widerspenstige hätte seinen Trotz vielleicht arg büßen müssen, wäre der Rittmeister nicht dazwischen getreten; auch er war offenbar heftig gereizt, aber er beherrschte sich.

„Keine Gewaltthätigkeiten!“ sagte er leise, doch in sehr entschiedenem Tone. „Das Forsthaus ist nicht allzu weit entfernt und Ihr wißt, daß wir allen Grund haben, Aufsehen zu vermeiden. Wenn der Bursche durchaus nicht fortzuschaffen ist, so bleibt uns nichts anderes übrig als das Terrain zu wechseln. Seht zu, daß Ihr einen andern geeigneten Platz im Walde ausfindig macht, während ich unsere Gegner hier erwarte.“

Die Officiere zeigten indeß sehr wenig Lust, sich dieser Anordnung zu fügen, sie waren im höchsten Grade aufgebracht und es bedurfte des ganzen Ansehens ihres Cameraden, sie von Gewaltschritten gegen den unwillkommenen Störer abzuhalten, der vollkommen gleichgültig und unbewegt dreinschaute, als ginge ihn die Sache nicht im mindesten an. Es gab ein heftiges Hin- und Herreden, das erst durch die Ankunft dreier anderer Herren unterbrochen wurde. Sie blieben befremdet stehen, als sie den Wortwechsel auf der Wiese vernahmen, und blickten fragend auf die Officiere. Lieutenant Saalfeld trat sogleich höflich auf sie zu.

„Ich bedaure, meine Herren, Sie von einem sehr unangenehmen Zwischenfall in Kenntniß setzen zu müssen. Wir fanden bei unserer Ankunft hier diesen Menschen vor, der sich starrköpfig weigert, den Platz zu räumen, und auf keine Weise fortzuschaffen ist. Es wäre ein Leichtes, ihn mit Gewalt wegzubringen, aber Sie begreifen – der Lärm, den der Bursche erheben würde – es ist empörend!“

„Allerdings sehr unangenehm!“ stimmte einer der neuen Ankömmlinge bei. „Könnte man nicht – aber ich vergesse, die Herren einander vorzustellen. Herr Doctor Ried, der die Güte haben wird, uns seinen ärztlichen Beistand zu leihen – Herr Baron von Saalfeld, der Secundant des Grafen Rhaneck.“

Die Herren verneigten sich und der Arzt warf einen Blick hinüber nach dem Störenfried.

„Der da?“ sagte er kopfschüttelnd. „Da geben Sie nur die Hoffnung auf, ihn mit Güte oder Gewalt fortzubringen, Herr Baron. Ich kenne den Burschen, es ist der Sohn des Unterförsters Günther. Der läßt sich zur Noth todtschlagen, wenn es nicht anders geht, aber wegbringen von dem Platze, auf dem er sich einmal vorgenommen hat, stehen zu bleiben, läßt er sich nicht, das ist vergebene Mühe.“

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