Lucie war überrascht stehen geblieben, nur ein lautes Ah der Bewunderung entfuhr ihren Lippen, dann blieb sie regungslos im Anschauen versunken, Bernhard beugte sich zu ihr nieder.
„Nun, Lucie, wirst Du hier Deine engen Residenzstraßen, Deine hohen Häuser und den ummauerten Pensionsgarten vermissen? Ich denke nicht.“
Das junge Mädchen fuhr aus dem athemlosen Schauen auf bei dieser Anrede, sie schlang plötzlich ihre beide Arme um den Hals des Bruders und rief mit der ganzen stürmischen Freude eines Kindes: „O, ich habe nicht gewußt, daß die Welt so schön ist!“
Bernhard lächelte. „Du hast freilich noch nichts davon gesehen, als nur unsere märkischen Haiden. Sieh dort hinüber, dort liegt Deine künftige Heimath, und jetzt laß uns eilen, daß wir sie endlich erreichen, es ist hohe Zeit!“
Er hob sie in den bereits wartenden Wagen und nahm an ihrer Seite Platz, ein Druck mit dem Zügel, und die ungeduldigen Thiere griffen aus; dahin rollten sie, dem Thale zu, hinein in die Berge.
„Ist Pater Benedict schon zurückgekehrt?“
„Noch nicht, Euer Gnaden!“
„Er soll sofort nach seiner Ankunft benachrichtigt werden, daß ich ihn zu sehen wünsche, und daß der Herr Graf Rhaneck ihn hier erwartet.“
Der Kammerdiener schloß die Thüren und entfernte sich, den soeben erhaltenen Befehl auszuführen; die beiden Herren, welche sich im Arbeitszimmer des Prälaten befanden, blieben mit einander allein.
Es war ein großes, mit fürstlicher Pracht eingerichtetes Gemach. Die schweren purpurrothen Seidenvorhänge des hohen Bogenfensters wehrten, zur Hälfte herabgelassen, den glühenden Strahlen der Mittagssonne den Eingang. An einem Tisch, der mit kostbarem Schreibgeräth, mit Briefschaften und Papieren aller Art bedeckt war, saß der Prälat im reichvergoldeten, mit dunklem Sammet überzogenen Lehnstuhl, während Graf Rhaneck von seinem Sitze ihm gegenüber aufgestanden war, und mit raschen, etwas ungeduldigen Schritten das Zimmer durchmaß.
Es war nicht schwer, in den Beiden gleich beim erstens Blick zwei Brüder zu erkennen, die Aehnlichkeit zwischen ihnen trat deutlich genug hervor: dieselbe hohe, imponirende Gestalt, dieselben großen blauen Augen, derselbe Schnitt des Gesichtes, mit dem gleichen Ausdruck eines unnahbaren Stolzes. Es waren offenbar Familienzüge, die Züge eines edlen, kräftigen Geschlechts, die sich in diesen regelmäßigen Linien wiederholten, und vielleicht war sie auch unter den Rhanecks erblich, jene eigenthümliche Linie auf der Stirn, gerade zwischen den Augen, die, in ruhigen Momenten kaum sichtbar, sich bei jeder Erregung zu einer drohenden Falte vertiefte, ein Zug von Härte, ja von Grausamkeit, der, wenn er erst einmal hervortrat, das Antlitz fast entstellte und ihm einen ganz anderen Charakter lieh.
Aber trotz aller Aehnlichkeit waren die Brüder doch verschieden genug von einander. Auf dem Gesicht des Prälaten lag kalte leidenschaftslose Ruhe, die Augen blickten so scharf und durchdringend, als seien sie gewohnt, Alles und Jedes, was ihnen nahte, bis in die innersten Tiefen hinein zu durchschauen und zu ergründen; die Haltung war ernst und gemessen und das bereits [ 23] ergraute Haar, im Verein mit dem schwarzen Ordensgewande, ließen ihn um ein ganzes Theil älter erscheinen als den Bruder, obgleich in Wirklichkeit nicht viel mehr als ein Jahr zwischen ihnen liegen mochte. Das volle dunkelblonde Haar des Grafen dagegen zeigte nur hin und wieder einige Silberfäden, das Auge war noch voll Feuer, die Bewegungen rasch und energisch, in Gang, Haltung und Ausdruck sprach sich eine Lebhaftigkeit aus, die in früheren Jahren wohl Leidenschaftlichkeit gewesen sein mochte, und die reiche Uniform, welche einen hohen militärischen Grad kennzeichnete, hob die Erscheinung des noch immer schönen Mannes noch um ein Bedeutendes.
Er wartete, bis sich die Thür hinter dem Kammerdiener geschlossen hatte, und nahm dann das vorhin unterbrochene Gespräch wieder auf.
„Du scheinst so zurückhaltend über Bruno. Giebt er Dir irgendwelchen Anlaß zur Klage, oder was ist sonst mit ihm?“
„Nicht doch!“ sagte der Prälat ruhig. „Pater Benedict fährt nach wie vor fort, sich unter all seinen Mitbrüdern auszuzeichnen. Er ist streng gewissenhaft in der Erfüllung seiner Pflichten und sehr eifrig in seinen religiösen Uebungen, nur allzusehr.“
„Zu eifrig?“
„Ja, ich liebe es nicht, wenn meine jungen Mönche in diesem letzten Puncte allzu weit gehen. Diese ewigen Bet- und Bußübungen, dies fortwährende Fasten und Kasteien ist auf die Dauer nicht durchzuführen; es muß nothwendig einen Rückschlag erzeugen, der gefährlich werden kann.“
Der Graf lächelte. „Das mußt Du ihm zu Gute halten. Er ist nun einmal ein Schwärmer, ist es von jeher gewesen.“
„Es taugt aber hier nicht mehr!“ Die Stimme des Prälaten nahm unwillkürlich einige Schärfe an. „Ich habe schon öfter damit zu kämpfen gehabt. Das kommt aus den Seminarien mit seinen Idealen von begnadigter Priesterschaft, von ascetischer Weltentsagung und gottgeweihtem Leben und findet – ein Kloster, wie es eben in unserer Zeit besteht. Die Ernüchterung kann nicht ausbleiben, und was dann? Es will mir nicht gefallen, dies finstere, scheue Absondern von den Brüdern, dies fortwährende einsame Umherschweifen in den Wäldern, dies nächtelange Studiren und Brüten über den Büchern –“
„Und das machst Du ihm zum Vorwurf?“ unterbrach ihn der Graf rasch und beinahe unmuthig. „Du, der von jeher über die geistige Indifferenz und Trägheit Deiner Mönche klagtest! Ich begreife Dich nicht! Gerade dieser rastlose Wissensdrang im Verein mit seiner eminenten Begabung und seinem Feuereifer, das sind die Elemente, aus denen man die Stützen der Kirche heranzieht.“
„Oder die Apostaten!“
„Um Gotteswillen, Du glaubst doch nicht, daß Bruno –“
„Nein!“ sagte der Prälat. „Ich wiederhole es Dir, er hat mir noch keinen Grund zum Tadel gegeben; ich mißtraue nur dieser Richtung im Allgemeinen, und das muß anders werden, wenn er die Hoffnungen verwirklichen soll, die Du auf ihn setzest. Du schmeichelst Dir damit, in ihm dereinst meinen Nachfolger, vielleicht noch etwas Höheres zu sehen; Talent dazu hat er genug, aber ihm fehlt der freie Ueberblick, die Berechnung. Mit Beten und Kasteien, das einer untergeordneten Mönchskutte ziemen mag, erringt man keine hervorragende Stellung in der Kirche, noch füllt man sie damit aus. Er muß hinweg über das Schülerhafte des Neophyten, wenn er empor will, und daß er das noch immer nicht kann, flößt mir Besorgniß ein!“
Der Graf antwortete nicht, mit einem unterdrückten Seufzer trat er zum Fenster und schaute, den Vorhang zurückschiebend, hinaus in das sonnenbeschienene Thal. Der Prälat folgte der Richtung seines Blickes.
„Was sagst Du zu der neuen Nachbarschaft in Dobra?“ fragte er, plötzlich von dem soeben verhandelten Gegenstande abbrechend.
Rhaneck zuckte die Achseln. „Ich habe nicht geglaubt, daß die Seltenow’schen Besitzungen in solche Hände fallen würden!“ sagte er wegwerfend. „Es ist immerhin ein starkes Stück von diesem norddeutschen Bauer, sich so gerade in unsere Mitte hinzusetzen, als wäre er unseres Gleichen. Man ignorirt ihn einfach.“
Sehr ruhig stand der Prälat auf und trat gleichfalls zum Fenster. „Es ist von jeher Dein Fehler gewesen, Ottfried, die Gegner zu unterschätzen, und nichts rächt sich so schlimm wie gerade dies. Dieser Günther ist Keiner von Denen, die sich mit einem Stirnrunzeln und einem vornehmen Achselzucken abthun lassen. Man hatte allerdings die Absicht, ihn zu ignoriren; aber er kam uns zuvor und ignorirte einfach uns. Nebenbei ist er auf dem Wege, eine Macht in der Umgegend zu werden.“
„Warum nicht gar!“ fuhr der Graf auf. „Die Güter sind in Grund und Boden gewirthschaftet – er wird darauf zu Grunde gehen!“
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