Der Arzt machte eine abwehrende Bewegung. „Was hier noch zu thun ist, dazu reichen wir Beide allein aus. Gehen Sie, meine Herren, und überlassen Sie das Weitere uns.“
„Dürfen wir Ihnen vielleicht unseren Wagen – ?“ fragte Saalfeld.
„Ich danke, wir haben den unsrigen gleichfalls in der Nähe. Sorgen Sie nicht, das hier noch Mögliche wird geschehen!“
Die Officiere grüßten schweigend und entfernten sich, die Sporen klirrten, die Gebüsche rauschten, dann vernahm man den Hufschlag der Pferde, der sich weiter und weiter entfernte, endlich ward es still.
Und still war es jetzt auch auf der Wiese, der Sterbende lag bewußtlos mit geschlossenen Augen, sein Secundant kniete neben ihm, mit den Armen seinen Kopf stützend, der Arzt stand an der anderen Seite und zählte die Pulsschläge, die nur seine geübte Hand noch zu finden vermochte, auf einmal fühlte er leise seinen Arm berührt, der junge Günther stand neben ihm.
„Unser Haus ist nicht weit,“ flüsterte er, „wenn Sie vielleicht –“ ein Blick auf den Verwundeten vollendete den Satz.
„Danke, mein Junge!“ gab der Arzt in demselben Tone zurück, „aber es ist zu spät, hier kann nichts mehr helfen.“
Der Secundant blickte auf. „Aber, Doctor, wollen wir ihn denn hier auf dem feuchten Waldboden sterben lassen? Wir könnten ihn doch wenigstens in’s Forsthaus tragen.“
„Nein!“ sagte der Arzt bestimmt. „Er hält den Transport nicht aus, die erste Bewegung hat den Tod zur Folge, und übrigens stirbt es sich grade so leicht oder so schwer unter freiem Himmel, als zwischen vier engen Wänden. In wenig Minuten ist ohnedies alles vorüber.“
Die Unterredung war im leisen Flüstertone geführt worden, jetzt trat eine Pause ein, keiner der drei Männer sprach, schweigend erwarteten sie das Nahen des Todes. Man vernahm nichts als die immer schwächer und schwächer werdenden Athemzüge des Sterbenden, dann noch ein letztes tiefes Aufathmen, ein Aufzucken, ein erneutes Hervorbrechen des Blutstromes – es war vorüber.
Der Secundant ließ langsam den Kopf seines Freundes niedergleiten, er hatte den Todeskampf mit keiner Bewegung gestört; jetzt, wo nichts mehr zu schonen war, brach die Fassung des jungen Mannes zusammen; der Arzt ehrte seinen Schmerz, er winkte dem jungen Günther, sich mit ihm zurückzuziehen, erst in einiger Entfernung von der Gruppe blieben sie stehen.
[ 4] „Nun, Bernhard,“ die sonst so freundliche Stimme des Doctors hatte einen Klang tiefer Bitterkeit, „also Du hast es mit Deinem Starrkopf wirklich durchgesetzt, ein Duell mit anzusehen. Bist Du nun zufrieden?
Bernhard blickte ihn an, sein vorhin so ruhiges Gesicht war bleich, die Gleichgültigkeit, die er während des ganzen Streites mit den Officieren bewahrt hatte, war jetzt völlig geschwunden.
„Das war ja – ein Mord!“ sagte er langsam.
„So? Meinst Du? Nun, dann sahest Du wenigstens, daß er in vollster Ordnung, mit aller gegenseitigen Höflichkeit und Einwilligung vor sich ging, und daß wir Anderen dabei standen, ohne auch nur die Hand zur Rettung zu rühren. Die Herren in der Stadt haben ein Privilegium auf diese Art Mord, mein Sohn!“
„Aber weshalb schossen sie beide?“ fragte Bernhard, das Auge noch immer unverwandt auf den Todten gerichtet.
„Hm, das ist schwer zu erklären, wenigstens Dir gegenüber. Es handelte sich um eine tiefe, eine tödtliche Beleidigung, die mit Blut gesühnt werden sollte. Wie sie gesühnt ward, das hast Du ja soeben gesehen! Der Beleidigte wußte nicht mit Pistolen umzugehen, deshalb fehlte er, und der Beleidiger war ein trefflicher Schütze, deshalb schoß er den Gegner nieder – man nennt das auf deutsch ‚seiner Ehre genug thun‘, merke Dir das!“
Mit diesen in schneidendem Tone gesprochenen Worten wandte der Arzt sich von ihm und trat wieder zu der Gruppe. Der Secundant hatte sich inzwischen etwas gefaßt, er stand auf.
„Wir werden ihn jetzt wohl in den Wagen tragen müssen, Doctor! Wollen Sie mich auf einem schweren Gange begleiten? Sie wissen, wohin ich mit der Leiche fahre; ich habe nicht den Muth, allein hinzutreten mit einer solchen Nachricht!“
Der Arzt reichte ihm die Hand. „Ich komme mit Ihnen! Freilich ist’s ein schwerer Gang, noch dazu hier, wo mit dem einen Leben Alles zusammenbricht. Wollte Gott, wir hätten die Stunde erst hinter uns!“
Sie hoben den Todten empor, Bernhard legte unaufgefordert mit Hand an und Niemand wehrte ihm; langsam traten die Männer mit ihrer Last den Rückweg an und schlugen die Richtung nach dem in einiger Entfernung wartenden Wagen ein. –
Still und einsam lag die kleine Waldwiese, wo sich vor kurzem noch so viel Leben geregt, wo eins davon sich verblutet hatte. War es der letzte Act eines längst begonnenen Drama’s, was sie soeben gesehen, oder der erste eines eben beginnenden – wer konnte Auskunft darüber geben? Die Sonne kämpfte sich allmählich durch den Nebel, er wallte und wogte hin und her und verschwebte endlich als blauer Duft fern im Walde. Siegreich behaupteten die Strahlen ihre Bahn, hellbeschienen standen die riesigen Föhren mit ihren rothen Stämmen und hoben die starren Häupter empor in die klare duftige Herbstluft, und goldene Lichter spielten auf dem herbstlich bunten Laub der Eiche. Die Sonne schmolz den Reif vom Boden und mit ihm die Spuren der Fußtritte, die einzigen Spuren des stattgehabten Kampfes. Nur dort, wo der Todte gelegen, zeichnete sich in schwachen Umrissen, aber noch deutlich erkennbar, ein dunkler Fleck auf dem Rasen ab; es sah aus, als sei ein Schatten dort zurückgeblieben, der Schatten irgend eines unsichtbaren Gegenstandes, der unverrückbar und geisterhaft mitten in dem hellen Sonnenscheine lag.
Ein leichter offener Jagdwagen, von zwei munteren Braunen gezogen, rollte im schärfsten Trabe den Waldweg entlang, der von der Eisenbahnstation E. hinein in das Gebirge führte. Der Herr, welcher von seinem Sitze aus das Gefährt selbst lenkte, hielt die Zügel mit so gleichgültiger Ruhe, als sei es eine Kleinigkeit für ihn, die jungen wilden Thiere zu bändigen. Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren, eine gedrungene, markige Gestalt; schwarzes kurzgeschnittenes Haar umgab eine breite, massive Stirn, auf die Erfahrungen und Sorgen schon manche Linien gezeichnet hatten. Die Züge konnten für gewöhnlich, ja für plump gelten, und sie wurden es noch mehr durch einen Ausdruck von Phlegma, der anscheinend darauf ruhte; wer aber länger und tiefer in dies Gesicht sah, fand bald genug heraus, daß es mehr enthielt, als es beim ersten Anblick zu versprechen schien. In dem scharfen, wachsamen Auge zumal lag entschieden nichts Gewöhnliches, es war der Blick eines Mannes, der gewohnt ist, ohne Hast, aber auch ohne Rast im Leben vorwärts zu gehen, ein Blick, der wenn er erst einmal ein Ziel in’s Auge faßt, es auch unverrückbar festhält und nicht wieder losläßt, bis er es erreicht hat. Was in den Zügen als Phlegma erschien, das gab sich in dem Auge als kalte überlegene Ruhe kund, die zwar erst allmählich und langsam, aber desto sicherer auf den Beobachter wirkte.
Es konnte nicht leicht einen schärferen Contrast geben, als diesen Mann und das junge, kaum dem Kindesalter entwachsene Mädchen, das an seiner Seite saß. Diesem rosigen Antlitz war sicher noch nie der Ernst des Lebens genaht, diese klare, weiße Stirn hatte gewiß keine Sorge je berührt; das volle Kinderglück strahlte noch aus den dunkelblauen Augen, die groß und verwundert in die fremde Welt hineinblickten, lächelte noch schelmisch unbefangen aus den kleinen Grübchen der Wangen, das ganze reizende Gesichtchen war ein Sonnenschein. Eine Fülle brauner Locken quoll lose, nur an der Stirn von einem Bande zusammengehalten, unter dem kleinen Strohhute hervor und wallte herab auf das einfache graue Reisekleid, das die feine zierliche Gestalt umschloß. Die schwindelnd schnelle Fahrt gewährte ihr augenscheinlich großes Vergnügen und es lag nicht die leiseste Spur von Besorgniß, wohl aber sehr viel jugendlicher Uebermuth in dem silberhellen Lachen, womit sie jetzt ausrief:
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