„In der That, Sie maßen sich eine eigenthümliche Bevormundung über uns Beide an!“ rief Ottfried gereizt. „Wer giebt Ihnen das Recht zu solchen Befehlen, dem Fräulein und mir gegenüber?“
„Der Ruf, in dem Sie stehen, Herr Graf!“ gab Benedict eisig zurück.
„Herr Pater Benedict!“ fuhr Ottfried wütend auf.
„Herr Graf Rhaneck!“
Rede und Gegenrede klangen gleich drohend und herausfordernd. Bebend vor Zorn wandte sich Ottfried jetzt an Lucie.
„So muß ich Sie bitten, mein Fräulein, diesen unerhörten Eingriff in Ihren Willen zurückzuweisen! Sagen Sie dem Herrn Pater, daß Sie sich meinem Schutze allein anvertrauen, und nicht gesonnen sind, sich darüber Vorschriften machen zu lassen.“
Lucie – sagte gar nichts. Sie fand den Eingriff freilich auch unerhört, und jedem Andern gegenüber hätte sie sich mit vollster Heftigkeit dagegen erhoben, aber ihr sonst immer reger Trotz und Eigenwille sank hier machtlos zusammen. Sie konnte nicht trotzen diesem Manne gegenüber, der jetzt mit so furchtbarem Ernste auf sie niederschaute, aber sie fühlte mit tiefer Bitterkeit, ja mit einer Art von Verzweiflung, daß sie es nicht konnte. Ihre Ahnung, die sie gleich beim ersten Male diese „Gespensteraugen“ fliehen hieß, hatte sie nicht getäuscht, er bannte sie ja förmlich mit diesen Augen, er legte ihren ganzen Willen damit in Fesseln und lähmte ihr das Wort auf der Zunge.
Lucie hoffte trotzdem, der Graf werde ihr zu Hülfe kommen, und sie war entschlossen, sich dann auf seine Seite zu stellen; jedoch der Graf schien keine Lust zu irgend einem Gewaltstreich zu haben, er schoß einen haßerfüllten Blick auf den jungen Priester, aber er trat zurück.
„Sie werden die Güte haben, mir eine Erklärung über dies Benehmen zu geben, Hochwürden!“
„Sobald wir uns allein gegenüberstehen – zu jeder Stunde!“
Lucie fühlte, wie ihr Arm fester gefaßt wurde, sie sah sich fortgezogen, in der nächsten Minute lag die sonnige Wiese bereits hinter ihnen, und der tiefe Schatten des Waldes nahm sie auf.
Das junge Mädchen eilte mit raschen Schritten vorwärts, sie wollte so bald als möglich der unwillkommenen Begleitung ledig werden, die sie gleichwohl nicht zu verweigern wagte. Benedict hatte ihre Hand in dem Momente losgelassen, als sie in den Wald eintraten, aber er blieb dicht an ihrer Seite. Nicht ein einziges Wort fiel zwischen ihnen während des ganzen, länger als eine halbe Stunde dauernden Weges, und wenn irgend etwas im Stande war, Lucie noch mehr zu erbittern, so that es dies eisige Schweigen, denn sie fühlte ganz richtig heraus, daß eine Verurtheilung darin lag. Sie ging ja hier gerade wie eine Verbrecherin, die man nicht einmal mehr des Wortes würdigt, und doch war sie die Gekränkte, Beleidigte. Ihr Herz war zum Zerspringen voll von einer Bitterkeit, die sich jetzt zum Theil auch gegen den Grafen richtete. Warum ließ er sie so ohne Weiteres in der Gewalt dieses entsetzlichen Menschen, warum behauptete er nicht unter allen Umständen seinen Ritterdienst bei ihr? Er mußte es ja doch sehen, daß sie nur halb gezwungen folgte, und er stand doch sicher nicht unter jenem lähmenden Einflusse, dem sie fast willenlos sich beugte. Dem jungen Mädchen waren die Thränen nahe, es bedurfte nur noch eines einzigen Anstoßes, und sie brachen hervor.
Da endlich lag der Ausgang des Waldes vor ihnen, hier begann bereits das Gebiet von Dobra, von drüben schimmerte das Dach des Schlosses hinüber, und auf dem Felde waren eine Menge von Arbeitern beschäftigt; Benedict blieb stehen.
„Ich habe Sie, wie es scheint, sehr gegen Ihren Willen jener Gesellschaft entzogen, mein Fräulein. Sie werden den Eingriff wohl auch ‚unerhört‘ finden, ich habe ihn mir nichtsdestoweniger nun einmal erlaubt, und ich erlaube mir sogar noch eine Warnung, auf die Gefahr hin, daß Sie diese ebenso sehr verachten wie den – Mönch, aus dessen Munde sie kommt. Meiden Sie künftig dergleichen Verabredungen, Graf Rhaneck ist nicht der Mann, an dessen Seite der Ruf eines jungen Mädchens vor Verleumdungen sicher ist, selbst wenn sie es verstehen sollte, ihn in Schranken zu halten. Sie handelten sehr unvorsichtig, als Sie ihm diese Zusammenkunft bewilligten.“
Er stand mit der ganzen Strenge eines Richters vor ihr, das war zu viel und Lucie fuhr empört auf.
„Eine Zusammenkunft bewilligen? Habe ich etwa den Grafen nach dem Walde gerufen?“
„Wollen Sie mich vielleicht glauben machen, daß sein Erscheinen Ihnen unerwartet war?“ Es grollte dumpf und drohend in seiner Stimme, und seine Augen hefteten sich wieder so durchbohrend wie vorhin auf sie, aber jetzt hatten sie ihre Macht verloren, das Gefühl einer unverdienten Kränkung überwog bei Lucie jede Furcht, heiß und ungestüm brachen ihre Thränen hervor, mit ihnen aber auch der Zorn.
„Ich will Sie gar nichts glauben machen!“ rief sie in vollster Heftigkeit, „aber ich lasse mich auch nicht von Ihnen beleidigen, wie Graf Rhaneck es sich gefallen läßt. Ich will nicht!“ – sie stampfte zornig mit dem Fuße – „und solche ungerechte Vorwürfe ertrage ich nicht, nie, niemals –“
Das Weitere erstickte in ihrem Schluchzen, Benedict sah sie starr an.
„Nicht?“ wiederholte er langsam. „Sie haben den Grafen nicht erwartet?“
Lucie gab keine Antwort, sie weinte leidenschaftlich, aber es lag eine überzeugende Gewalt in diesem so plötzlich hervorbrechenden Trotze. Er trat ihr mit einer stürmischen Bewegung näher und faßte ihre beiden Hände, trotz ihrer eigenen Erregung sah sie doch, daß er sich in einer noch furchtbareren befand. Die Hände, welche die ihrigen festhielten, bebten, sein Blick senkte sich flammend tief in ihr Auge, und seine Stimme klang dumpf, gepreßt, als fehle ihm der Athem.
„Antworten Sie mir, Lucie! Bei Allem, was Ihnen heilig ist – Sie haben den Grafen nicht erwartet?“
„Nein!“ rief Lucie, außer sich gebracht durch dies Examen, und in diesem Moment war es wieder einmal Bernhard’s Schwester, die über das Kind siegte, so energisch und leidenschaftlich schleuderte sie ihm das Nein entgegen.
Ein tiefer, tiefer Athemzug hob Benedict’s Brust und ein schnelles blitzähnliches Aufleuchten flog über seine Züge; er ließ ihre Hände los und trat zurück.
„So bitte ich um Verzeihung!“ sagte er leise.
Lucie hielt plötzlich mit Weinen inne, ebenso sehr über diese ganz unerwartete Wendung, wie über den Ton seiner Stimme betroffen, die auf einmal von der rauhesten Härte zur vollsten Weichheit umschlug. Halb bestürzt blickte sie ihn mit den großen thränenvollen Augen an. Sein Blick hing jetzt wieder fest an diesen Augen; aber er machte keinen Versuch, sich ihr auf’s Neue zu nahen; im Gegentheil, es schien, als wolle er noch weiter zurückweichen.
„Ich habe Ihnen wehe gethan mit meinem Verdachte, ich sehe es! Aber ich hatte allen Grund dazu. Graf Rhaneck hat Ihnen schon einmal von Liebe gesprochen, und Sie wiesen ihn nicht zurück!“ – Lucie machte unwillkürlich eine Bewegung des Schreckens. War denn dieser Mann allwissend? – „Aber was Sie Liebe nennen, kann der Graf nicht mehr empfinden, wenn er es überhaupt jemals empfunden hat. Er ist einer reinen Zuneigung nicht werth. Glauben Sie mir das, mein Fräulein, und gestatten Sie ihm keine weitere Annäherung; ich warne Sie davor, ich – ich bitte Sie darum!“
Er sprach noch leise, aber in einem eigenthümlichen erschütternden Tone, der die innere mühsam gebändigte Bewegung verrieth. Es war dieselbe Warnung, die Lucie vorgestern aus dem Munde des Bruders gehört; aber wenn Bernhard’s herrisches Verbot ihren ganzen Trotz wach rief, dies hier wirkte anders. Das „Ich bitte Sie darum!“, das fast unhörbar an ihrem Ohre hinwehte, weckte wieder jenen schmerzenden Stich, der ihr bis in’s innerste Herz drang; sie wußte nicht weshalb und woher, sie fühlte nur, daß es wehe that.
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